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Spielkartenfabrik: Druckstöcke Kreuz
Spielkartenfabrik: Druckstöcke Kreuz

House of Cards: Die Spielkartenfabrik

Schätze sind bekanntlich schwer zu finden. Die Spielkartenfabrik in Stralsund ist so ein Schatz. Sie versteckt sich hinter unscheinbaren Ziegelmauern und einer schlichten Holztür. Dahinter wartet – ja was überhaupt? Eine Kunstwerkstatt? Ein Museum? Ein Jugend-Treff? Eigentlich von allem etwas
Inhalt

Die Spielkartenfabrik von Stralsund

Das erste, was mir auffällt, ist der Geruch: eine Mischung aus Schmieröl, strapaziertem Metall, feuchten Ziegelwänden und Staub, wie er sich in Werkshallen auf Simsen und Balken sammelt. Es ist still, trotz der Maschinen, die museal aussehen, aber benutzt. Viel Platz gibt es nicht, alles wirkt ein bisschen beengt, außer uns sind keine weiteren Besucher da. Dass es so leer ist, liegt nicht nur an der Mittagszeit und dem guten Stralsunder Essen – die meisten Touristen haben diesen Ort einfach nicht auf dem Radar. Wir sind eigentlich auch schon halb weg, auf dem Weg zum Bahnhof, da kam das Museum als letzter Schlenker gerade recht.

Allerdings hatten wir keine Ahnung, was uns erwartet. Ich habe eine Schwäche für Industriekultur, deshalb fiel uns der Hinweis auf die Spielkartenfabrik auf, beim Durchblättern einer Broschüre, vielleicht auch im Internet. Stralsund wirbt ausführlich für seine befestigte Altstadt, seine Kirchen, die Gorch Fock I, das Ozeaneum, die Nähe zu Rügen – vollkommen zu Recht, das sind lauter Highlights und alle einen Besuch wert. Die Museumsadresse am Katharinenberg 35 liegt da schon etwas abseits der gängigen Touristenrouten: noch innerhalb der Stadtmauern, aber ganz am Rand des historischen Zentrums, und das Eingangsschild muss man fast mit der Lupe suchen, so klein ist es.

Eingang in das Spielkarten Museum Stralsund.
Ein solches Entree sieht verdächtig nach „Geheimtipp“ aus. Ein bisschen weniger Understatement würde dem Museum gut tun.

Vergessenes Kapitel

Vielleicht liegt es daran, dass Vergangenheit für die Stralsunder vor allem mit Schiffen und Handel zu tun hat. Die Stadt war zeitweise einer der wichtigsten Warenumschlagplätze an der Ostsee, gehörte seit 1293 zur Hanse, und ihre Kaufleute verdienten besonders im 15. Jahrhundert so viel Geld, dass sie den Ortskern mit Prunkbauten geradezu pflasterten. Wer heute durch Stralsunds Straßen spaziert, bekommt Genickstarre vom vielen Hochgucken zu den prächtigen Türmen, Giebeln und Arkaden. Die bestimmen bis heute die Silhouette der Stadt, gemeinsam mit mächtigen Speicherbauten, in denen die örtlichen Händler ihre Schätze horteten und in die ganze Welt verschifften.

Hafenpanorama von Stralsund.
Selbst bei Regenwetter imposant: das Hafenpanorama von Stralsund. Links liegt die Gorch Fock, die Türme am rechten Bildrand gehören zur Nikolaikirche.

Man könnte auch sagen: Die Stralsunder sind ein wenig betriebsblind, wenn es um ihre Geschichte geht – mit ziemlich drastischen Folgen. Dass innerhalb ihrer mittelalterlichen Stadtmauern einmal die größte und älteste Spielkartenfabrik des Kontinents stand, hatten sie schlicht vergessen. Wie das passieren konnte? Weil die Fabrik 1932 einfach abgerissen wurde, größtenteils jedenfalls – aus den Augen, aus dem Sinn.

