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Die Kirche von Bagarat-Arkaun hat 1.000 Jahre auf dem Buckel. Sie steht an der Grenze zu Armenien. Zu wem sie genau gehört? Darüber wird immer noch und wieder heftigst gestritten...

Durchs wilde Kurdistan: Teil 2

Im zweiten Teil durch die kurdische Türkei reist die Berliner Familie weiter durch Kurdistan, durch die Besonderheiten einer stark umkämpften Region. Es geht von Van über Igdir nach Ani. Willkommen zu 1.000 Jahre Geschichte auf 1.800km in einer Nussschale.
Inhalt

Eine Großfamilie auf Reise im wilden Kurdistan

Sieben Deutsche aus drei Generationen fallen gerade in den ländlichen Gegenden Kurdistans auf wie bunte Hunde. Als wir auf halber Strecke unserer rund 1.800 km (s. auch Kurdistan Teil 1) auf weitere Mitglieder des kurdischen Teils unserer Familie treffen, werden wir ganz flott zum Convoy mit mehreren Bussen. Als Großfamilie sind wir eine Naturgewalt. Im Pulk fressen wir Kilometer, durchpflügen die Landschaft und staunen Bauklötze. Jeder fährt seinen eigenen Film. Die Großeltern sind im klassischen Besichtigungsmodus. Für die Kinder ist ohnehin alles nur Spielplatz. Die mittlere Generation hat den Hauptjob bei der Vermittlungs- und Übersetzungsarbeit zwischen hüben und drüben. Da bleibe ich gerne im Beobachtermodus.

Ein Wassergraben mit Wehr in Kurdistan.
Diese Wehre sind noch in Betrieb. Sie werden manuell bedient und regeln die Wasserverteilung der einzelnen landwirtschaftlichen Nutzflächen über Gräben.

Auf unserer Reise durch den Südosten der Türkei machen wir auch in Van halt. Die Stadt wirkt auf den ersten Blick sehr modern und geschäftig. Es gibt hier Fleisch- und Fischindustrie, eine Molkerei und eine Zuckerfabrik. Ebenso haben sich Holzindustrie, Kunststoffindustrie, Zement-, Leder- und Schuhfabriken angesiedelt. Man käme nie darauf, dass die Geschichte bereits über 3.000 Jahre zurückreicht. Damals lag die Stadt noch unmittelbar an der Burg Van.

Durch Kämpfe im Jahr 1915 zwischen der osmanischen und der armenischen Armee wurde die Stadt jedoch so sehr zerstört, dass man sie etwas entfernt der alten Festung neu errichtet hat. Nach dem ersten Weltkrieg sollten Teile des Gebietes an Armenien gehen. Diesen Plänen widersetzten sich die Türken, was 1920 zu den sog. Türkischen Befreiungskriegen unter der Führung Kemal Atatürks führte, welche die Ermordung und Vertreibung der armenischen Bevölkerung zur Folge hatte.

Dieses Thema begleitet uns ähnlich wie die Unterdrückung der Kurden durch die Türken wie ein roter Faden durch unsere Reise. Wie aktuell die Geschichte auch heute noch ist, zeigt nicht zuletzt die auch bei uns heftig geführten Diskussionen wie im Bundestag, ob es sich bei den Ereignissen damals um einen Völkermord gehandelt hat oder nicht. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was es da zu diskutieren gibt …

Der 2007 ermordete türkisch-armenische Journalist Hrant Dink erklärte einmal, dass Van das Paris des Ostens hätte werden können, wenn es nicht zum Völkermord an den Armeniern gekommen wäre.

Die Wasserfällen von Muradiye in Kurdistan.
Auf dem Weg von Van in Richtung Norden lohnt sich ein Halt an den Wasserfällen von Muradiye. Wir wurden auf dieses Ausflugsziel nur aufmerksam, weil in dem Lokal, wo wir zu Abend gegessen haben, ein großes Bild der Wasserfälle hing. Unser Reiseführer hätte uns nicht darauf aufmerksam gemacht.

