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Capri und die Zeit dazwischen

Capri! Die Insel aller Inseln! Üppige Natur, blaues Meer, schroffe Klippen und ziemlich durchgeknallte Typen. Zwei echte Freaks habe ich bei meinem viel zu kurzen Tagesausflug nach Capri besucht. Dabei musste ich feststellen, die zauberhafte Insel Capri ist ein Krankenhaus.
Inhalt

Capri – Die Insel aller Inseln

Auf Inseln gibt es viel mehr Tageszeiten als üblich. Klar, es gibt natürlich Morgen und Abend. Doch dann gibt es da noch die Zeit vor der Ankunft der Tagestouristen, die Zeit nach der Abreise der Tagestouristen und die Zeit dazwischen.

Capri kenne ich nur aus dieser “Zeit dazwischen“. Leider. Für mehr als einen Tagesauflug nach Capri hat es noch nie gereicht. Ich komme höchstens für ein paar Stunden auf die Insel aller Inseln, früh morgens mit dem Boot so wie bis zu 15.000 andere Tagesgäste, jeden Morgen während der Saison.

Ein Tagesausflug nach Capri

Ab 6:45 flitzen die Schnellboote in einem dichteren Takt als die neue Metro in Neapel über den noch träumenden, dunkelblauen Golf. Sie kübeln verschlafene, lärmende, übellaunige und meist schlecht angezogene Menschen zwischen 50 und scheintot unter der Regie eines knusperbraunen, halbseidenen Gigolos mit der Berufsbezeichnung Reiseleiter auf die Insel der Schönen und Superreichen, der Schwulen und Dandys, der Moribunden und Perversen. Was für ein Kontrast.

Sobald ein Schiff seinen menschlichen Ballast in Capri auf die Hafenmole zu speien beginnt, stützt ein Heer perfekt geschulter Transportspezialisten auf diese amorphe Fracht und bugsiert sie in Busse, Taxen oder kleinere Boote. Und schon brausen zweifelhafte Sonnenhüte, quietschige Sonnentops, beige Wendejacken und klobige Trekking-Sandalen johlend und mit Affenzahn Richtung Anacapri und Axel Munthe oder Blauer Grotte davon. Genau dorthin wo sie hingehören!

Kaum sind sie verschwunden, kurvt das nächste Schnellboot um die Hafenmauer und landet eine frische Ladung aufgedrehter Freizeitklamotte in der Marina Grande an. Nochmal das selbe Spektakel und schwups ist auch diese Masse wegverdaut. In Capris Hafen flattert es den ganzen Morgen wie bei der Evakuierung einer Hühnerfarm. Mir wird schon vom Zusehen ganz schummerig. Also schnell weg. Ich kaufe mir ein Ticket für den öffentlichen Nahverkehr und tuckere mit der Drahtseilbahn, der Funiculare, hinauf nach Capri Ort.

Blick vom Monte Timberio in Capri auf den Vesuv. Im Vordergund gelbe Wolfsmilch.
Ein dunstiger und regnerischer Tag in Capri. Der Vesuv verschleiert
Blick die Steilküste von Capri hinunter auf das blaue Meer.
Typisch Capri. Schroffe Felsen und steile Klippen

Ausblicke nur für Götter

Oben in Capri Ort an der Seilbahnstation, nur ein paar versteckte Treppenstufen runter, gibt es diese ganz und gar unscheinbare, fast menschleere Terrasse, mit einem genialen Götterblick. Vor dieser fantastischen Loge wird mal wieder das klassische Naturschauspiel Golf von Neapel gegeben. Kenn ich eigentlich schon. Aber von Capri aus sind dieses dunkelblaue, bleischwere Meer und die Schönheitslinien der Küstenlandschaft des Golfs aus Kurven, Kegeln und schroffen Felsen eine faszinierende und überraschend neue Inszenierung. Hier möchte ich bleiben.

Ein Tag für Capri. Das ist nicht viel. Was soll ich machen? Shoppen durch chicen Boutiquen und die Insel im Papagallo Look verlassen? Rumlungern auf der berühmten Piazzetta und überteuerte Cocktails konsumieren oder einfach die Natur erkunden? Ich geh einfach drauf los.

Und plötzlich diese typische Überraschung, die sich in allen überlaufenen Touristenfallen dieser Welt erleben lässt. Sobald Du Dich auf Abwegen befindest, bist Du allein. Oder zumindest bist Du etwas mehr allein. Ich biege von der berühmten Piazzetta in Capri unter einem großen weißen Bogen nach links, komme an einem Obstgeschäft und einem Metzger vorbei und steige langsam aus dem Ort heraus und Richtung Villa Jovis empor. An den Hauswänden wuchern üppig die Bouganvillien, in den Gärten duften Zitronenblüten und Jasmin.

