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Bari_002
Bari_002

Eine Nacht in Bari oder die Passeggiata am Meer

Bari in Süditalien. Kenn ich von der Durchreise. Nie länger als 4 Stunden. Wie schade! Denke ich. Bari scheint doch interessant: Hauptstadt der Region Apulien. Hafen an der azurblauen Adria. Wahlheimat des heiligen Nikolaus. Mein Wochenende und eine Nacht in Bari.
Inhalt

Bari – Wahlheimat des heiligen Nikolaus

Jeder kennt den Nikolaus, der aus nordischer Kälte kommt. Sein fliegender, von Rentieren gezogener Schlitten hält zur Weihnachtszeit vor unserem Haus. Der Nikolaus schüttelt sich den Schnee vom roten pelzbesetzten Mantel, rückt seine rote Zipfelmütze zurecht und schultert seinen prall gefüllten Überraschungssack. Irgendwo im Polarkreis soll eine geheimnisvolle Geschenke-Werkstatt verborgen sein.

In seiner Wahlheimat Apulien, der Heilige stammt nämlich ursprünglich aus Myra in der Türkei, entpuppt sich der Heilige Nikolaus dann als durch und durch mediterraner Papagallo Typ. Braungebranntes Gesicht, Mut zu schriller Klamotte und eine Vorliebe für ziemlich protzigen Schmuck. Er hält seinen Besuchern doch tatsächlich drei dicke Goldkugeln vor die Nase. Die sind sein Markenzeichen, daran ist er immer zu erkennen. Aber warum sieht der Nikolaus heute so anders aus?

Prozessionsfigur des Heilige Nikolaus von Bari.
Der Heilige Nikolaus von Bari

Das kam so: In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat Coca Cola der Kirche den populären Heiligen ganz einfach weggekapert und als Santa Claus für das Brause-Marketing populär relauncht. Die Image Auffrischung hatte ihren Preis: ein albernes Outfit in den Markenfarben Rot und Weiß und eine neue Bleibe in den einsamen Schneewüsten des Nordpols. Ob es dem heiligen Nikolaus da wirklich gut gefällt oder sehnt er sich zurück nach Bari? Immerhin hat er sich im Norden diesen gemütlichen Frustspeck unter seinem roten Mantel angefuttert.

Ein Wochenende und eine Nacht in Bari

Meine Sehnsucht zurückzukehren und Bari besser kennenzulernen, war auf jeden Fall so groß, dass ich mir endlich die Zeit genommen habe, mal ein ganzes Wochenende in Bari zu verbringen. Ich bin am Freitag Abend mit einer Art D-Zug angekommen. In Italien heißt der D-Zug euphemistisch Freccia Bianca, also weißer Pfeil. Ans Hochgeschwindigkeits-Netz der italienischen Eisenbahn ist Bari nämlich gar nicht angeschlossen. Am Sonntag wird dann sogar der Regionalverkehr der Bahn fast gänzlich eingestellt. Wer will auch am Sonntag Regionalbahn fahren? Zugfahren in Italien, gerade Apulien ist manchmal etwas kompliziert.

Ich hatte also richtig viel Zeit in Bari und habe mich durch die Gassen und Plätze der Altstadt treiben lassen, die Neustadt mit den protzigen Belle Epoque Kaufhäusern erkundet und bin an der Uferpromenade entlang geschlendert. Die größte Überraschung aber war für mich Bari bei Nacht. Und davon möchte ich erzählen.

Altstadt von Bari mit Resten einer mittelalterlichen Architektur.
Altstadt in Bari
Der gekreuzigte Christus. Beleuchteter Altar in Bari.
Altar an einer Straßenecke in der Altstadt von Bari

Bari – Eine komplizierte Stadt

Denn am Tag ist Bari eine komplizierte Stadt. Die ärmliche Altstadt auf einem kleinen Sporn am Meer ist menschenleer. Einige verängstigte Touristen irren zwischen der Kirche des heilige Nikolaus und dem Dom umher. Die Taschen fest an sich gepresst, den Fotoapparat mehrfach um das Handgelenk geschlungen. Irgendwo müssen sie gelesen haben, Bari sei eine richtig gefährliche Stadt.

In der Neustadt dagegen staut sich der Verkehr. Neustadt hört sich ultramodern an. Aber der Stadtplan geht zurück auf Napoleons Zeiten. Die Straßen sind für Autos einfach nicht gemacht. Zu schmal, zu eng. Ein ausgeklügeltes System von Einbahnstraßen soll Abhilfe schaffe, doch es verlängert vor allem die Fahrtzeit, vergrößert somit den Lärm und erhöht die Abgase in der Luft. Der Stresspegel und die Feinstaub-Belastung steigen.

Außerdem ist Bari eine äußerst geschäftige Stadt. Männer in teuren Anzügen und Frauen in schicken Kostümen sind schnell und hektisch unterwegs. Eingekleidet haben sie sich wahrscheinlich auf der Via Sparrano, der Fußgängerzone von Bari. Die Pradas, Guccis und Hermes dieser Welt bieten dort ihre Luxustextilien an. Englische Herren-Ausstatter offerieren edlen Zwirn. Die Altstadt ist arm. Die Neustadt ist richtig reich.

