Die Piazza della Signoria – Ein Freilichtmuseum in Florenz
Must to Does gibt es in Florenz so viele, die lassen sich bei einer Reise gar nicht bewältigen. An jeder Straßenecke ein berühmter Name. Unzählige Kirchen und Museen versprechen Kunstgenuss und locken Reisende zum Besuch. Romantische Plätze laden zum Verweilen ein. Tausende Cafés und Bars bieten leibliche Wohlgenüsse und Erholung für heiß gelaufene Füße. Jeder Reisende kommt mit anderen Eindrücken aus Florenz zurück. Aber von diesen beiden Plätze wird jeder Florenz Tourist erzählen: der Piazza del Duomo und der Piazza della Signoria.
Denn jeder Florenz Besucher wird irgendwann an diese Orte gespült von einer nie endenden Bewegung der Schaulustigen und Bildungshungrigen, die den Dom, das Baptisterium oder den mittelalterlichen Ratspalast besuchen und bestaunen wollen. Praktischer Weise sind diese Plätze durch eine schnurgerade Straße miteinander verbunden, der Via dei Calzaiouli. Eine breite Fußgängerzone. Links und rechts bestückt mit Pizzaläden, Sandwich Shops und Eisdielen, die Mega-Eiswaffeln verkaufen.
Heiße Träume aus kalter Bronze auf der Piazza della Signoria
Als ich auf die Piazza della Signoria einbiege, sehe ich einen ziemlich großen, unbestimmten Platz dessen Zentrum leer und ungestaltet ist. Stadtmöblierung gibt es nicht. Hinten rechts steht massig und abweisend der festungsartige Palazzo Vecchio, das Rathaus von Florenz. Mit einem hoch aufragenden Turm beherrscht der Palast den Platz. Gleich daneben die Loggia dei Lanzi, eine offene Halle, die aussieht wie die Feldherrenhalle in München.
Dinge, die Aufmerksamkeit erregen, sind an den Rand des großen Platzes geräumt. Da gibt es einen großen Brunnen, der an der Ecke des Palazzo Vecchio klebt. Direkt daneben das riesige Reiterdenkmal für den Großherzog Cosimo. Vor dem Rathaus versammeln sich bedeutende Skulpturen verschiedenster Epochen. Unter anderem der berühmte David. Ein Meisterwerk des jungen Michelangelos. Allerdings wird das wertvolle Original auf der Piazza heute durch eine Kopie vertreten.
Der David des Michelangelo, der den Florentinern um 1500 als perfektes Abbild eines jungen Mannes galt, wird heute in den USA als plumpe Pornographie verschmäht. Völlig egal, dass der David eines der berühmtesten und meistfotografierten Kunstwerke der Welt. Der Mann zeigt nicht nur seinen muskulösen Körper her sondern auch seinen Schwanz. In Florida des Jahres 2023 ist das einfach nur ekelhafter Schmutz. Irre wie der David Michelangelos heute noch die Gemüter erregen kann.
Nix für bigotte Moralisten
Gott sei Dank ist diese bigotte Prüderie noch nicht auf der Piazza dells Signoria angelangt. Denn gleich neben dem nackten David, in der berühmten Loggia dei Lanzi reiht sich eine scharfe Skulptur neben der anderen. Eigentlich ist die gesamte Piazza ein ungeheuerlicher Skulpturenpark, den aus der Perspektive verklemmter Moralapostel so gar nicht geben dürfte. Denn bedeutende Bildhauer haben für diesen Platz Berge an nacktem Fleisch produziert. Sie haben eine Parade knackiger Ärsche und saftiger Schenkel aus Stein geschlagen. Üppige Brüste und kräftige Oberarme modelliert und sexy Vorlagen für erotische Träumereien aus kalter Bronze und hartem Marmor produziert. Anscheinend nicht für alle, denn neben mir schreit eine Frauenstimme auf Englisch: „Florence is so gay. All these naked men everywhere“. Sie kann damit nur den David und seine Kumpanen meinen.
Die bedeutendsten Bildhauer Florenz´ haben über die Jahrhunderte an dieser sinnlichen Präsentation männlicher Schönheit gewerkelt. Neben Michelangelos David gibt es Werke von Ammanati, Benvenuto Cellini, Giambologna und Donatello. Warum stehen hier so viele scharfe und aggressive Kerle nebeneinander? Welche Geschichten erzählen sie?
Judith, eine starke Frau aus Florenz
Donatello hat die einzige starke Frau auf diesem Platz dargestellt. Die altestamentarische Heroine Judith. Von einem hohen Sockel schaut sie auf mich herunter. Hochaufgerichtet mit erhobene Schwert, packt sie das von ihr abgeschlagene Haupt des sterbenden Holofernes am Schopfe, dessen lebloser Leib auf ein Kissen sinkt. Würden Kopfnoten für Haltung und Disziplin vergeben. Judith und Holofernes hätten eine Eins verdient.