Dabei hatte die Stadt zuvor gut an dem Spielkarten-Imperium verdient, das gleich mehrere Stralsunder Unternehmer seit dem 18. Jahrhundert aufbauten und 1872 in der Aktiengesellschaft der Vereinigten Stralsunder Spielkartenfabriken (VSS) zusammenführten. Auch fürs Renommee war die Fabrik nützlich zu einer Zeit, als schon längst niemand mehr über die Hanse sprach. Noch 1930 – da hatte die Spielkartenfabrik 500 Beschäftigte – lobte das Wirtschaftsblatt Hamburgs Handel vollmundig die „Vorzüglichkeit“ und weltweite „Beliebtheit“ der Stralsunder Spielkarten.

Spielkarte aus Stralsund.
Stralsunder Spielkarten waren so begehrt, dass aus dem Ausland Aufträge für Kartenspiele mit speziellen Bildwünschen kamen. Diese Karte zeigt eine Frau auf der abgelegenen indonesischen Insel Nias, die damals zum niederländischen Kolonialgebiet gehörte. Das dazugehörige Kartenspiel „Fynste Java Speelkaarten“ entstand 1885.

Spielkartenmuseum statt Spielkartenfabrik

Doch jetzt ist die Fabrik weg, da ist nichts zu machen. Oder doch? Ein kleiner Verein, der mit Industriekultur eigentlich nichts zu tun hat, bringt die Wende. Jugendkunst e.V. heißt er und leistet Jugendarbeit mit Mitteln der Kunst. Anfangs beschränkte sich das vor allem auf eine Mal- und Werkkunstschule und – als zweites Standbein – auf einen Verlag, der Bücher von Jungautoren verlegt. Durch Zufall entdeckten die Vereinsmitglieder in einem kleinen Ort im Umkreis von Stralsund eine Museumsdruckerei. „Das können wir auch“, dachten sie und überzeugten die Stadtväter davon, jetzt oder nie an die Tradition der vergessenen Spielkartenfabrik anzuknüpfen und ein Spielkartenmuseum mit historischen Druckmaschinen einzurichten.

Als wir das Museum betreten, wissen wir von all dem nichts. Das ändert sich schnell, weil es hier vor allem ums Zuschauen und Ausprobieren geht und immer jemand da ist, der das in die Hand nimmt. Ausprobieren ist überhaupt das A und O, auch die Museumsmacher tun nichts anderes. Keiner von ihnen ist Setzer, Drucker, Grafiker oder Historiker. Alles, was sie über die Spielkartenfabrik wissen und darüber, wie Spielkarten hergestellt werden, haben sie sich selbst angeeignet. Und ihren Besuchern zeigen sie begeistert, was sie und ihre Maschinen alles drauf haben.

Druckmaschine in Spielkarten Museum.
Macht immer den richtigen Handgriff, auch wenn’s kompliziert aussieht: Fred Lautsch an der Heidelberger Druckmaschine

„Die Kunst, Karten zu machen“

So wie Fred Lautsch, der Spezialist für die Heidelberger Druckmaschine. Er druckt gerade Bögen mit Herz- und Karokarten. Und er kennt nicht nur die Funktion aller Walzen, Knöpfe und Hebel, sondern weiß auch, dass man für die alte Technik viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung braucht. Klar geht hier alles automatisch, aber wenn er die Maschine falsch einstellt, produziert er eben auch automatisch Mist. Also guckt er genau hin, prüft die schon gedruckten Bögen, passt an, prüft erneut und hat auch noch die Ruhe, uns zu erklären, was er da eigentlich genau macht.

Maschine im Spielkarten Museum.
Lieber einmal zu viel als zu wenig kontrollieren: Druckbögen von gleichbleibender Qualität sind kein Zufall.

Unter anderem zeigt er uns, dass das keine normalen Papierbögen sind, sondern präparierte: Zwischen ihnen steckt Schwarzfolie. Warum das so ist, beschreibt schon ein gewisser Herr du Hamel de Monceau in einem Wälzer anno 1764 mit dem Titel „Die Kunst, Karten zu machen“:

Wären die Karten zu dünne, so würden sie durchsichtig seyn, und der Spieler, der gegen das Licht sitzet, könnte die Karten in seines Gegners Hand kennen.

