Im Winterwald
Plötzlich ist er da, der Winter. Unbemerkt hat er sich angeschlichen, nachts, kurz nach Weihnachten. Ein kalter Wind weht, die Flocken vollführen wilde Tänze. Wir stapfen durch den unberührten Winterwald wie die ersten Menschen. Bilder aus einer weißen weißen Stille…

Im Weiß des Schnees wird alles zur Kontur, die zunehmend verschleiert, je mehr sie sich im Hintergrund verliert.
Schneebruch: für Förster ein Graus, für Wanderer nicht ungefährlich. Manche Bäume knicken wie Streichhölzer, andere biegen sich unter der bleiernen Last der Schneedecke.

Der Winterwald steckt voller geometrischer Figuren – wie sehr, zeigt die zeichnerische Abstraktion. So akkurat kann natürliche Auslese aussehen.


Ein unberührter Weg durch den Winterwald hinab ins Tal. Selbst Tierfährten sind kaum zu sehen. Und es schneit immer weiter…

Braun und schlank stehen die Bäume in dichten Reihen. Sie bieten dem Schnee kaum Halt, dennoch ist alles überzuckert. Das Deckweiß des Bodens könnte auch die schäumende Gischt einer verebbenden Brandungswelle sein.

Manchmal wirken die Bäume wie winkende Arme. Hier, an der windabgewandten Seite eines Hügels, unterbricht nur ab und an das Ächzen eines Astes die wattige Stille.

Zweig für Zweig, Ast für Ast stemmt sich der Winterwald dem Schnee entgegen. Das allgegenwärtige Weiß nimmt dem Raum die Tiefe und ist wie ein Blatt Papier mit einem Muster aus Bäumen.

Die Welt als Schneekugel, in der Oben und Unten verschwimmen. Dieses Bild könnte genauso gut auf dem Kopf stehen, Wiese und Himmel ähneln einander wie Spiegelbilder.

Da hinten ist ein Hügel und auf dem Hügel steht ein Fernsehturm. Doch wo der Winterwald endet, scheint heute auch die Welt zu enden.

Noch ein Fenster aus dem Winterwald nach „draußen“. Das Schneetreiben wird immer dichter. Außer uns scheint hier kein anderes Lebewesen unterwegs zu sein.

Rund 40 Zentimeter Schnee in 24 Stunden, am Rand des Waldes türmen sich die Verwehungen noch höher. Leider haben wir keine Schneeschuhe, wie sie die Algonkins und andere Indianervölker benutzen…

Der einsame Baum steht da wie ein Pilz, in seiner Krone verbirgt sich ein Hochsitz. Ein blauer Schimmer liegt über dem Land, es ist zwei Uhr am späten Mittag.
„Ich danke dir, Herr Jesus Christ, dass du …“: Den Spruch am Wegkreuz kann sich heute jeder Wanderer selbst zusammen reimen. Das Kreuz ist Trostspender und Wegmarke zugleich.

Immer neue grafische Formen erfindet der Winterwald. Bilder wie dieses erinnern an japanische Tuschezeichnungen.

Schwer gebeugt neigt dieser Busch seine Zweige. Wenn es nicht aufhört zu schneien und das Geäst hält, wird aus der Laube vielleicht ein natürlicher Iglu.
Wenn der Wind in die hohen Baumkrönen fährt, löst sich manchmal der Schnee und weht als Vorhang hinab. Dann fühlt sich der Winterwald endgültig an wie eine Schneekugel von innen.

Ein Universum aus schweigenden Weißtönen. Die Bäume hinten am Berghang sehen aus wie Farne. Der Schnee löst alle Schatten auf. Kurze Zeit später verlassen wir diese Zauberwelt. Etwas Vergleichbares habe ich bislang nie gesehen.