Vielleicht muss es genauso traurig aussehen, wenn man dem Liebeslager aus Staatsräson gemordet wird. Trotz des dramatischen Geschehens stehen beide kerzengrade und vollkommen ruhig. Die Täterin hat das Opfer zwischen ihre Schenkeln geklemmt, damit der Oberkörper nicht nach hinten über fällt. Wenn sie jetzt noch mal mit dem Schwert zuschlägt, denke ich, dann geht der Hieb direkt in ihren Oberschenkel.
Donatello hat diese Skulptur für die Medici modeliert. Sie stand im Palazzo der Familie an der Via Larga. Vielleicht wollten die Medici mit dieser Skulptur zeigen, wir sind die wahren Herren von Florenz. Dann wäre die Judith die Personifikation der Medici und der gemeuchelte Holofernes die unterworfene Republik Florenz. Als wütende Bürger diese Skulptur aus dem Palazzo Medici holten und sie vor dem Palazzo della Signoria aufstellten, veränderte sie ihre Bedeutung. Nun wurde die triumphierende Stadtrepublik Florenz zur Judith. Holofernes dagegen symbolisierte die ins Exil vertriebenen Medici. Ein kompletter Rollen- und Bedeutungstausch.
Der Perseus von Benvenuto Cellini
Vielleicht war es auch ganz anders. Aber dafür, dass die Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts in Florenz den Umzug der Judith vom Palazzo auf die Piazza genauso verstanden, spricht vieles. Ganz besonders der super attraktive Perseus von Benvenuto Cellini. Er steht in der Loggia dei Lanzi schräg gegenüber.
Erneut ein Rollentausch. Nun hält der Mann das Schwert in der Hand. Es ist der siegreiche Perseus. Gerade erst hat er die dämonische Medusa, deren Anblick jeden sofort in Stein verwandelt, überlistet und geköpft. Tänzelnd steht er nun auf ihrem im Todeskampf bebenden Körper, der sich auf einem prächtigen Kissen windet. Der rechte Arm häng schon leblos herab, doch die linke Hand umfasst noch krampfhaft den Knöchel des linken Beins. Blut stürzt aus dem noch warmen Leib. Blutig tropft das Haupt.
Perseus hält den Kopf mit ausgestrecktem linken Arm triumphierend in die Höhe. Die Augen der Medusa sind vor Schreck weit aufgerissen. Der Mund steht offen, noch vom letzten Schrei. Dann fällt es mir auf. Perseus ist der Medusa wie aus dem Gesicht geschnitten. Ok, es gibt auch Unterschiede, da wo sich bei Perseus prächtige Locken wirbeln, winden sich eklige Schlangen um das Medusenhaupt.
Der Künstler und der Mörder
Perseus lässt sich in vollkommener Ruhe bewundern und bestaunen. Grausamkeit und männlicher Narzissmus kommen hier im Doppelpack. Nie sah Morden schöner aus. Dabei wusste Benvenuto genau, was töten ist. In seiner Biografie beschreibt er drei Morde, die er als junger Mann verübt. Mit 23 Jahren wird er zum ersten Male zum Tode verurteilt. Er entkommt der Strafe nur, weil Päpste, Könige und Herzöge auf seine künstlerischen Höchstleistungen nicht verzichten wollen. Der Künstler Benvenuto steht wegen seines Talents über dem Gesetz! Den Tod ständig im Nacken, muss er Kunst auf höchstem Niveau kreieren, um zu überleben. Was für ein Leistungsdruck.
Auftraggeber für den Perseus war der Medici Herzog Cosimo. Der war auch nicht zimperlich bei der Beseitigung politischer Gegner. Was bedeutet es eigentlich, wenn ein mordender Herzog einen mordenden Künstler beauftragt das perfekte Verbrechen darzustellen? Vielleicht dachte sich Cosimo folgendes, als er den Perseus zum ersten mal vor sich sah: ich der Herzog, personifiziert durch den schmucken Perseus, habe dem Gespenst der Republik, hier die Medusa, endgültig den Gar ausgemacht.
In der Loggia dei Lanzi hält noch der originale Perseus den Kopf der Medusa in die Luft. Der Sockel, auf dem Perseus steht, ist aber eine Kopie. Das Original befindet sich im Bargello Museum. Dort lassen sich noch weitere raffinierte Werke des Benvenuto Cellini bewundern.
Benvenuto Cellini und Goethe
Benvenuto war mächtig stolz auf seinen Perseus. Auf einem Band, das quer über den muskulösen Oberkörper läuft, hat er gut sichtbar seinen Namen angebracht. Außerdem berichtet er von der Herstellung ausführlich in seiner Autobiografie. Goethe fand diesen fantastischen, übertriebenen und eitlen Lebensbericht des verbrecherischen Hallodri Künstlers Benvenuto so großartig, dass er ihn ins Deutsche übersetzte: Das Leben des Benvenuto Cellini.
Cellini schreibt von den Querelen mit dem Auftraggeber Cosimo. Er lästert ab über seinen Bildhauerkollegen Ammanati, der den grotesken Neptunbrunnen auf die Piazza klotzt. Er arbeitet sich an Michelangelo und Donatello ab, deren Kunst und Ruhm er mit seinem Perseus auf jeden Fall übertreffen will.
