Gelandet im Paradies
Die Hängematte hängt genau am richtigen Ort – im Schatten der Orangenbäume mit Blick auf den träge dösenden Fluss. Zwei Enten watscheln ohne Eile am Ufer entlang. An den Reben hängen grüne Weintrauben, die Haut glatt und prall wie aufgeblasene Backen. Weiter oben am Hang, über dem Garten, der in Stufen zum Fluss herabsteigt, ragt ein weißes Haus mit gelben Zierrändern in den wolkenlosen Sommerhimmel über dem Alentejo.
Wir sind im Paradies gelandet, einfach so. Unsere Zeit hier ist begrenzt, wie in Paradiesen üblich. Ein Regionalzug aus Lissabon hat uns hergebracht, ganz unspektakulär. Sobald die Hauptstadt und ihre Satelliten außer Sicht geraten waren, wurde das Land hügelig und immer menschenleerer, bedeckt mit Wiesen und schütteren Wäldern. Dazwischen fließt der Fluss. Alles, was südlich von ihm liegt, heißt Alentejo. Alles, was nördlich liegt, nicht.
Im Norden des Südens
Alles? In Belver ist das anders. Belver heißt „schöne Aussicht“, und die Burg hoch oben über dem Fluss macht dem Namen des Örtchens alle Ehre. Von ihren Zinnen sehen wir den Tejo, der das unübersehbare Hügelland einfasst wie ein blau glitzerndes Geschenkband. Belver liegt am nördlichen Ufer des Tejo und gehört trotzdem zum Alentejo. Der ragt hier aufgrund einer historischen Laune für ein paar Kilometer über den Fluss hinaus – ein geografisches Kuriosum, das auch den meisten Portugiesen unbekannt ist.
Wir sind also im äußersten Norden von Portugals Süden. Und obwohl das finanziell klamme Land diverse Regionallinien stillgelegt hat, besitzt das kleine Belver immer noch einen funktionierenden Bahnhof. Nicht mal umsteigen mussten wir, was in Portugal und erst recht im Alentejo sonst so gut wie nie vorkommt.
Vom Bahnhof zu unserem kleinen Paradies sind es nur wenige Schritte – einmal den Buckel hinauf, schon sind wir da. Auf der einen Seite der Gleise liegt das Haus, auf der anderen Seite Fluss und Garten. Wer jetzt denkt: „Das ist aber laut“, den lassen wir gern in seinem Glauben und behalten das Paradies für uns – mitsamt der knappen Handvoll Züge, die die Strecke am Tag passieren und uns kein bisschen gestört haben.
Zum Strand mit Brombeeren und Zitronen
Beim Anblick der Karte rutscht den Kindern das Herz in die Hose: „O je, wandern!“ Der Plan zeigt einen rund 15 Kilometer langen Rundweg. Am Südufer führt er immer am Fluss entlang, am Nordufer dagegen geht’s auf und ab durch die Hügel des Alentejo. Aber dafür ist’s heute zu heiß. Wir gehen lieber schwimmen.
Ein Stück laufen müssen wir trotzdem, aber das ist gar nicht schlimm, weil uns unterwegs die Brombeeren fast in den Mund wachsen. Der Weg, den wir nehmen, ist eigentlich ein endloser Lattensteg, der teils am, teils über dem Wasser verläuft und hinter jeder Biegung neue Blicke bietet. Binsen spenden immer wieder willkommenen Schatten, das Wasser gluckst und gluckert und in den Bäumen hängen die Zitronen.
Einmal taumelt uns ein riesiger schwarzer Käfer um die Köpfe und lässt sich hungrig auf einer Passionsblume nieder. Über uns, am anderen Ufer, steht die Burg wie ein geduldiger Wächter. Nach einer halben Stunde taucht vor uns der kleine Sandstrand auf.
