Die jungen Wilden und der Brutalismus in Beer Sheva
Beer Sheva in der Negev Wüste ist eine ultramoderne Stadt, die mich komplett überrumpelt und damit total beeindruckt hat. In den 50er Jahren begannen junge israelische Architekten in der Negev Wüste mit neuen Theorien zu experimentieren. In der Entwicklungs-Stadt Beer Sheva konnten sie ihre kühnsten architektonischen Visionen verwirklichen. Sie bauten im Stil des Brutalismus und verwendeten als Baumaterial Beton, ihr großes Ziel war die Stadt der Zukunft. Ich verrate es gleich, dieses Ziel haben sie nicht erreicht, dafür haben sie die israelische Hauptstadt des Brutalismus kreiert, und die ist auf jeden Fall eine Reise wert.
Die jungen Brutalismus Wilden faszinierten besonders die unbegrenzten gestalterische Möglichkeiten des Materials Beton, denn mit Beton konnten sie fantastische Architekturen, bewegt wie Skulpturen, verwirklichen. Die staatliche Förderung der Entwicklungs-Stadt Beer Sheva, eröffnete den Architekten experimentelle Gestaltungsräume, die private Investoren ihnen nie zugestanden hätten. Das war ein fruchtbares Klima, um in Beer Sheva eine Sammlung ungewöhnlicher Brutalismus Gebäude aus dem trockenen Wüstenboden wachsen zu lassen. Das Credo dieser Bemühungen lautete, die Wüste zum Erblühen bringen.
Auf dem Campus der Ben-Gurion University ist diese Saat aufgegangen, denn dort steht eine Brutalismus Beauty neben der nächsten. Auch das Rathaus und der Komplex des Soroka Krankenhauses sind beeindruckende Monumente. Aber im Wohnungsbau sieht die Sache ganz anders aus. Im Hai Quarter lässt sich nachvollziehen, dass viele Ideen der Architekten von den Bewohnern nicht angenommen wurden, denn individuelle Erweiterungen und Anpassungen überwuchern dort die Klarheit der standardisierte Architektur.
Das Material Beton und der Staat Israel
Beton ist das Baumaterial des Staates Israels. In diesem schlichten Material spiegeln sich die komplexen politischen und historischen Schichten und Verwerfungen des Nahen Ostens aus komplexe Weise. Die traditionelle Architektur Palästinas wird aus Naturstein errichtet. Dann streikten die auf Naturstein spezialisierten arabischen Bauarbeiter von 1936-1939 während einer arabischen Revolte. Der Boom des Beton begann.
Beton prägt aber nicht nur die Städte in Israel. Beton ist auch im palästinensisch israelischen Konflikt überall gegenwärtig. Die entsetzliche Sperrmauer, die Israel vom Westjordanland trennt, ist aus Beton gegossen. Bunker, die sich überall im Land befinden, sind aus Beton. Die Militärische Vorposten sind aus Beton zusammengeschustert.
Über 60% Israels sind Wüste, Beton und Wüste das ist das perfekte Match. Hier kannst Du eine Auswahl der Brutalismus Perlen sehen, die junge, wilde Architekten mitten in der Wüste aus Beton gezaubert haben.
Das Rathaus von Beer Sheva
Das Rathaus von Beer Sheva ist auf einem rechteckigen Grundriss gebaut. Es wird von mehreren Türmen flankiert. Das Untergeschoss ist mit Naturstein verblendet. Von diesem Fundament ist der obere Teil der Fassade durch ein horizontal verlaufendes Fensterband getrennt. Fast scheint die senkrecht gegliederte Betonfassade mit vielen Lichtschlitzen über dem Sockel zu schweben. Die Fassade lässt sich als eine Art Gardine oder als Palisaden Zaun interpretieren. Im Inneren sieht es ein bisschen bunter aus. Dort öffnet sich das Gebäude zu drei Innenhöfen.
