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Dithmarschen. Eine Insel in Schleswig-Holstein

Dithmarschen ist mehr als Kohl, Watt und Krabben. Der Horizont hängt tief und weit unter dem wechselhaften Himmel. Gehalten wird er, scheint’s, nur von den lehmigen, schweren Böden. Doch die Überraschung kommt von oben, denn Dithmarschen ist eine Insel. Oder?
Inhalt

Wo liegt Dithmarschen?

Wo eigentlich dieses „Dithmarschen“ genau liegt? Am Ende der A23 sage ich den Autofahrern. Auf halbem Weg von Hamburg nach Westerland auf Sylt denen, die mit dem ICE gen Norden immer in Heide / Holstein halten. Zwischen Hamburg und Dänemark, wenn ich mal gar nicht weiß, wo ich bei meinem Gegenüber geografisch ansetzen soll.

Himmel und endlose Weite über Dithmarschen, der starke Tidehub legt in regelmäßigen Abständen das Watt frei und irgendwo schummeln sich immer ein paar Windräder ins Bild. Willkommen in Dithmarschen.

Fakt ist, Dithmarschen ist von Wasser umflossen. Und könnte – entsprechend perforiert – mit spitzen Fingern aus seinem Platz auf der Landkarte gepult werden. Im Ernst! Das Gebiet der einstigen stolzen Bauernrepublik ist, bis auf seinen Geestrücken mit spektakulären Erhebungen wie der Kargshöge bei Schrum mit 78,5 Metern auch so flach wie ein Puzzlestück. Hier kann man am Montag schon sehen, wer Donnerstag zu Besuch kommt, schmunzelt der Volksmund zurecht.

Mit Dank an Prof. Frank Ringwald für das Dithmarschen-Puzzle!

Man muss nicht die Welt bereisen, um zu sehen, dass der Himmel überall blau ist. –Johann Wolfgang von Goethe

Dithmarschen | Gewässer | außenrum

Wo genau welche Gewässer um Dithmarschen herum fließen, ist flott beschrieben: Im Westen die Nordsee, im Norden die Eider, von Nordosten nach Süden markiert der Nordostseekanal die Grenze zum benachbarten Landkreis und das letzte Stück überbrückt die Elbmündung bei Brunsbüttel, gleichzeitig Einstieg in den Kanal, der nach siebenjähriger Bauzeit 1985 als Kaiser-Wilhelm-Kanal eingeweiht wurde.

Bei meinem aktuellen Besuch in der alten Heimat will ich diesen Rändern einmal wieder nachspüren. Meine ganz persönliche Puzzle-Party. Von Büsum übers Eidersperrwerk bis zur Elbmündung nach Brunsbüttel. Der Frühling eignet sich perfekt dafür. Die Dithmarscher Kohltage, die einen kreuz und quer durchs Landesinnere von Dithmarschen führen, sind erst im September dran. Ein landwirtschaftlich- kulinarisches Aushängeschild für die Region mit dem größten zusammenhängenden Kohlanbaugebiet Europas. Mehr dazu am Ende dieses Beitrags unter Service.

Blick auf den Büsumer Hafen.

Doch nun zurück zum anderen Protagonisten, dem Wasser. Wie anspruchsvoll es ist, im Einklang mit Tidehub und Strömungen, Fahrrinnen und Sandbänken auf der Nordsee unterwegs zu sein, habe ich in meinen Beiträgen übers Segeln auf dem Wattenmeer schon einmal beschrieben. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts nutzten auch die Krabbenfischer Segelboote für ihre Fangfahrten. Doch richtig Fahrt aufgenommen hat die Krabbenfischerei erst mit der dann einsetzenden Motorisierung.

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Nordsee | Büsum | Krabben satt

Meine Finger sind nicht motorisiert. Mein Lohn für 1,5 Stunden investierte Zeit und aufgeweichte Fingerkuppen? 550g Krabbenfleisch – und Anerkennung pur. Der Mann, der meine regulären Stundensätze kennt, weiß, er bekommt gleich pures Gold serviert. Die Zeit zum Selberpulen nehme ich mir gern. Das repetitive Gefummel hat was Meditatives. „Frisch vom Kutter“ heißt auch „ohne Konservierungsstoffe“. Und ist zudem deutlich günstiger als über den Handel.

Bereits am historischen Hafen von Büsum, am Ende der Büsumer Fußgängerzone, werde ich fündig. Die gut gelaunte und fröhlich geschminkte Verkäuferin und ihren Sonnenschirm entdecke ich sofort. Zahle 7 Euro pro Liter, das ist der Tagespreis vom 26.5.2017. Auf dem Wochenmarkt kosten 500g an diesem Wochenende schon 7,99 Euro, das gepulte Krabbenfleisch bewegt sich an diesem Wochenende preislich bei 5,99 Euro pro 100g. Mir läuft schon auf dem Nachhauseweg das Wasser im Mund zusammen.