Unbedingt lesenswert ist die Schilderung des abenteuerlichen Gusses der Perseus Statue, einmal weil der Leser viel über Technik des Bildhauers erfährt. Ganz besonders aber, weil der Bronzeguss in einer schlimmen Katastrohe zu enden droht: die Elemente haben sich verschworen, der Ofen explodiert, Benvenutos Haus fängt Feuer, das auf Florenz überzuspringen droht. Benvenuto befürchtet während des Guss an fiebriger Überanstrengung zu sterben. Selten lagen Kunst und Inferno so nah beieinander.
Ein sinnlicher Tumult des Fleisches
Einen Bogen weiter schraubt sich in der Loggia dei Lanzi Giambolognas „Raub der Sabinerinnen“ in den Himmel von Florenz. Auch hier gibt es Sieger und Besiegte. Die bleiben namenlos. Sie stehen anonym für die Römer und die Sabiner. Verschreckt niedergekauert hockt ein alter Mann am Fuße der Gruppe. Breitbeinig steht ein jugendlicher Römer über ihm. Hier taucht das Standmotiv der Judith Donatellos wieder auf, die Holofernes zwischen ihren Schenkeln hält. Nun aber dynamisch, voll vorwärts stürmender Heftigkeit.
Mit kräftigen Armen schultert der Römer die weibliche Beute, die er dem niedergekämpften Vater, Bruder oder Ehemann entwunden hat, als sei sie ein Federgewicht. Dabei langt er mit seinen mächtigen Händen so fest hin, dass sich die Finger tief in das üppige Gesäß der schönen Sabinerin versenken. Die reckt und streckt sich so possierlich in der luftigen Höhe, dass dem Betrachter kein reizvolles Detail des nackten Körpers verborgen bleibt. Eine Bewegung folgt auf die andere. Alles ist aufeinander bezogen und so entsteht hier kein Tumult des Fleisches sondern eine kalkuliert wogende Dynamik.
Genies und Bürokünstler
Vom David Michelangelo’s wird gemunkelt, er habe ihn schon ganz Genie aus einem Marmorblock geschlagen, den andere Bildhauer unbrauchbar in der Dombauhütte zurück gelassen hätten. Mit dem kolossalen David ist dem jugendlichen Bilderhauer ein richtiges Wunderwerk gelungen. Benvenuto droht nach eigener Auskunft während des Gießens der Perseus Statue Florenz zu zerstören und einen heroischen Künstlertod zu sterben.
Soviel Leidenschaft kann Giambolognna nicht aufbieten. Er arbeitet eher wie ein Bürokünstler. Denn erst einmal hat er ein Modell aus Gips produziert, dieses feinsäuberlich vermessen und mit einem Netz aus winzigen Punkten überzogen. Die Messpunkte hat er dann akribisch auf mehrere Marmorblöcke übertragen, um danach Schlag auf Schlag den Blöcken den Künstlerwillen aufzuzwingen. Die sehen nun aus genauso aus wie das Modell. Sie sind Beleg dafür, dass der schiere Wille der unbelebten Materie Form und Gestalt aufzwingen kann. Dabei hat Giambologna seine Skulptur so genial zusammengesteckt, dass gar nicht mehr zu erkennen ist, wo die Blöcke aneinander stoßen. Das Unerwartete, das Schicksal, das Genie? Alles eingesperrt und domestiziert. So wie der Fürst seine Untertanen beherrscht?
Das Modell Giambolognas und der echte David Michelangelos logieren im gleichen Zuhause. Der Galeria dell’ Accademia in Florenz. Also mache ich mich auf den Weg zurück über die Via dei Calzaiouli zum Dom und von dort in die Via Ricasoli um zur Accademia zu gelangen. Damit ich mir diese Meisterwerke etwas genauer anschauen kann und noch mehr scharfe Kerle bewundern kann.
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Diese Skulpturen auf der Piazza della Signoria solltest Du gesehen haben:
- Donatello: Judith und Holofernes
- Michelangelo Buonarotti: David
- Bartolomeo Ammanati: Neptunbrunnen
- Benvenuto Cellini: Medusa
- Giambologna: Raub der Sabinerinnen und Reiterdenkmal für Großherzog Cosimo
- Baccio Bandinelli: Herkules und Cacus
- Wenn Du die Accademia in Florenz besuchen möchtest, findest Du hier die Infos
Piazza della Signoria in Florenz auf einen Blick:
Florenz ist ein riesiges Freilichtmuseum. Vollgestopft mit den tollsten Kunstwerken. Überall gibt’s knackige Feuerwerke der abgedrehtesten künstlerischen Ideen zu bewundern. Auf der Piazza della Signoria zum Beispiel eine riesige Auswahl von großartigen Plastiken, die bestaunt und betrachtet werden wollen. In diesem Artikel habe ich mir drei dieser Bildwerke genauer angeschaut: die Judith von Donatello, den Perseus von Benvenuto Cellini und den Raub der Sabinerin von Giambologna. Das sind Skulpturen, die ich sehr bewundere. Außerdem erzählen sie aberwitzige Geschichten aus Florenz.