Suche
Close this search box.
Suche
Close this search box.
Suche
Close this search box.
glasgow-titelbild
glasgow-titelbild

Glasgow – verliebt in die (un)schottischste Stadt von allen

Glasgow ist eine Stadt starker Kontraste. Glaswegians lieben ihre Stadt , die gemeinhin ganz anders wahrgenommen wird als Edinburgh, aber mit mindestens so vielen Superlativen aufwarten kann. Einen Eindruck können auch Kurztrip Besucher gewinnen. Wir haben ein paar Tipps mitgebracht. 
Inhalt

Glasgow – Eine Stadt der Kontraste

Wer mit dem Auto nach Glasgow reinfährt, darf nicht zart besaitet sein. Im Gegensatz zu den schottischen Naturlandschaften liefern die rostigen, verwitterten und runtergekommenen Spuren der industriellen Vergangenheit einen irritierenden Kontrast. Fast trotzig scheinen sich schmucklose Bauten an den Außenrändern von Schottlands größter Stadt und Straßen gegen die kleinere Hauptstadt Edinburgh abgrenzen zu wollen, der spöttische Zungen nachsagen, sie habe Freiluftmuseums-Charakter.

Das Navi bringt uns direkt zur Unterkunft, einem kleinen Boutique Hotel nahe Crosshill Road. Dort lassen wir den Wagen stehen und bewegen uns auf diesem Städte Trip mit Bus und Bahn. ScotRail bringt uns in einer Viertelstunde zum Hauptbahnhof von Glasgow. Hier schnappen wir uns eine City Map und laufen einfach los. Rund um den Bahnhof werden alle Schottland Klischees, die sich während unserer zweiwöchigen Rundreise bestätigt haben, hart kontrastiert.

Eine blaue Mülltonne lehnt an einer grauen Steinwand. Durch eine von Feuer geschmolzene Öffnung sind leere Getränkedosen zu sehen.
The People make Glasgow … ist ein Slogan des Stadtmarketings, der das raue Image, das der Stadt immer noch anhaftet, weicher machen soll. Das klappt an vielen Stellen sehr gut, an anderen eher nicht so.

Mighty Trash und Hochkultur

In der Innenstadt ist nun endgültig Schluss mit atemberaubenden Naturwundern und Whisky, Wandern und menschenleerer Weite. An der Rückseite des Bahnhofs, am Ufer des Clyde, werfen gelangweilte Jugendliche mit Schwung eine große Plastiktüte voll Müll in den Fluss. Schwankende Junkies mit glasigen Augen kreuzen unseren Weg, verstörte Seelen mit zerstörten Gesichtern brabbeln Unverständliches und zugedröhnte Obdachlose? dämmern auf Pappen dahin. Interessant ist, dass Schottland eine vergleichsweise strenge Drogenpolitik verfolgt.

Drogen sind meist nur ein Ventil und Süchte nur ein Symptom. Die tieferliegenden Probleme hinter dem Symptom löst eine Gesellschaft so sicher nicht. Das harte erste Eindruck wird am George Square durch buntes, lustiges Treiben übermalt. Zahlreiche Besucher scharren sich um das neogotische Rathaus mit seinem Kriegsmahnmal, unter ihnen eine Gruppe Portugiesen. Klar machen wir ein Foto von euch, bitte gerne. An diesem Hotspot vermischt sich viktorianisches Erbe mit gescheiterten Bauprojekten der Gegenwart und allem, was nach morgen zeigt.

George Square in Glasgow. Eine Straßenlampe teilt den Bildgrund in zwei Hälften. Im linken Bildfeld neoklassizistische und brutalistische Gebäude, davor ein Bus und menschliches Treiben. Rechts der Lampe, mehr im Vordergrund, die Skulptur des schottischen Erfinders James Watt
Der George Square in Glasgow – wer sich hier um 360° dreht, bekommt 100% Vielfalt und Kontraste. Glasgow pur, mit Erfindergeist und Bürgerstolz, neu und alt. Über dem bröckelndem Brutalismus des ehemaligen Glasgow City College ist der Slogan des Stadtmarketings aufgebracht: „People make Glasgow“ (vergleichbar zum Beispiel mit dem Slogan der deutschen Hauptstadt: Be Berlin).

Der Glasgow-Effekt

Glasgow ist nicht niedlich. Seine Transformation von einer Industrie- und Arbeiterstadt hin zu einem kulturellen und akademischen Hotspot hat „glas cau“ (alt-gälisch für grünes Tal) buchstäblich mit dem Schweiß und Blut seiner Arbeiter bezahlt. Die, die die Räder am Laufen hielten, gerieten schließlich dazwischen. Bis in die 2010er Jahre hinein lag die durchschnittliche Lebenserwartung in Glasgow bei 53 Jahren, das ist deutlich niedriger als im übrigen Europa und in wohlhabenden Gegenden Schottlands, wo Menschen locker das 77. Lebensjahr erreichen.