Vom Armeleute-Essen zum Gourmet-Snack. Die begehrte und beliebte Büsumer „Krabbe“. Am besten schmeckt es fangfrisch. Vom Kutter. Kosten? Nach Tagespreis.

Stolze Preise für die kleinen schmackhaften Würmchen, die ihre Karriere einst als „Armeleute-Essen“ startete. Sie waren im flachen Wasser und vor allem in den Prielen leicht mit einem Schiebenetz zu fangen und bereicherten so die oft karge Küche. Später mauserten sie sich zum Gourmet-Snack. Irgendwann dazwischen war auch ich in den 1980ern bei unseren Camping-Urlauben oft in den Prielen der dänischen Nordsee unterwegs. An den Spaß des Jagens und Sammelns, die gemeinsamen Krabbenpul-und Futter-Orgien, erinnern wir uns heute noch gerne.

Das Weltnaturerbe Wattenmeer ist eine einzigartige Naturlandschaft, die man an Dithmarschens Küste intensiv erleben kann. Hier dürfen die Füße noch im Matsch spielen. Wattwandern tut Körper und Seele wohl und macht einfach Spaß. Besonders trittschön und angenehm zu laufen ist das Watt im Naturheilbad Büsum auf Höhe des Hauptstrandes. Die Zeiten für Hochwasser und Niedrigwasser wandern auch und lassen sich astronomisch vorausberechnen.

Wattwandern macht glücklich. In Büsumer Deichhausen (hier im Bild) ist es deutlich schlickiger als am Büsumer Hauptstrand. Aber da ist aktuell sowieso Deichschutz-Baustelle. Das Deckwerk und die „Wellenüberschlagssicherung“ werden erneut. Der Weg hinterm Deich heißt wirklich so.

Eidermündung | Tönning | Informationen satt

Die „Büsumer Krabben“ sind eigentlich Garnelen. Das und vieles mehr lernen wir im Wattforum Multimar in Tönning. Tönning liegt offiziell schon im Landkreis Nordfriesland, der sich nordöstlich des Eidersperrwerks bis zur dänischen Grenze erstreckt. Von Büsum aus sind es 36 Kilometer, von Heide / Holstein, der Kreisstadt Dithmarschens, gerade einmal 23 Kilometer. Und das Informationszentrum liegt an der Dithmarscher Straße. Dann passt’s doch wieder.

Blick auf den Tönninger Hafen. Im Hintergrund das Packhaus. Voraus, „Hinterm Deich“, laden traditionsreiche gastronomische Einrichtungen wie das „Godewind“ zum Verweilen ein. Aber Vorsicht, ihr seid hier schon auf der anderen Seite der Eider, also in Nordfriesland!

Im Multimar erfährt man alles über den Nationalpark Wattenmeer und seine tierischen Bewohner von Schwebegarnele und Qualle bis zu Schweinswal und Pottwal. Das ganze ist so interaktiv und spannend aufgebaut, dass wir eine spontane Verjüngungskur erleben. Und mindestens so einen Spaß haben wie die Kinder, denen wir begegnen. Und die komplett vergessen zu haben scheinen, dass draußen tollstes Strandwetter ist.

Im Inneren des Pottwalls ist es schummrig. Das Exponat ist eines der Highlights der umfangreichen Ausstellung im Wattforum Multimar in Tönning. Mit 40 Tonnen Lebendgewicht und 17,5 Metern Länge ist der Pottwal einer der größten Zahnwale, die wir kennen.
Der Walknochen, ein Fundstück, das hier in Tönning angespült wurde, ist kaum noch von der Steinmauer zu unterscheiden.

Kanaleinstieg | Brunsbüttel | Pötte satt

Sonntag mittag, Flut und Quallen. Also ein Ausflug an den südlichen Rand Dithmarschens. Keine 50 Minuten später parken wir am Brunsbüttler Elbehafen, hier befindet sich ein beeindruckendes Industriegebiet. Praktischerweise liegt die Tourist-Information gleich zwischen Hafenpromenade, Schleuseneinstieg und Parkplatz. Wir kommen gerade noch rechtzeitig zur sonntäglichen Führung durch die legendäre Schleusenanlage von Brunsbüttel. Heidi von der hiesigen Volkshochschule begleitet uns die nächsten 90 Minuten. Und erzählt uns alles über die Entstehung der künstlichen Wasserstraße, die bis heute die meist befahrene der Welt ist. Man muss sich vorstellen: Täglich werden hier 80-90 (!) dicke Pötte, zu deutsch, Container- oder Passagierschiffe, durchgeschleust.

Ein Containerschiff. Draußen von der Elbe kommt es her und ist schwer beladen. 7 Verkehrsklassen werden vergeben, um den Verkehr im NOK gut regeln zu können, und die Pötte werden immer größer.
Wer schleusen will, muss geduldig sein. 45 Minuten nach der Einfahrt steht der Containerfeeder immer noch in der 320 Meter langen Schleusenkammer.