Yad Lebanim – Gedenkstätte und Kulturzentrum in Beer Sheva
Das Yad Lebenim besteht aus einem geschlossenen Baukörper, wie eine massive Box. Die fensterlose Fassade legt sich in tiefe Falten. Fenster sind weit oben angebracht. Die spitze Auffaltung der Fensterreihe erscheint wie der Querschnitt durch die gefalteten Fassade. Das Gebäude war urpsrünglich als Synagoge geplant. Heute ist es eine Gedenkstätte für gefallene israelische SoldatInnen.
Ben-Gurion Universität Fakultät für Geisteswissenschaften – eine Brutalismus Kathedrale
Hell / Dunkel. Schwer / Leicht. Offen / Geschlossen. Das Gebäude der Fakultät für Geisteswissenschaften changiert zwischen diesen Kontrasten. Das Herz des Gebäudes pulsiert in einer offenen / verschlossenen, lichten / dunklen Halle. Schlanke Betonstreben tragen ein Gitternetz, das ein Gewölbe stüzt. Wie in einer gotischen Kathedrale löst Licht die Schwere der Konstruktion auf. Trotzdem ist dieser Raum ein unverkennbar profaner Raum. Das Gittermotiv taucht immer wieder auf. Auf den Böden oder außen an der Fassade. Türme geben dem Gebäude einen schweren wehrhaften Charakter. Runde Scheinfenster fügen der Kirchenburg einen maritime Charakter bei.
Ben-Gurion Universität Zalman Aranne Universitätsbibliothek – schwebender Brutalismus
Das Gebäude der Universitätsbilbliothek ist ein völlig abgeschlossener Bücherbunker. Das Treppenhaus ragt wie ein Wachturm mit langer Schießscharte aus der Bibliothek heraus. Nur oben auf der Zalman Aranne Universitätsbibliothek tanzen in gleichmäßigen Wellen und Stufen unzählige Fenster auf und ab. Mit ihren senkrechten Streben erinnern sie ein wenig an Katzenaugen.
Fenster ganz oben und nach Norden ausgerichtet? Die skulpturale Dachgestatlung dieser Brutalismus Beauty nimmt Rücksicht auf den Bauplatz Wüste und die Wüstensonne. Von Norden dringt kein sengedes Sonnenlicht in die Lesesäle der Bibliothek, die tagsüber nur indirekt beleuchtet werden. Vielleicht ist die bewegte Dachskulptur ja von Sanddünnen oder Sandverwehungen in der Wüste inspiriert.
Ben-Gurion Universität Naturwissenschaftliche Fakultät
Die Gebäude der naturwissenschaftlichen Fakultät auf dem Campus der Ben-Gurion Universität sind um mehrere Innenhöfe gruppiert. Diese werden mit überdachten Durchgängen verbunden. Der Brutalimus Architektur Ethik folgend wird die Wahrheit des Material mit der “Zurschaustellung“ des Beton erreicht. Die funktionale Wahrheit enthüllt sich in der Geometrie der Schrägen, Treppen werden geradezu aus der Fassade geschnitten, das schräge Dach des Durchgangs verweist auf die ansteigenden Sitzreihen des Hörsaals, der dadrüber liegt. Die Brutalismus Architektur Ethik bezieht auch die Anforderungen des Bauplatzes mit ein. Die abgeschrägten Fenster und die Beton-Lamellen sollen die Innenräume vor dem starken Licht der Wüstensonne schützen.
Raffi Hall auf dem Soroka Krankenhaus Campus in Beer Sheva
Stern oder Spinne? Was sich halt aus Beton so machen lässt. Bei der Beschreibung dieser komplexen geometrischen Formen der Raffi Hall gehen die Sichtweisen weit auseinander, aber Ich tippe auf Flying Saucer. Ganz klar der Zukunft zugewandt. Ganz klar optimistisch. Vielleicht ist diese Form aber auch von einem traditionellen Beduinen Zelt abgeleitet. Es wäre typisch für den Brutalismus in Beer Sheva, Traditionen der Beduinen aus der Negev Wüste aufzunehmen und zu interpretieren. In der Raffi Hall befindet sich die medizinische Bibliothek des Soroka Krankenhauses, das ein Lehrkrankenhaus der Ben Gurion Universität ist.