Elegante Abendkleidung für die Passeggiata in Bari bei Nacht.
Schaufenster in der Via Sparano
Eckturm eines Kaufhauses in Bari mit der Inschrift Mincuzzi.
Belle Époque: Das Kaufhaus Mincuzzi

Italien unterm Brennglas

Bari, das ist Italien unter dem Brennglas. Die Entwicklung der italienischen Stadt ist hier wie am Modell nachzuvollziehen. Da ist die mittelalterliche Altstadt über antiken Resten. Wer es sich leisten kann zieht weg. Die, die bleiben, stellen Stühle und Tische auf die Straße kneten dort ihre Nudeln oder grillen am Samstag Abend Tintenfisch im Freien. Denn wohnen in den engen, dunklen Häusern ist sicherlich kein Vergnügen. Das Leben auf der Piazza muss Abhilfe schaffen.

Um 1800 wird die Altstadt dann zu klein. Die Neustadt wird gebaut. Den verwinkelten Gassen einer fast arabisch wirkenden Altstadt wird die rationale Stadt auf einem Schachbrettmuster gegenübergestellt. Ende des 19. Jahrhunderts hinterlässt der neu entstehende Nationalstaat Italien seine architektonischen Spuren. Prächtige Theater, Verwaltungsgebäude und Kaufhäuser werden in die Stadt geklotzt.

Eine Halle mit Säulen und Bögen gegliedert.
Die Eingangshalle der Präfektur. Faschistische Romanik
Die Uferpromenade von Bari mit Gebäuden aus der faschistischen Ära.
Mare Nostrum! faschistische Einschüchterungs-Architektur an der Uferpromenade

Der Faschismus setzt noch obendrauf und verwandelt die Strandpromenade in eine theatralische Schauwand faschistischer Großmachts-Fantasie: Mare Nostrum. Unser Meer. Palmen werden gepflanzt. Unschuldige Pflanzen werden so zu Zeugen der Kolonisierung in Afrika. Von der Bauwut des Faschismus profitiert noch die Stadtentwicklung der italienischen Wirtschaftswunderjahre. In den 60er und 70er Jahren zerstören Beton, Stahl und Glas die Struktur einer gewachsenen Stadt.

Die Metropole wuchert planlos in die Landschaft hinein, frisst Dörfer und kleine Städte. Wildwuchs. Eine Art Moloch entsteht. Die Verkehrsplanung und die Stadtentwicklung hecheln dieser gewalttätigen Dynamik nur reagierend hinterher. Wie dramatisch die Situation in Bari ist, zeigt der Strand mit dem schönen Namen Pane e Pomodoro, Brot und Tomaten. “Das ist der einzige Strand auf der Welt, der nach einem Unwetter geschlossen wird!”, spotten die Bareser. Denn nach heftigen Regenfällen ergießt sich in der Nähe des Strandes aus der maroden, veralteten Kanalisation eine schwarze stinkende Brühe in das Meer vor Bari. Kanalratten Dreikilo schwer schwappen an der Küste. Erst seit kurzem ist diese Katastrophe provisorisch irgendwie im Griff.

Modernes Eckhaus in der Altstadt von Bari.
Der Kontrapunkt: Die 60er Jahre in Bari viel Glas und schwebende Gärten
Ein Hochhaus aus den 60er Jahren neben einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert.
Ein gelbes Relikt der napoleonischen Neustadt flankiert von der modernen Stadt

Eine Nacht in Bari – Die Passeggiata das Elixier des Südens

So viele Probleme. Also lieber eine Nacht in Bari. Das heißt Passeggiata. Die Passeggiata ist das Elixier des Südens. Die Passeggiata macht die Gesellschaft des Südens als Organismus sichtbar, als soziale Skulptur, als eine dauerhaft um sich selbst kreisende Bewegung. Mit Spaziergang ist die Passeggiata nur schlecht ins Deutsche übersetzt. Denn dem Spaziergang fehlt eindeutig der Zauber und die Magie. Die Passeggiata schlendert, flaniert, scharwenzelt, verweilt und beobachtet. Facciamo una passeggiata, das kann heißen raffiniertes Zeit totschlagen und Freunde treffen, das kann heißen schaun wir mal was geht, das kann heißen eine kleine Unterhaltung. Auf jeden Fall verspricht sie einen großen Spaß.

Die Passeggiata in Bari wird in der Altstadt aufgeführt. Die Nacht ist dunkel. Die Luft ist mild. Die Gaslaternen tauchen die weißen Kalksteinwände der alten Kirchen und Paläste in ein zärtliches oranges Licht. Eine Kulisse zum Glücklichsein. So einfach kann das nur der Süden.

Auf der Piazza del Ferrarese am Hafen wird die Ouvertüre zu diesem nächtlichen Spektakel gegeben. Die Straßencafes sind bis auf den letzten Stuhl besetzt. Familien mit Kindern, Gruppen von Freundinnen oder Freunden, Paare strömen über die Piazza und weiter in die Altstadt hinein auf der Suche nach einem Pub oder einem Glas Wein.