Die anwesenden Schweizer staunen genauso über die interessanten Ausführungen wie die Locals. Neben mir und dem Mann, der mittlerweile schon ganz gut nordisch assimiliert ist, sind nämlich noch zwei waschechte Brunsbüttler da. Heidis Sprechtempo ist so gemächlich wie ihr Humor trocken. Die Mischung funktioniert bei der Fülle der technischen Informationen wunderbar.

Gebaute Poesie aus Stahl und Nieten. Eins der Schleusentore der Brunsbütteler Schleusenanlage am Eingang des Nord-Ostsee-Kanals. Gebaut wurde die künstliche Wasserstraße von 1887-1895, der erste Ausbau erfolgte bereits 1907-1914.

Wir haben tüchtig Spaß mit Zungenbrechern und Scrabble-Knallerworten wie Düsenstrahlpfahl, Langarmtieflöffelbagger und Schlitzstrahlgreifer. Da soll man einer sagen, Ingenieure hätten keinen Sinn für Poesie… Zum Einstieg in den 90-minütigen Führung mit Spaziergang entlang der 320 Meter langen Schleusenbecken, der Baustelle des 5. Schleusenbeckens und jeder Menge Stahl, Bentonit, Beton und Spundwände führt uns ein charmant wackeliger Film aus den 1970ern in die Entstehungsgeschichte des Baus am Ende des 19. Jahrhunderts ein.

Damals kam man von der Nord- zur Ostsee oder andersrum nur über Dänemark. Ein gewaltiger Umweg. Und auch sonst nicht ohne. Da beide Meere am Skagerak zusammentreffen, kommt es hier vermehrt zu Strudeln und starken Strömungen. Eine Herausforderung für die Seefahrt. Dass der Nord-Ostsee-Kanal, der mit den Jahren von 22 Meter auf 90 Meter Bodenbreite erweitert wurde, tatsächlich von Menschenhand erschaffen wurde, scheint unvorstellbar.

Meisterwerk von Menschenhand

Immer wieder rutschte der frisch ausgehobenen Marschboden über das Tagewerk und sackten Bagger ab. Da erstaunt es kaum, dass ein Großteil des Verdienstes der Arbeiter gleich wieder in Bier und Schnaps umgesetzt wurde. Aber die zaghaften Versuche, die Unterkünfte angenehmer und die Baustellen alkoholfrei zu gestalten, ließen sich nicht durchsetzen.

Kaum war der Kanal fertig, wurde er schon erweitert. Wurde das neu errichtete Beamtenviertel zwischen Hafen und Schleusentoren, wieder abgerissen. Wurden in Ergänzung der beiden ersten Schleusenkammern zwei weitere gebaut. Aktuell entsteht hier, zwischen den beiden „kleinen“ und den „großen“, eine fünfte Schleusenkammer. Die den Verkehr, der hier niemals stillsteht, auffangen wird, wenn die anderen sukzessive instand gesetzt werden.

Mit so einem Mammutbau wird man wohl niemals fertig. Wie gut, dass das nicht für die Kanaldurchquerung gilt. Knapp 100km sind es von Brunsbüttel nach Kiel Holtenau, 7-8 Stunden dauert die Durchfahrt. Selbst wenn bei einem Gefährt der Verkehrsklasse 4 mit gut 4.000-5.000 Euro zubuche schlägt, ist die Zeitersparnis immens. Von Amsterdam nach Rostock spart man 280sm (504km), von Hamburg nach Helsinki zum Beispiel ganze 445sm (801km). Darauf noch ein Krabbenbrot!

Hier kannst Du noch mehr über Schleswig-Holstein lesen:

Service

In Dithmarschen gibt’s immer watt zu gucken. Man kann aber auch einfach mal auf Schafe am Deich starren.

Wer darüber hinaus wissen will, was sich da in Wasser und Schlick so alles tummelt, de sei ein Ausflug ins nahe Tönning empfohlen. Seid ihr größer oder kleiner als ein ausgewachsener Schweinswal? Beides ist voll okay! Das Multimar Wattforum ist ein Spaß für Jung und Alt. Hingehen, Zeit mitbringen und sich treiben lassen. Wer das Wattenmeer nicht ohnehin schon faszinierend finden, wird sich hier verlieben. Nachhaltige Denkanstöße garantiert.

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Brunsbüttel verfügt über eine imposanten Industriehafen. Hier befindet sich der Einstieg von der Elbe in den Nordostseekanal (kurz: NOK), der in der internationalen Schifffahrt pragmatisch „Kiel-Kanal“ genannt wird. Er durchquert Schleswig-Holstein in nord-östlicher Richtung bis nach Kiel-Holtenau, wo er kurz vor dem Denkmal in Laboe wieder in die Kieler Förde fließt.