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Ironbridge Gorge, Mittelengland. Die älteste Eisenbrücke der Welt
Ironbridge Gorge, Mittelengland. Die älteste Eisenbrücke der Welt

Ironbridge Gorge – Wiege der Industrie

Rauschende Wälder, glucksende Bäche, sprießende Natur: Die mittelenglische Landschaft um Ironbridge Gorge ist einfach idyllisch. Das war mal anders. Gleich mehrere Technikdenkmäler erzählen von einer Zeit, als dieses Tal die Welt für immer verändert hat - mit Koks und Eisen.
Inhalt

1709 Startschuss für die industrielle Revolution?

1709. Die Annalen der Weltgeschichte verzeichnen einen Schlachtensieg Peters des Großen. Manche erwähnen noch Johann Maria Farina, der in Köln die älteste Parfümfabrik der Welt gründet. Kein Wort dagegen zu Abraham Darby, Kopf der Coalbrookdale Company im Flusstal des Severn bei Birmingham. Dem findigen Quäker gelingt es 1709 erstmals, brauchbares Roheisen mit Hilfe von Koks anstelle der bis dahin üblichen Holzkohle auszuschmelzen.

Eine technische Großtat! Wahrscheinlich sogar der Startschuss zur Industriellen Revolution! Aber waffenklirrende Triumphzüge und Kölnisch Wasser erregen mehr Aufsehen. Selbst die englische Eisenindustrie brauchte geschlagene 50 Jahre, bis sie von der bahnbrechenden Erfindung aus Coalbrookdale Notiz nahm. Danach allerdings lief ohne Koks gar nichts mehr.

Kultur mal anders: Industrie der ersten Stunde

Mittlerweile wird viel über Abraham Darby gesprochen. Besonders Paul Gossage führt den Namen häufig im Munde, schon von Berufs wegen. Er ist Marketingchef des 1967 gegründeten Ironbridge-Gorge-Museumsverbandes. Ironbridge Gorge – Eisenbrücken-Schlucht, so nennt sich das Tal des Severn heute. Genauer: der Abschnitt zwischen Coalbrookdale und dem alten Verladehafen Coalport. „Geburtsstätte der Industrie“ lautet einer der Werbesprüche auf den touristischen Broschüren, „Tal der Erfindung“ ein anderer. „Wir wollen“, sagt Paul Gossage und meint das ganz pragmatisch, „unsere Besucher zum industriellen Erbe bekehren“.

Wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass die Schwerindustrie Ironbridge Gorge längst verlassen hat. Rauschende Wälder ersetzen rauchende Schlote, Bäche glucksen, wo vordem Schmelzöfen und Schmieden schmauchten. Das muss auch so sein. Denn die frühen Fabriken verlangten alles an einem Ort: Wasser als Antriebskraft, Holz für die Feuerung der Öfen, Erzlagerstätten als Rohstoffquellen. Später war das anders. Da setzte Dampftechnik die Maschinen in Gang und die Industrie suchte die Nähe zu Kanälen und Eisenbahnen, um zu bekommen, was sie brauchte.

Ironbridge Gorge, Freilichtmuseum Blists Hill.
Freilichtmuseum Blists Hill: Dampfmaschine anno 1851 im Stil eines dorischen Tempels

Industrielles Erbe im grünen Setting

Die Natur im Severn-Tal blieb sich selbst überlassen. Heute ist sie so idyllisch, dass die Ortsansässigen schon darüber diskutieren, ob das noch authentisch sei oder nicht vielmehr die industrielle Vergangenheit verfälsche. Insgesamt zehn Museen und diverse industriegeschichtliche Monumente erwarten den geneigten Besucher. Das ist in erster Linie ein logistisches Problem. Wer genug Zeit mitbringt, wird auf die eigens eingerichtete Buslinie zurückgreifen, die zwischen den einzelnen Standorten in Ironbridge Gorge verkehrt. Alle anderen müssen eine Auswahl treffen.

Die fällt nicht leicht, zumal etliche Besichtigungspunkte spektakulärer sind, als es zunächst den Anschein hat. Das gilt zuallererst für die Ruine jenes Hochofens, in dem Abraham Darby 1709 das Zeitalter des Koks einläutete. Auf einen Streich befreite er damit die Eisenschmelzen von dem immer knapper werdenden Brennstoff Holzkohle und bereitete zugleich der Massenproduktion den Weg. Verkokte Steinkohle war billiger, leistungsfähiger und eignete sich, wie Darby rasch herausfand, ideal zur Herstellung von Gusseisen.

Ironbridge Gorge: Rosehill House.
Rosehill House, historisches Wohnhaus der Darbys in Coalbrookdale

Ironbridge Gorge: Einzigartig wie Stonehenge

Doch wie das so ist mit Ruinen: Ihre wahre Bedeutung bleibt unbedarften Augen oft verborgen. Das trifft umso mehr auf die technischen Denkmäler in Ironbridge Gorge zu. Den Hochofen von Coalbrookdale legten Industriearchäologen frei, bevor es den Begriff Industriearchäologie überhaupt gab. Für seine angemessene Einordnung braucht es einen Michael Darby, der die Reste der Anlage ohne viel Federlesens in einem Atemzug mit Stonehenge und Westminster Abbey nennt.

Vielleicht muss er das tun, als direkter Nachkomme des alten Abraham Darby. Fest steht: Mit Michael Darby wird die traditionsreiche Fabrikanten-Dynastie nach 300 Jahren verlöschen. Umso stärker fühlt er sich der Vergangenheit verbunden. Michael Darby ist Quäker wie seine Vorfahren, arbeitete in seinem aktiven Berufsleben als Eisengroßhändler und war schon 1959 dabei, als das von seinem Vater geplante Coalbrookdale-Museum Eröffnung feierte.