Fischerboote im Hafen von Bari.
Der Fischereihafen von Bari

Vom sündigen Panzerotto

Ich bin mit meinem Freund Michele unterwegs. Wir sind nicht auf der Suche nach einem Pub, wir wollen den besten Panzerotto der Stadt. Der Panzerotto ist die sündige Variation der Pizza Calzone. Gefüllt mit Mozarella, Tomaten und Schinken, die nicht etwa im Steinofen ausgebacken wird sondern in Öl gesotten. Mir kommt der Panzerotto vor wie eine verlockende, schmalzige Perversion der mediterranen Diät. Aber Bari bei Nacht das heißt eben auch: Mehr ist mehr! Darum ist eine frittierte Pizza Calzone noch nicht genug. Ein Nachtisch muss her. Das beste Gelato gibt es auf dem eleganten Corso Umberto. Da zieht es uns jetzt hin.

In dieser Nacht in Bari verstehe ich endlich warum die klassische Eiswaffel eine so unpraktische Spitze hat. Hier kommt in Bari die erste Portion Sahne rein, auf die die Eiskugeln sanft gebetet werden. Eine zweite, größere Sahneportion gibt es als Krönung oben auf. So muss Eis schmecken.

Dämmerung am Hafen, eine Nacht in Bari beginnt.
Die Mole von Bari

Michele und mich treibt es nun Richtung Meer. Wir setzen uns auf ein Geländer am Lungo Mare und schauen auf das schwarze nächtliche Meer. Anstelle sein Eis zu genießen, fängt Michele an zu schimpfen, auf die korrupten Politiker, die es nicht schaffen, Apulien in ein blühendes Tourismusparadies zu formen. Es ist doch alles da. Die Sonne, das Meer, die Geschichte und die reiche Kultur. Doch was passiert? Nichts! Er schimpft auf Deutschland, das einzige Land der Eurozone, das von der Einheitswährung profitiert, weil es billig exportiert und den Wohlstand der anderen Euro-Länder abschöpft. Er schimpft auf seine Heimat Bari, weil er die Zerstörung seiner Stadt durch miese Architektur nicht mehr ertragen kann. Michele ist ein wütender, enttäuschter junger Mann.

Vier Freunde in Bari

Andrea schlendert vorbei. Ein weiterer fantastisch aussehender, junger Mann, die Welt sollte ihm offen stehen. Einige Jahre war er in Rom, hat als Flugbegleiter für Alitalia gejobt. Bis die Krise ihm die Arbeit genommen hat. Dann kehrte er zurück. Familie und Freunde in Bari bieten im die soziale Sicherheit, die er in Rom nicht finden kann. Nun turnt er zum Gelderwerb als Teilzeit-Trainer in einem Yoga-Studio. Dieses Mini-Einkommen macht ihn nicht satt. In Bari hat sich nach seiner Meinung eine negative Stimmung breit gemacht. Geschäfte machen zu. Der Staat versagt. Die Krise ist da so wie in Griechenland. Perspektiven? Hier? Er lacht. Aber lustig hört sich das nicht an.

Auch Stefano und Lucca stimmen in das Lamento ein. Stefano hat sich gar nicht erst mit Ausbildung beschäftigt. Er hat zwar Abitur gemacht. Aber studieren oder weiterlernen? Fehlanzeige. “Theorie liegt mir nicht. Ich möchte lieber etwas praktisches machen.” Nur was? Das ist nicht klar. Auswandern wäre eine gute Sache. Mit Freunden nach London gehen oder nach Berlin. Was Neues anfangen. Das wäre sein Projekt. Doch im Hintergrund da lauert die Angst und paralysiert.

Eine breite Straße an der Küste.
Am Hafen

Lucca ist der jüngste in unserem Kreis. Student. Eigentlich letztes Semester Medizin. Wird wohl zwei Jahre dran hängen müssen. Typ boy next door und Schwiegermutters-Liebling, aber schwul. Das darf bloß niemand wissen. Er senkt die Stimme, wenn er über sein Schwulsein spricht. Nico Vendola, der offen homosexuelle Regierungschef Apuliens, der hat doch gegen Diskriminierung nichts getan. Der ist doch auch Politiker, der denkt doch nur an sich. Eine komische Mischung dieser Glaube an die Autorität gepaart mit bitterer Verdrossenheit. Auch das ist der Süden.

Die drei ziehen weiter. Zurück bleibt ihr Frust. Auch Michele hat nichts mehr zu sagen. Wir sitzen da und schauen aufs Meer. Das Eis haben wir inzwischen aufgegessen. Michele hat übrigens einen festen Arbeitsplatz. Unkündbar. Bei einer Bank. In der Kreditabteilung. Kein schöner Job, denke ich, jetzt mitten in der Krise.

Ein modernes Wohnhaus in Bari, vor dem Palmen wachsen.
Die Palmen von Bari

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