Alentejo on the rocks
Am Strand herrscht mäßiger Betrieb. Immerhin, auch hier gibt’s Badegäste, nicht nur an Portugals Atlantikküste. Die ist zugegebenermaßen fantastisch, aber es gibt eben noch jede Menge andere Arten, den portugiesischen Sommer zu verbringen. Zum Beispiel in einer Hängematte im Garten am Fluss. Oder im Planschbecken daneben, das sich prima zum Herumtoben eignet, wie unser Jüngster findet. Oder eben am Flussstrand – ohne Wellen, dafür mit Süßwasser.
Alentejo im Sommer? Viel zu heiß, sagen die Leute. Offenbar war niemand von denen jemals im Tejo baden. Als wir unsere Füße hineintauchen, fährt uns ein schneidender Kälteschock in die Glieder. Wie kann ein Fluss, dessen Quelle weit jenseits der spanischen Grenze liegt und schon hunderte Kilometer hinter sich hat, in dieser Hitze so kalt sein? Das Schöne ist: Wenn du einmal drin bist, gibt es keine bessere Erfrischung! Alentejo on the rocks, sozusagen.
Ausflug nach Castelo Branco
Eisgekühlt ist auch der Zug, der uns am nächsten Tag nach Castelo Branco bringt. Als wir dort aussteigen, trifft uns der Temperaturunterschied wie eine Keule. Was ist eigentlich der Sinn von Klimaanlagen, die uns zu Eiszapfen herunterkühlen und durch die Tür dann geradewegs in einen Backofen entlassen?
In diesem Fall beträgt die Backtemperatur 39 Grad, aber die Allee gleich am Bahnhof erleichtert die Ankunft ein wenig. Castelo Branco entpuppt sich als unerwartet abwechslungsreiche Hauptstadt der Region Beira Baixa, die nordöstlich an den Alentejo grenzt. Gleich zu Beginn verrät der morbide Charme heruntergekommener Art-Nouveau-Villen, dass es hier einmal einiges zu verdienen gab.
Eine Restaurantterrasse unter ausladenden Sonnenschirmen kommt gerade recht. Was schließlich auf den Tisch kommt, ist alles lecker. Am allerbesten jedoch sind die wunderbar aromatischen Melonen. Portugal ist nicht gerade arm an saftigen Früchten, aber diese Melonen sind einfach sensationell. Übrigens kann sich auch der Schinken sehen lassen.
Berühmt ist Castelo Branco aber weder für Schinken noch Melonen, sondern für seinen barocken Park neben dem Bischofspalast. Wieder hängt alles voller Zitronen und Orangen, Hecken mäandern, in den Wasserbecken dösen die Fische. Eine Art Nationaldenkmal ist die Freitreppe mit allen Königen Portugals. Kurioserweise sind die Stufen mit keinem Gebäude verbunden und wirken daher von unten wie eine Himmelsleiter. Das macht die Königsstatuen trotz ihrer geringen Größe noch feierlicher. Von hier bis zu spanischen Grenze ist es nicht sehr weit – ein guter Ort für ein bisschen nationales Pathos.
In der modernen Parkanlage gleich nebenan geht es lebensnaher zu. Hier tragen die Bäume Schals, im Schatten warten Bänke auf Müßiggänger und die unberechenbaren Fontänen eines begehbaren Brunnens verwandeln besonders Kinder in hüpfende Wasserflöhe. Ja, die Sommer in Portugals Binnenland sind heiß, aber die Menschen wissen sich zu helfen.
Aus der Zeit gefallen
Zurück in unserem kleinen Paradies am Bahndamm von Belver statten wir noch einmal dem Fluss einen Besuch ab, diesmal mit einer kleinen Paddeltour. Eine kräftige Abendbrise weht die Hitze des Tages davon, als hätte sie nie existiert. Während wir um ein paar kleine Felsinselchen herumschippern und die Sonne hinter den Hügeln verschwindet, macht uns das Glück, hier zu sein, richtig besoffen.
Morgen geht’s zurück nach Lissabon. Es gibt schlimmere Ziele, keine Frage, aber während dieser paar Sommertage im Alentejo sind wir irgendwie aus der Zeit gefallen. Auf einmal mir wird klar, dass ich kein einziges Mal in der Hängematte gelegen habe. Es macht mir nichts aus.