Ein schroffer unbequemer Felsen im Meer

Das Leben in diesen Gässchen ist so gar nicht mondän. Frauen in praktischen Hauskleidern wuchten mit ausgeleierten Hakenporsche ihre Einkäufe den Hang empor. Die besonders glücklichen haben die Ladefläche eines knatterndes Elektrodreirad gekapert und fahren als stolze Gallionsfigur ihre Lebensmittel neben Werkzeugen und Schutt nach Hause. Es gibt bestimmt praktischere Orte, ein modernes Leben zu leben, als Capri.

Eigentlich ist Capri einfach nur ein abweisender und schroffer Felsen im Meer. Lebensfeindlich! Im Parco Astarita auf dem Weg zur Villa Jovis lässt sich das eindrucksvoll erleben. Der Garten bietet vor allem kühne, schwindelerregende Ausblicke die steilen Kalksteinfelsen von Capri hinunter auf ein tosendes, alles verschlingendes Meer. Eine mediterrane Macchia aus Wolfsmilchgewächsen und krüppeligen See-Kiefern krallt sich an die Felswände. Tief unten tummeln sich Möwen im Miniaturformat. Jeder Blick in die Tiefe entfesselt diesen gefährlichen, verführerischen Sog hinunter ins bleierne Meer. Ich spüre ihn als beunruhigendes, kribbeliges Bauchnabelgefühl.

Die Halbinsel von Sorrent von Capri aus gesehen.
Götterblick! Die Aussicht des Tiberius auf die Halbinsel von Sorrent und den Golf von Salerno
Ruinen der Villa Jovis auf Capri.
Trümmer der Villa Jovis

Das kaiserliche Horrorhaus von Capri

Dann stehe ich vor den Ruinen des Horrorhaus’ von Capri. Der Villa Jovis des Kaiser Tiberius. Der römische Imperator soll sich nach Auskunft des kaiserlichen Biographen Suetons in die schroffe Abgeschiedenheit der Insel Capri zurück gezogen haben, um dort ganz ungestört seine perverse Fantasien in die Tat umsetzen zu können. Schauplatz der krankhaften Triebaktivität des Tiberius die Villa Jovis.

Der widerliche Lüstling soll in prächtigen Mamorsälen scharenweise unschuldige Kinder geschändet haben. Die süßen Kleinen habe er nach einmaligem Gebrauch über die hohen Klippen hinunter ins Meer entsorgt, damit kein anderer Widerling seine schwitzige Hand anlegen konnte.

Ich stelle mir den Schriftsteller Sueton vor als einen gichtigen, versauten Sabbergreis, der in einer schäbigen, abgedunkelten Kammer sexuell frustriert und darum dauernd angegeilt mit einem glitschigen Griffel Fake-News über Tiberius in eine unschuldige Wachstafel schmiert. Aus seinem schlaffen Mund stöhnt es: “Kinder ficken, ja das ist gut … sehr gut … aber … “ Hinter den verträumt geschlossenen Augenlidern der Schreckse Sueton zuckt es ganz aufgeregt “… und hinterher wegwerfen … ja, ja, ja … das ist noch besser!“ Das pralle Geschäft der Schmierfinken läuft eben immer gleich. Kennen wir doch.

Tatort erfundener Verbrechen

Wo war er bloß der Mamorsaal? Wo wurden denn die unschuldigen Opfer des Kaiser Tiberius die Klippen hinunter in den Tod geschubst? Hinter welchen Ecken sich die Tatorte dieser außerordentlich spektakulär erfundenen Verbrechen verbergen könnten, ist nicht mehr auszumachen. Die kaiserliche Villa Jovis ist heute ein durch Terrassen und Treppen strukturiertes etwas ödes Trümmerfeld. Ich kracksele hindurch wie eine humpelige Bergziege. Archäologen vertreten die These, dass die Mauerreste die Fundamente der kaiserlichen Villa seien. Der eigentlich Palast habe sich oberhalb dieses Steinhaufens befunden.

Den Bauplatz hat der Kaiser auf jeden Fall spektakulär gewählt. Die Villa Jovis thront auf einer hohen steilen Klippe am östlichen Ende der Insel Capri. Der Blick natürlich herrscherlich. Wieder so ein Götterblick. Wie vom Olymp hinunter auf eine zauberhafte Spielzeugwelt.

Wolfsmilch ein typisches Macchia Gewächs auf Capri.
Harzige Macchia an den Klippen von Capri
Vorhalle der Villa Lysis auf Capri
Die Villa Lysis. Amori Et Dolori Sacrum, Heilige Stätte der Liebe und des Schmerz … Auweia

Capri – Asyl, Kurort, Sanatorium

Kurz vor dem Tor zur Villa Jovis biegt links ein schmaler Weg in eine Wildnis ab. Der Pfad führt über Stock und Stein – links duftet die harzige Macchia, rechts wabert der nebelige Umriss des Vesuv – hinunter zur Villa Lysis, dem märchenhafte Lotterhaus des französischen Dandys Jacques d’Adelswärd-Fersen.