Die Handelsstadt Dogubeyazit in der kurdischen Türkei

Die Stadt Dogubeyazit liegt im äußersten Osten der Türkei am Fuß des Ararat auf einer Grasebene in der Höhe von 1.625 Metern. Es ist der letzte Haltepunkt auf der Handelsroute von der Türkei in den Iran. Obwohl die Handelsbeziehungen erst im letzten Sommer offiziell wieder zugelassen haben, fand hier nach wie vor ein reger Übergangsverkehr statt, der seine eigenen Wirtschaftszweige mit sich brachte. So gab es z.B. zweierlei Arten zu tanken. Einmal wie gewohnt vorne an der Zapfsäule und zum anderen hinter dem Tankwärterhaus aus Kanistern. Ich muss wohl nicht erwähnen, welche Art die billigere war und wo es zu längeren Wartezeiten kam …

Besonders lohnenswert ist der Besuch des Ishak-Pascha-Palastes inmitten der Gebirgskette, die die Türkei vom Iran trennt. Früher führte die Handelsroute der Seidenstraße unmittelbar am Palast vorbei.

kurdistan ishak palast
Der Ishak-Pascha-Palast liegt auf einem Felsenvorsprung in 2.200 m Höhe. Der burgähnlich erbaute Palast vereint mit seiner ungewöhnlichen Architektur und Bauornamentik die Einflüsse aus 500 Jahren.
Eine Moschee im Berg.
Oberhalb des Pascha-Palastes liegt die Moschee sowie die alten Felsgräber. Auf der anderen Seite des Berges liegt gleich der Iran.

Auf einer Fläche von 7.600 m² verfügte der Palast ursprünglich über 366 Zimmer. Sie waren über die beiden hintereinanderliegenden Höfe und durch Korridore erschlossen. Die Wohn- und Aufenthaltsräume der Männer lagen getrennt vom Frauenwohnbereich mit den Funktionsräumen. Alle Räume waren klein genug, um im Winter durch einen offenen Kamin beheizt werden zu können. In den Wänden entlangführende Luftschächte zeigen, dass viele Räume außerdem an eine zentrale Heizungsanlage angeschlossen waren. Außerdem gab es fließendes Wasser und ein Abwassersystem.

Igdir, eine türkische Provinz der Türkei an drei Staatengrenzen

Igdir liegt im Nordwesten des Ararat und grenzt als Provinz an Armenien, die aserbaidschanische Exklave Naxcivan und den Iran. Trotz zunehmender Urbanisierung ist Igdir weiter stark landwirtschaftlich geprägt. Insbesondere von Bedeutung ist dabei die Schafzucht sowie der Anbau von Pfirsichen und Aprikosen.

Blick auf den Berg Ararat in Kurdistan.
Der Ararat ist ein ruhender Vulkan. Er ist mit 5.137 m der höchste Berg auf dem Gebiet der Türkei. Es heißt, dass nach der Sintflut die Arche Noah dort gestrandet sein soll. Selten sieht man seinen Gipfel frei von Wolken.
Auf den Weiden in Kurdistan hüten Kinder die Schafe.
Häufig übernehmen die Kinder die Aufsicht der Schafsherden. Trotz der niedrigen Niederschläge finden sich immer Areale auf denen Gräser und Kräuter wachsen. Die Schafe müssen also keine Steine essen.

Vor dem Ersten Weltkrieg bestand die Bevölkerung Igdirs noch überwiegend aus Armeniern und Aseris. In der Folge der türkischen Eroberung flohen die Armenier und andere christliche Volksgruppen aus der Stadt. Später wanderten viele Kurden unter anderem aus der Provinz Van ein, so dass die Bevölkerung heute mehrheitlich aus schiitischen Aseris und sunnitischen Kurden besteht und damit von der türkischen Regierung streng beobachtet werden. Wir bekamen das zu spüren, als während unseres Aufenthalts in Igdir aufgrund eines im weit entfernten Istanbul ermordeten Politikers der Täter unter anderem in Igdir vermutet wurde und deshalb sofort Straßenkontrollen errichtet wurden, um jedes Auto zu kontrollieren. Als wir an der Reihe waren, wurden alle ganz aufgeregt und prüften hektisch unsere Pässe bis man uns schließlich freundlich durchwinkte. Wir fielen offenbar nicht in die Zielfahndung.