Ironbridge Gorge, Rekonstruktion der Errichtung der Ironbridge.
Michael Darby, direkter Nachkomme von Abraham Darby I-III, erklärt im Freilichtmuseum Blists Hill die Konstruktionsweise der guseisernen Brücke

Viktorianische Kleinstadt als Freilichtmuseum

Seitdem ist sein Engagement für die regionale Industriekultur ungebrochen. Deren Kennzeichen ist die Vielfalt. So entwickelt sich Ironbridge Gorge im 19. Jahrhundert zu einer Hochburg der Fliesen- und Porzellanherstellung. Auch diese Tradition wird museal gepflegt und mit kreativen Workshops angereichert.

Die angelsächsische Vorliebe für das Theater verrät das Freilichtmuseum Blists Hill, das an der Stelle längst aufgegebener Schmelzöfen und Kohlezechen eine komplette viktorianische Kleinstadt aus dem Boden gestampft hat. Viele der Gebäude sind Rekonstruktionen historischer Vorbilder, andere wurden nach Ironbridge Gorge verlegt, weil sie an ihrem Ursprungsort von Abriss bedroht waren. Dazu zählt als besonderes Kleinod die weltweit wohl letzte noch funktionsfähige Fabrik für Schmiedeeisen. Vorerst allerdings stehen deren Räder still, auch wenn genug Enthusiasten ihre Freizeit dafür opfern, die betagten Maschinen von Grund auf zu überholen. Überhaupt – auch das entspricht angelsächsischem Herkommen – lebt das Museum von dem Engagement der vielen Angestellten und Freiwilligen, die in viktorianischen Kostümen darin herumlaufen und Kerzen ziehen, Blech schmieden, Eisen gießen oder sonstige historische Handwerke demonstrieren.

Ironbridge Gorge, Historische Dampfwalze im Freilichtmuseum Blists Hill.
Historische Dampfwalze im Freilichtmuseum Blists Hill

Die erste Eisenbrücke der Welt

Bei den Touristen kommt das gut an. Größerer Beliebtheit erfreut sich nur die Eisenbrücke, der die Ironbridge Gorge den Namen verdankt. Sie ist die erste Brücke der Geschichte, die ganz aus Metall besteht. Abgesehen davon sieht sie einfach hinreißend aus. Das liegt weniger an ihrer jüngsten Restaurierung als an der zierlichen Konstruktion. Nur drei Monate brauchte Abraham Darby III, um die schlanken Einzelteile, die er zuvor im großväterlichen Ofen von Coalbrookdale mit großer Kunstfertigkeit gegossen hatte, an Ort und Stelle zusammenzusetzen und aufzurichten.

Das war 1779. Kaum zwei Jahre später, am Neujahrstag 1781, wurde die Brücke feierlich eröffnet. Sogleich pilgerten Scharen von Bewunderern herbei: Ingenieure, Erfinder, Künstler, Spione oder einfach nur Schaulustige. Viele von ihnen waren der festen Überzeugung, ein Weltwunder vor sich zu haben. Sogar der englische König begab sich 1796 nach Ironbridge Gorge, um die formidable Brücke in Augenschein zu nehmen. Zeitgenossen sprachen vom „außergewöhnlichsten Ort des Erdballs“.

Ironbridge Gorge, Inschrift mit dem Baujahr der Eisenbrücke.

Weltkulturerbe und Besuchermagnet

Dieses Image soll heute nach Möglichkeit wiederbelebt werden. Es ist daher kein Zufall, dass das Severn-Tal 1986 als eine der ersten Industrieregionen von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Hier drängt sich – touristisch professionell aufbereitet – auf engem Raum, was als Aufbruch in eine neue Epoche gelesen werden kann. Das honoriert auch die Europäische Route der Industriekultur, die Ironbridge Gorge zu ihren attraktivsten Schauplätzen zählt.

Die elegante Brücke liefert dazu das ideale Markenzeichen. Schon Abraham Darby III war sich ihrer Öffentlichkeitswirkung bewusst. Fremdenführer erzählen die Anekdote, dass es ihm, der als Quäker auf jegliche bildliche Selbstdarstellung verzichten musste, am Ende doch gelang, sein Konterfei in dem Brückenbau zu verstecken. In der Tat erkennt, wer von schräg unten zum Scheitelpunkt der Brücke hinaufsieht, die Silhouette eines Gesichts, das sich scharf gegen den Himmel abzeichnet.

Tag für Tag legen nun Besucher die Köpfe schief, um diese „Signatur“ zu erspähen. Sie kommen nach Ironbridge Gorge, um ein technisches Wunderwerk zu sehen. Da wiederholt sich Geschichte.

Ironbridge Gorge, Eisenbrücke mit dem "Konterfei" des Erbauers Abraham Darby III.

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Auf einen Blick

In Mittelengland, nahe dem kleinen Ort Coalbrookdale, steht die erste Eisenbrücke der Welt. Ihr verdankt das dortige Tal seinen heutigen Namen: Ironbridge Gorge. Ein gewisser Abraham Darby erfand hier 1709 den Kokshochofen und gab damit den Startschuss zur Industriellen Revolution. Das feiern insgesamt zehn Museen und diverse industriegeschichtliche Monumente. Der Reisebericht begibt sich auf die Spuren der Industriepioniere – und findet sie inmitten ländlicher Idylle.