Was für den sogenannten Glasgow Effekt verantwortlich ist? Laut Experten ist es ein tödlicher Mix aus schlechter Ernährung, Armut, Arbeitslosigkeit und beengte Wohnverhältnisse. Dazu kommen Missbrauch von Alkohol und Drogen sowie eine hohe Zahl von Tötungsdelikten. Der tiefgreifende Wandel begann mit der Erkenntnis, dass in Substanzerhalt und Zukunft investiert werden müsse, um sich von dem zu erholen, was der historische Entwicklung und Zeitgeist weggeputzt hatten. Die überraschende Ernennung zur Kulturhauptstadt 1990 markiert den Beginn einer neuen Ära für Glagow. 1999 erhält die Stadt den Titel UK City of Architecture and Design, gefolgt von der Auszeichnung als europäische Sporthauptstadt 2003.

Ein Schriftzug auf Treppenstufen, die Worte verbunden durch geschwungene Striche. Wir lesen: Along the Way, come What may, Somewhere, somehow.
Word Art von Lawrence Weiner vor der Gallery of Modern Art in Glasgow. Das Museum ist in dem ehemaligen Privat-Palast eines wohlhabenden Kaufmanns und Händlers untergebracht.

Das Zentrum von Glasgow

Merchant City heißt der innenstädtische Bezirk nahe dem George Square, und der Name ist Programm. Das lebendige Viertel ist eine Drehscheibe für Kommerz, Konsum, Kulinarik – und Kirchen. Vor der Gallery of Modern Art (GoMA) inmitten des Royal Exchange Square entdecke ich Word Art von Lawrence Weiner. Im Inneren des Museums erfahren Besucher mehr über die bewegte Geschichte eines ehemaligen Kaufmannspalastes, der 1778 als Stadtsitz des Tabak- und Zuckerhändlers Cummingham erbaut wurde. Apropos Zucker.

Das kulinarische Angebot ist auffallend international. Es gibt mexikanische Klassiker und spanische Tapas. Pan-asiatische Küche, und authentisches schottisches Pub-Food, echten, ähäm (!) deutschen Döner und Event-Sushi Läden wie dem YO! am Nelson Mandela Place, gleich südlich von der Buchanan Street. Den deutschen Döner probieren wir nicht. Aber die sogenannten Haggis Bonbons, kleine mit Teig ummantelte Haggis-Kügelchen mit Mayo und Fritten, sind nicht nur schmackhaft, sondern vertragen sich sehr gut mit dem schottischen Bier. Für alle, die es beim Gedanken an das Innereien-Potpourri Haggis einfach nur schüttelt, mittlerweile gibt es das schottische Nationalgericht auch in vegetarischer Ausführung.

Im Vordergrunf ein Metro-Eingang in einer Einkaufsstraße in Glasgow. Ein Schwarm Vögel fliegt durchs Bild. Im rechten Bildhintergrund das Shopping Center St. Enoch.
St. Enoch wird auch als architektonisch spannendstes Shopping Center in Glasgow angepriesen. Ich finde Shopping Malls ja generell deprimierend und schaue ich mich lieber an der frischen Luft um.

Shoppen und Futtern in Glasgow

Sauchiehall Street verbindet das Zentrum der Stadt mit dem Westend. Die lange Straße wandelt sich von einer verkehrsberuhigten Shopping- und Erlebnismeile, die zwischen flippigen Fashion Flagship Stores und Buchläden, moderner Systemgastronomie und Restaurants jeder Preisklasse oszilliert, hin zu einer poshen Wohngegend im Westen von Glagow.

Ein Höhepunkt für mich ist natürlich The Willow Tea Room, eine genaue Rekonstruktion eines ursprünglich von Charles Rennie Mackintosh gestalteten Teehauses, in dem man ganz klassisch High Tea mit Scones und hauchdünnen Gurken-Sandwiches futtern kann. In den kleinen Seitenstraßen setzt sich dann wieder das rotzige, lässige Selbstbewusstsein Glasgows fort, hier hat die künstlerische Off-Szene, haben Bars und Clubs Revier bezogen, auffällig ist auch die hohe Street Art Dichte.

Ein überlebensgroßes Street Art Bild eines Gitarristen mit Sonnenbrille. Der Mann trägt ein weißes T-Shirt und eine blaue Jeans, der rechte Oberarm ist tätowiert..
Street Art finden Besucher in Glasgow an vielen Ecken. Man findet sie an prominenten Häuserfassaden und auch eher versteckt, wie in diese kleinen Seitengasse von der Hope Street namens Sauchiehall Lane.
Ein Ladenschild mit der Aufschrift Döner Kebab. German Döner Kebab.
Spektakulär – Wir haben den Döner erfunden, zumindest nach Glasgower Gastro-Legendenbildung.