Ani, die historische Stadt der 1001 Kirchen

Als letzte Station auf unserer Reise durchs wilde Kurdistan kamen wir nach Ani. Ani war die Stadt der 1001 Kirchen unterschiedlichster Glaubensrichtungen. Ein paar wenige konnten dem Zahn der Zeit standhalten. Ani ist ein Ort, der seit mehr als drei Jahrhunderten verlassen ist und von dem nur noch Ruinen der ehemaligen armenischen Handelsstadt übrig sind. Vor etwa zwei Jahren wurde damit begonnen, diesen besonderen Ort für Touristen zu öffnen, obwohl er sich im unmittelbaren Grenzgebiet zu Armenien befindet. Man entschloss sich zu diesem Schritt, um dem Kulturvandalismus Einhalt zu bieten.

Der Grenzfluss zwischen Armenien und Kurdistan.

Die tiefe Schlucht und der Fluss bilden heute die Grenze zwischen der Türkei und Armenien. Unvorstellbar, dass hier mal reger Handel betrieben wurde. Ani lag direkt auf einer Route der Seidenstraße.

Erhalten sind Teile der doppelt ausgelegten Stadtmauer, die um 1.000 n. Chr. erbaute Kathedrale, einige Kirchen und Kapellen, eine Moschee, die Zitadelle und ein Palast. Auch von der alten Stadtmauer mit seinen Türmen ist noch viel erhalten, so dass man einen guten Eindruck von der damaligen imposanten Wirkung bekommt.Der armenische Ursprung und die armenische Vergangenheit der Stadt werden von offizieller türkischer Stelle jedoch verschwiegen. Auf einer Hinweistafel ist nur vom „christlichen Erbe innerhalb des Osmanischen Reichs“ die Rede.

Kurdisches Gebiet bei Ani mit Ruinen.
Auf der gesamten Fläche von Ani finden sich gut erhaltene Gebäuderuinen. Von den alten Wohnhäusern, die es hier neben den Kirchen auch gab, sind nur noch vereinzelt Fundamente erkennbar. Die Bewohner der Nachbarorte nutzen die verlassene Geisterstadt als Materiallager für ihre Bauprojekte.

Was bleibt von unserem Besuch in der kurdischen Türkei

Auf unserer 1.800km langen Reise durch den Südosten in den Nordosten der Türkei reisen wir durch die unterschiedlichsten Gebiete. Flache Landschaften werden durch hügelige ersetzt, die zu Bergen, Gipfeln und schließlich zu Mondlandschaften werden. Besonders beeindruckend war dabei auch der Wetter- und Klimawechsel. Von Sonne über Regen und Schnee war alles dabei. Die Reise durch die kurdischen Gebiete der Türkei im Frühjahr 2015 haben mich und meine Familie nachdrücklich beeindruckt. Es ist nicht nur die lange bewegte Geschichte, die wundervolle Landschaft sondern vor allem die Begegnung mit den unterschiedlichsten Menschen, die uns immer herzlich empfangen haben. Und doch kann ich diese drei Aspekte nicht völlig losgelöst von der heutigen – für mich äußerst fragwürdigen – politischen Haltung der Türkei sehen. Das Land könnte so viel sein als es will.

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Service

Mehr über Kurdistan erfahren oder gar Kurdisch lernen könnt ihr in Berlin zum Beispiel im Sprachenatelier in Friedrichshain. (Offenlegung: Die Sprachschule gehört der Schwester der Autorin)

Blühende Pfirsichbäume in Kurdistan.
Anfang April 2015 standen die Pfirsich- und Aprikosen-Bäume bereits in voller Blüte. Ein herrlich romantischer Anblick.