Eine Schreibmaschine, die druckt

Der ganze Stolz des Museums ist eine Linotype. Die stand früher in jeder Zeitungsdruckerei, und das gleich reihenweise. Manja Graaf übernimmt die heroische Aufgabe, uns zu erklären, wie das Ding funktioniert, und weil das ziemlich kompliziert ist, setzt sie die Maschine einfach in Gang und legt los.

Im Prinzip klingt das ja auch alles ganz logisch, was sie sagt: Du sitzt an so einer Art Schreibmaschine, nur das du nicht Buchstaben aufs Papier tippst, sondern mit jeder Taste einen Buchstaben aus Blei gießt. Das Revolutionäre an der Linotype war, dass sie die Buchstaben gleich zu einer fertigen Zeile reiht und daraus eine zusammenhängende Gießform macht – eine in Blei gegossene Zeile.

Spielkartenfabrik Stralsund: Linotype Maschine.
Manja Graaf an der Linotype – und in ihrem Element!

Manja erklärt das hervorragend, aber die Maschine ist so schnell, dass es schwierig ist, den Mechanismus auf Anhieb zu erfassen. Für sie ist das kein Problem, sie nimmt sich Zeit für uns und lässt uns sogar selber machen, als wäre das die größte Selbstverständlichkeit der Welt. Natürlich funktioniert das nicht auf Anhieb, dann entstehen die berühmten Setzfehler. Das soll angeblich auch dem Erfinder der Maschine passiert sein, als er sie zum ersten Mal ausprobierte. Da vergaß er ein F und schrieb aus Versehen „a line o types“, und schon hatte seine Erfindung einen Namen.

Spielkartenfabrik Stralsund.
Was ist denn da los, da ist doch was verrutscht! Manja Graafs bei ihrem spontanen Linotype-Kurs für Anfänger

Mitmachen!

Genauso wünschen es sich Manja, Fred und die anderen: Wer ins Spielkartenmuseum kommt, soll seine Hände benutzen können. Einerseits wollen sie so die Erinnerung an die Stralsunder Spielkartenfabrik wachhalten, andererseits soll der Umgang mit der Vergangenheit möglichst kreativ sein. Zum Beispiel, indem Kinder und Jugendliche in Workshops eigene Spielkarten entwickeln, von der Idee bis zum fertigen Produkt. Oder indem sie gleich ganz neue Kartenspiele erfinden wie Rum und Rollmops, das sich – man glaubt es kaum – um die Hanse dreht, aber auf sehr unterhaltsame Weise.

Apropos Hanse: Als wir wieder auf der Straße stehen, hat sich unser Blick auf Stralsund ziemlich verändert. Die Hanse war hier wichtig, keine Frage, aber die Spielkartenfabrik eben auch. Und hatte sich das nicht schon früh angekündigt? In den Wandgemälden der spätmittelalterlichen Nikolaikirche? Sind die Heiligen und Bibelgeschichten dort nicht bunt wie Spielkarten? Wer weiß, ob die Gründer der Spielkartenfabrik nicht genau hier die entscheidende Inspiration bekamen…

Heiligenbild aus der Nikolai Kirche.
Restaurierte Wandmalerei in der Nikolaikirche: wäre als gespiegeltes Doppelbild auch ein hübsches Spielkartenmotiv.

Hier gibt es noch mehr Lesefutter:

Service

Wenn man vom Bahnhof in die Altstadt kommt, geht es zum Katharinenberg gleich links ab. Das Museum Spielkartenfabrik liegt nach gut 100 Metern auf der linken Seite. Derzeit läuft dort noch das Druckfestival Feste Drucken 2017, dessen Programm die Teilnehmer dank einer offenen Ausschreibung selbst gestaltet haben. Spielkarten können im Museumsshop online bestellt werden, ebenso eine schön gemachte Broschüre zum 250-jährigen Jubiläum der Stralsunder Spielkarten.