Kelvingrove – Das gediegene Westend von Glasgow

Zwei Tage sind natürlich viel zu wenig für Glasgow. Gerade genug, um einen Eindruck von dieser stolzen, wandelhaften Stadt und Lust auf mehr zu bekommen. Habe ich nur wenig Zeit in einer Stadt, finde ich es oft schwer zu entscheiden, welches Museum ich mir anschauen soll. Auch in Glasgow locken unzählige Museen, viele davon in Kategorie A Baudenkmälern und mit freiem Eintritt. Glaswegians behaupten selbstbewusst, auch wenn man nur für einen Tag in Glasgow sei, müsse man in (!) jedem (!) Fall (!) das Kelvingrove Art Gallery and Museum besuchen. Ob sie recht behalten?

Von der Sauchiehall Street aus fahren einige Buslinien bis nach Kelvingrove. Bevor wir eine der größten kostenfrei zugänglichen Attraktionen Schottlands besuchen, machen wir einen Schlenker über das Universitätsgelände am Kelvingrove Park. Die University of Glasgow ist die zweitälteste Uni in Schottland. Ein Campus im neogotischen Look, Hogwarts-Charme inklusive. Besucher können eine Führung durch einige der Gebäude buchen und mehr über die Geschichte der Alma Mater erfahren. Ich liebe diese Mischung aus studentischem Trubel und gediegener Atmosphäre.

Und dann fällt mein Blick auf ein Gebäude, das nicht zu den anderen zu gehören scheint. Es ist das Mackintosh House, ein weiteres Highlight in dieser an Attraktionen so reichen Stadt. Die Sammlung der Hunterian Art Gallery, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft befindet, ist kostenfrei zugänglich und definitiv einen Besuch wert. Im Mackintosh House selbst habe ich nicht weniger als eine Epiphanie – ähnlich wie bei meiner persönlichen Entdeckung der Architekturrichtung Amsterdamse School einstmals. Der Besuch ist ein absolutes Must see für jeden Glasgow-Besucher!

Blick auf den neogotischen Haupteingang der University of Glasgow. Vor dem Tor schauen einige Besucher auf die berühmte Alma Mater.
Eine tolle Atmosphäre am Campus der University of Glasgow in Kelvingrove. Sehr offen, sehr international, sehr lebendig und umzingelt von musealen Attraktionen wie dem Hunterian Museum und dem Mackintosh House.

Schottischer Jugendstil und andere Kunsttempel

Der Jugendstil des schottischen Designers Charles Rennie Mackintosh (1868 – 1928) ist so unfassbar schön. Nichts fehlt, nichts ist zu viel, jedes Detail ein Genuss für Augen und Seele. Fotografieren dürfen Besucher in seinem ehemaligen Wohnhaus, das direkt auf dem Campusgelände zu finden ist, leider nicht. Die Raumwirkung des Hauses ist großzügig und schlau, obwohl wenig Grundfläche genutzt wird, die Zimmer und eine Galerie mit ihren hohen Decken strahlen in ihrer Klarheit große Wärme aus. Die einzelnen Möbelstücke verströmen minimalistische Ruhe, sie spielen mit geometrischer Eckigkeit und dynamischem Schwung. Perfekt ausbalanciert auch das Verhältnis der wenigen floralen Designelemente zu den sie umgebenden Flächen.

Unsere nächste Station im Glasgower Kontrastprogramm ist die Kelvingrove Art Gallery and Museum – wo wir gerade rechtzeitig kommen, um das tägliche Orgelspiel zu bewundern und noch kunstbesoffener zu werden. Hier gibt es einmal alles auf allerhöchstem Niveau. Wir tauchen ein in naturkundliche Exponate und Designobjekte, Malerei und Skulptur und statten Salvador Dalis berühmtem Bild Christ of St. John on the Cross einen Besuch ab. Auch die wechselnden Ausstellungen machen einen Besuch lohnenswert. Noch bis zum 12. Januar 2020 zeigt das Haus eine wunderbare Retrospektive mit Fotografien von Linda McCartney, ja, genau, der 1998 an Brustkrebs verstorbenen ehemaligen Frau von Ex-Beatle Paul McCartney.

