Mit dem Zug nach Den Haag
An einem Sonntag früh setze ich mich in Amsterdam in den Zug. Wenn die Holländer nicht Fahrrad fahren, fahren sie Zug. Kein Wunder. Das Schienennetz ist super und die Tickets sind günstig. Das Ein- und Auschecken mit der aufladbaren OV-Chipkaart muss ein Vergnügen sein, so exzessiv wie die Einheimischen es betreiben. Es hat einfach Jeder eine. Und: in den Niederlanden dauert keine Zugfahrt mehr als 3 Stunden. So macht das Spaß. Wir fahren in Richtung Südwesten. An dem hübschen Haarlem vorbei und vielen, vielen Tulpenfeldern. Passieren Leiden und schwupps, sind wir 45 Minuten später schon am Ziel.
Überraschung statt geplanter Den Haag-Action
Ich steige aus, besorge mir noch im Bahnhof einen kleinen Stadtplan und versuche mich zu orientieren. Eigentlich hatte ich meinen Tagesausflug ganz anders geplant. Doch dann sehe ich: Anton Corbijn ist in der Stadt. Der große niederländische Fotograf ist weltweit bekannt für seine Porträts internationaler Rockgrößen. Mit Filmen wie „Most wanted Man“, „The American“ und „Control“ hat er sich auch als Regisseur einen Namen gemacht. Er wird 60. Natürlich ehren seine Landsleute ihn da mit einer Doppelausstellung im Fotomuseum und dem benachbarten Gemeentemuseum von Den Haag. Ich schnappe vor Freude nach Luft. Dann greife ich zum Hörer. Meine Freundin aus Amsterdam will die Ausstellung unbedingt auch besuchen. Bis sie eintrudelt, spaziere ich gemütlich in die Innenstadt von Den Haag. Sie ist zu dieser frühen sonntäglichen Stunde vollkommen leer.
In jeder Straße begegnen mir kleine Störche. An Hauswänden, auf Hinweisschildern. Überall. Vielleicht ein Fruchtbarkeits-Woodoo? Fußballfans wissen es besser. Der Storch steht im Zentrum des Logos des Fußballclubs ADO Den Haag. Auch deren Maskottchen, Storky, ist ein Storch. Und natürlich ist das Tier auch Teil des Den Haager Stadtwappens.
Ich komme am Mauritshuis vorbei, der Königlichen Gemäldesammlung. Hier lockt ein unverhofftes Wiedersehen mit einigen alten Bekannten aus Studienzeiten. Frühniederländische Porträtmalerei, Vermeer und anderen Reminiszenzen an das Goldene Zeitalter der Niederlande, wie die wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit des kleinen großen Landes im 17. Jahrhundert genannt wird. Spontan entscheide ich mich für einen Besuch. Der Eintritt ist saftig. 17,50 Euro für das Kombiticket. Und ich will ja noch zu Corbijn! Also kaufe ich eine Museumkaart: Ein Jahr in alle Museen der Niederlande für 59 Euro. Das lohnt sich allemal. Nur, nun bin ich im Kunstrausch.
Die Bullenhoden vom Mauritshuis in Den Haag
Die Sammlung ist wirklich beeindruckend. Das größte und bekannteste Bild ist ein großer Spaß. Es zeigt eine ländliche Szene im Großformat. Im Zentrum ein Bulle – von der Seite. Ich versuche mir vorzustellen, wie der Maler sorgsam, Strich für Strich die Fliege und die Kuhscheiße gemalt hat. Und bewundere seine anatomische Präzision. Für mich eine echte Entdeckung. Köstlich. Für damalige Zeiten revolutionär. Auch in der temporären Ausstellung, „Frick Collection – Art Treasures from New York“, entdecke ich tatsächlich Schätze über Schätze aus der Zeit des 13.-19. Jahrhunderts. Hinter den wasserseitigen Fenstern glitzert der Schlossweiher, um den herum die Stadt im 13. Jahrhundert entstanden ist.
Den Haag’s Kunst- und Politikzentrum
Neben dem Mauritshuis schließt sich der Binnenhof an, Sitz des Parlaments. Von hier wird das ganze Land regiert. Gegenüber liegt das Haags Historisch Museum. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, bis zum Zusammentreffen mit meiner Freundin ist noch Zeit. Dann nichts wie hin. Mit der Museumkaart habe ich ja jetzt den Schlüssel zum Glück. Das Museum ist klein, aber fein. Stadtgeschichte und Stadtentwicklung sowie die Rolle der Gilden im Goldenen Zeitalter sind äußerst anschaulich präsentiert. Hier lerne ich Den Haag als eine Stadt kennen, die schon immer stark von Einwanderung geprägt war. Bunt und reich – von Beginn an Sitz des Königshauses. Klar, dass an diesem Ort auch die Geschichte des Hauses Oranien-Nassau erlebbar wird.