“Wer so wohnen könnte, mit einem solchen Blick, müßte dem nicht tiefe Zufriedenheit, ja Glück beschieden sein?“ fragt Thomas Steinfeld in seinem Essay Jacques d’Adelswärd-Fersen und seine Villa Lysis. Aber die Antwort Steinfelds ist ernüchternd.

Als dieses Märchenschloss auf einer Klippe unterhalb der Villa Jovis errichtet wurde, war die Freizeit und der Urlaub noch kaum erfunden. “Die Insel Capri, damals kahl wie ein gerupftes Huhn, war weniger Sommerfrische als vielmehr Kurort und Asyl vor den Zudringlichkeiten der technischen Moderne … Führende Nervenärzte empfahlen einen Aufenthalt auf Capri zur Beruhigung der zerrütteten Geister“. Für Steinfelds ähnelt die Villa Lysis eher einem Sanatorium als einem Wohnhaus. Die Idee der luxuriösen Krankenhaus Insel Capri hält sich bis heute. Qui si sana , Hier werden sie geheilt, ist doch tatsächlich der Name eines der großen 5 Sterne Hotels auf Capri.

Bauinschrift auf einer Marmortafel an der Villa Lysis in Capri.
Gewidmet der Jugend und der Liebe
Skulptur eines tanzenden Knaben im Garten der Villa Lysis.
Zweifelhafter Pädo-Kitsch auf einer Terrasse der Villa Lysis

An die Jugend, die Liebe und den Schmerz

Welche Zerrüttung der Geister musste der Dandy aus Paris, steinreiche Stahlerbe und Poet auf Capri beruhigen? Nach einem saftigen Skandal um schwülstige Päderasten-Parties voller Antiken-Kitsch und anschließender gesellschaftlicher Ächtung, blieb Fersen nur das Exil im Süden. In Rom lernt er den 15 jährigen Bauarbeiter Nino Cesarini lieben. Sie ziehen nach Capri. Die Villa Lysis wird gebaut. Nino setzt den letzten Stein. Eine versteckte Widmung an die Jugend und die Liebe. In seinem Lustschloss nimmt sich Jacques d’Adelswärd-Fersen mit einer in Champagner aufgelösten Überdosis Kokain mit 43 Jahren das Leben.

Am Eingang der Villa stimmt eine Inschrift den Besucher auf die Ambivalenz des Ortes ein. Amori Et Dolori Sacrum, Heilige Stätte der Liebe und des Schmerz. Wie Mehltau legt sich diese melancholische Widmung mir auf die Seele. “Wer so wohnen könnte, mit einem solchen Blick …“ Ich rätsele, könnte ich hier glücklich und zufrieden werden? Es ist schon super schön hier. Lässt sich gar nicht beschreiben. Ok, diesen gazellengleichen Bronze-Epheben im Garten müsste ich los werden, im Badezimmer da hätte ich anstelle dieser Wanne gerne eine Dusche und lässt sich irgendwo im Park ein Infinity-Pool anlegen … Und was mache ich bloß mit der Opium-Grotte, in der sich der Graf Fersen mit seinen Knaben regelmäßig zugeballtert hat?

Mit versponnenen Gedanken neigt sich die Zeit dazwischen schon ihrem Ende zu. Mist, ist das bisschen Tagesausflug  auf Capri schon wieder vorbei. Es hat sich ausgeträumt. Ich muss zurück zum Hafen und zur Fähre.

Auf dem Weg nach Capri Ort greife ich noch eilig ein Pannino und eine Cola ab. Ich spring in die Funiculare und schwebe den Zudringlichkeiten der technischen Moderne entgegen. Sonnenhüte, Wendejacken, Trekking-Sandalen haben mich wieder. Oh Gott, nur schnell auf’s Boot, Augen zu und weiterträumen. Adieu, Heilige Stätte der Liebe …

Blick auf die Marina Grande den Hafen von Capri.
So weit weg.  Die Marina Grande, der Hafen von Capri, gesehen hoch oben von der Freitreppe der Villa Lysis aus
Ein Rosenstrauch vor der Villa Lysis in Capri.
Adieu, Heilige Stätte der Liebe …

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Auf einen Blick

Ein Tagesausflug nach Capri ist eigentlich viel zu kurz. Was lässt sich an einem Tag auf dieser legendären Insel erleben? Geht Capri auch ohne Touristen-Rummel? Mich zieht es in die Natur. Ich entdecke bei einer Wanderung hinauf zum Monte Timberio und zur Villa Jovis die herbe Schönheit der Insel. Auf dem Rückweg mache ich bei der märchenhaften Villa Lysis Halt. Hier erfahre ich, warum die ersten Nordeuropäer zur Erholung überhaupt nach Capri kamen. Und dann ist es schon wieder Zeit abzufahren. Leider!