Blick von oben in den West Court des Kelvingrove Museums mit ausgestopftem Elefanten, Tiger und einem Flugzeug namens Spitfire.
Das Kelvingrove Museum präsentiert seine Exponate auf mehreren Etagen. Aufgeteilt ist das Super-Museum in Ost- und Westflügel. Hier der Blick in den West Court, Schwerpunkt „Creatures of the Past“ mit präparierten Exemplaren wilder Tiere, einem Flugzeug Typ Spitfire und anderen Ausstellungsstücken mit Wow-Effekt.

Im Osten von Glasgow: Kathedrale und Necropolis

Mit jeder Stunde, die ich in Glasgow unterwegs bin, verstehe ich den Stolz der Glaswegians auf ihre einzigartige Stadt am Clyde besser. Bin zutiefst berührt von den Spuren zahlreicher Erfinder und Macher voller Unternehmergeist, intellektuellen und künstlerischen Schwergewichten, von dem vollzogenen Wandel hin zu einer modernen Dienstleistungs- und Servicemetropole mit über 600.000 Einwohnern. Byebye, Glasgow Effekt.

Schottland ist ja für vieles berühmt, aber bestimmt nicht für ausufernde Öffnungszeiten. Negativ-Spitzenreiter in Glasgow ist Necropolis, die Stadt der Toten. Bereits um vier Uhr nachmittags ist der letzte Einlass, obwohl es um diese Jahreszeit noch deutlich länger hell ist. Dank unserer Spontaneität stehen wir verdutzt vor verschlossener Tür, können aber trotzdem einige Blicke über die Totenstadt erhaschen. Schmunzeln muss ich über Robert Tod und seine Frau, deren Grabstein uns gleich am Eingang in den Blick fällt.

Interessanterweise befindet sich die Glasgow Cathedral, auch High Kirk of Glasgow genannt, am östlichen Rand der Stadt. Das hat mit der entwicklungsgeschichtlichen Mythos der Stadt zu tun. Der Heilige Kentigern, von allen St. Mungo genannt, kam im späten sechsten Jahrhundert auf verschlungenen Wegen zu der kleinen Siedlung am Clyde. Er gilt als Stadtgründer und Stadtheiliger in Personalunion.

St. Mungo werden zahlreiche Wunder zugeschrieben, einige sind in The Life of St. Mungo beschrieben. Die vier Attribute des zentralen Verses: Vogel, Baum, Glocke, Fisch, beziehen sich auf wundertätige Handlungen und sind bis heute Teil des Stadtwappens von Glasgow. Seit 1993 gibt es das St. Mungo Museum of Religious Life and Art. Es gilt als das einzige öffentliche Museum, das alle großen Glaubensrichtungen gleichwertig beleuchtet. Hier ist der letzte Einlass um fünf Uhr nachmittags.

Innenraum einer Kathedrale, Blick in Richtung Hochaltar, im Vordergrund zwei Touristinnen.
Die Kathedrale von Glasgow beeindruckt durch Größe und Ausstattung.

Here is the bird that never flew
Here is the tree that never grew
Here is the bell that never rang
Here is the fish that never swam
(aus: The Life of St. Mungo)

Service und Tipps für Glasgow

Der Besuch staatlicher Museen ist in Schottland kostenlos. In vielen Häusern begrüßen Ehrenamtliche die Besucher, helfen einem sich zu orientieren und verweisen auf aktuelle Veranstaltungen und andere Highlights. Die Öffnungszeiten können variieren, liegen jedoch meistens zwischen 10-17.00 Uhr. Ausgewählte Häuser haben Donnerstags länger geöffnet, am besten vor dem geplanten Besuch noch einmal prüfen.

Bus & Zug: Manchmal kann man vor lauter Bussen kaum die gesuchte Linie finden. Die Hin- und Rückfahrt mit der Tram vom Flughafen ins Zentrum kostet 9 £ (einfach 5,50 £). Achtung: ScotRail und Stadtbusse laufen nicht über das gleiche Ticketsystem. Eine Tageskarte für den Bus kostet 4  £ (Stand per September 2019), die Preise für die jeweiligen Strecken mit ScotRail schaut ihr am besten aktuell auf der Website des staatlichen Bahnbetreibers nach. Preise richten sich nach dem Zielort, Tickets kauft man entweder am Schalter oder an Ticketautomaten.

Zwei Rückansichten von Bussen auf einer regennassen Straße in Glasgow. Im Vordergrund quert eine Fußgängerin die Straße.
Busse gibt es in Glasgow reichlich. Ich persönlich finde es die beste Art, sich kreuz und quer durch die Stadt zu bewegen, weil man einen echt tollen Eindruck von der architektonischen Vielfalt bekommt. Und günstig ist es auch.
Zwei Gebäude-Fassaden. Ein (neo?)barocker Uhren-Turm neben einer Fassade im Stil des Brutalismus.
Glasgow, Stadt der Kontraste, wie lässig du bist. Ich komme wieder!