Meine Freundin ist da. Wir treffen uns im Binnenhof. Die Stadt hat sich gefüllt, die Sonne lacht. Alle, auch die Polizisten, sind in Eis-Laune. Wir beschließen, zum Gemeentemuseum und Fotomuseum zu laufen. Der halbstündige Spaziergang führt uns am Internationalen Viertel vorbei. Urbane Architektur mischt sich mit Vorstadtidyll und protzigen Villen, in denen Botschaften residieren.
Aug in Aug mit Corbijn und seinen Rockstars
Als wir ankommen, wundern wir uns über die fehlenden Menschenmassen, immerhin wurden die beiden Ausstellungen erst am Vorabend eröffnet. Zu passender musikalischer Untermalung schlendern wir an Corbijns ikonischen Porträts weltbekannter Rockstars vorbei. Miles Davis, Henry Rollins und Elvis Costello. Morrissey, Tom Waits und Johnny Cash. David Bowie, Marianne Faithful, Siouxsie und noch so viele mehr. Die Verbindung seiner Schwarz-Weiß-Porträt mit den bekannten Klängen verwandelt den Raum. Alle wippen mit dem Fuß und lächeln. Die Stimmung ist super entspannt. Elektrisiert und inspiriert begreifen wir einmal mehr, was Musik für eine Macht ist. Und wie stark der Einfluss von Rockgrößen auf uns Normalsterbliche ist. Die sind das Fleisch gewordene Trägermedium ihrer Musik. Und Projektionsfläche unserer Sehnsüchte.
Leider haben wir nicht alle Zeit der Welt, um 17h ist Schluss. Und wir wollen ja noch zu Teil zwei der Show! Diese widmet sich Corbijns freien künstlerischen Arbeiten, Serien und Filmstills. An der Garderobe erfahren wir, wieso es relativ leer zu sein scheint. Der Künstler ist anwesend. Er signiert im Innenhof. Und alle sind da. Begeistert werfen auch wir einen Blick auf Corbijn, der tapfer gegen die nicht enden wollende Menschenschlange ansigniert. Wir beschließen, uns lieber seiner Kunst zu widmen.
Vom Kunstrausch zum Höhenrausch
Kurz nach 17h stehen wir an der Tramhaltestelle wie aus dem Paradies geschubst. Da fällt mir wieder ein, was ich in jedem Fall noch machen wollte. Dinner oder Sundowner im höchsten Gebäude der Niederlande, dem Hagse Toren. Wir nehmen die Straßenbahn Richtung Hauptbahnhof und bleiben einfach noch 2 Stationen länger sitzen. Zu übersehen ist der Tower wirklich nicht. Wie imposant. Hier wird gelebt, gearbeitet und sich vergnügt. Und zwar vom Feinsten. Im Fahrstuhl zum Restaurant The Penthouse schießen wir an Businessräumen, Co-Working spaces und Sportstudios vorbei. Auch Unterkünfte für Reisende gibt es. Nur schwindelfrei sollte man sein. Was für ein perfekter Tag. Das nächste Mal plane ich in jedem Fall mehr Zeit für Den Haag ein. Mehr Planung braucht es nicht.
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- Niederlande Reiseberichte
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- Natur und Kultur. Berlins Energie-Mix
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- Rotterdam: Eine Hafenstadt als Labor für Architektur mit Zukunft
Service Den Haag
Für alle, die länger bleiben und entspannt mit dem öffentlichen Nah- und Fernverkehr reisen wollen, lohnt sich die Anschaffung einer OV-Chipkaart.
Eine Museumkaart könnt ihr bequem vor Ort in jedem Museum kaufen. Sie wird sofort aktiviert und ist ab Kauf 1 volles Jahr gültig.
Wer im Restaurant The Penthouse essen möchte, sollte vorher reservieren. Der Zutritt zum Turm kostet zwar Eintritt. Doch dafür bekommt man im 42. Stock ein Freigetränk der Wahl.
Nirgendwo in den Niederlanden ist die Dichte an Sehenswürdigkeiten so hoch wie in Den Haag. Auf der offiziellen Website der Stadt findet ihr alle weiteren Informationen.