Zentrales Bettenhaus des Soroka Krankenhaus Campus
Das zentrale Bettenhaus ist ein langer Riegel. Der scheint zu schweben. Die Stockwerke sind auf Stelzen aufgesockelt. Die Fassade ist mit großzügigen Quadraten in ein gleichmäßiges lichtes Raster gegliedert.
Drawer Tower – Ein Brutalismus Trumm
Wow! Brutalismus genial! Skulptur oder Wohnhaus? Der Schubladen Turm macht seinem Namen wirklich alles Ehre. Er sieht aus wie ein freistehende Kommode mit geöffneten Schubladen. Jeder aus der Fassade gezogene “Schubkasten“ ist ein Raum ohne Decke. Dieser an der Fassade angebrachte Außenraum nimmt ein traditonelles Motiv der arabischen Architektur auf: den Innenhof. Denn eine Schublade und drei drumherum gruppierte Räume bilden eine Wohnung. Eigentlich ist jede Schublade eine Art Balkon mit einer ziemlich hohen Brüstung. Die senkrechten Fensterschlitze sehen aus wie Schießscharten. Mal eine ganz praktische Frage: wie wohnt es sich ohne ordentliche Fenster? Kennen wir alle. Schönheit und die Gute Idee triumphieren über behaglichen Komfort.
Haben die Bewohner sich mit den sichtbehinderten nach oben offenen Außenräumen angefreundet? Ich glaube nein, denn auf viele Schubalden wurde ein Wellblech-Dach montiert. Drinnen wurde es heiß. Dann kam die Klimaanlage. Dieses Brutalismus Gebäude war für viele Jahre das einzige Hochhaus in Beer Sheva. Trotz der sensationellen Wirkung im Stadtraum nachvollziehbar. Jede Wohnung sieht aus wie eine Etagen-Festung.
Reihenhäuser im Hei Quarter in Beer Sheva
Das Hei Quarter ist eine von drei Modellsiedlungen, die Ende der 50er Jahre in Israel geplant wurden. Die anderen wurden in Tel Aviv und Haifa errichtet. Es ist die einzige Wohnnachbarschaft, deren städtebauliche Struktur nach der Brutalismus Ethik geplant worden ist. Dabei ist ein Stadtviertel mit einer Art Teppich Muster entstanden. Lange schnurrgerade Straßen und Wege, die sich im rechten Winkel kreuzen, erinnern an die osmanische Altstadt. Überdachte Wege zitieren arabische Bautradition. Verschattete Gärten mit hohen Mauern, überdachte Balkone und tiefliegende Eingänge berücksichtigen die Anforderungen des Wüstenklimas, der starken Sonne und der Sandstürme. Kubische Bauformen und Gewölbekonstruktionen verschmelzen den internationalen Stil mit osmanischen Bautraditionen.
Quarter Kilometre House
Das Viertel Kilometer Haus sieht aus wie ein seitlich umgekippter Wolkenkratzer. Die 250 Meter Beton sind auf Stelzen aufgebockt. Die Eingänge sind nur über eine Brücke zu erreichen. Eine Wohnmaschine mit 138 Wohneinheiten. Unterhalb des Hauses verläuft eine überdachte Straße für Fußgänger, die heute abgesperrt ist. Avraham Yaski war 30 Jahre alt, als er den Entwurf lieferte. Heute sagt er über seine Planung, sie sei gescheitert.
Brutalismus in der Altstadt von Beer Sheva
Die Altstadt von Beer Sheva ist ziemlich neu. Erst Anfang des 20. Jahrunderts wurde Beer Sheba von den Osmanen wieder gegründet. Sie errichteten eine Stadt auf einem rationalen Raster. Schmale Straßen kreuzen sich im rechten Winkel. Die Häuser sind höchstens zweigeschossig. Seit den 50er Jahren wurde auch hier modernisiert. Eines des spektakuärsten Gebäude des Brutalismus findet sich an der Ecke Ha-Atsmaut Street und He-Kaluts Street. Es ist ein wabenartig aufgebauter Büroturm.
Hier erfährst Du noch mehr über Beer Sheva – Brutalismus in der Negev Wüste.
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