Die Piazza dei Miracoli in Pisa – Ein Platz voller Wunder
Die Piazza dei Miracoli und der schiefe Turm von Pisa gehören zum sogenannten Pflichtprogramm jedes Italien Reisenden. In die Toskana kommen und den schiefen Turm von Pisa, den Dom oder den faszinierenden Camposanto nicht sehen, das geht eigentlich gar nicht! Aus vielen Gründen!
Einmal ist das außergewöhnlich Bauensemble der Piazza dei Miracoli tatsächlich so beeindruckend, dass niemand einen Besuch verpassen sollte. Außerdem ist der Anblick des schiefen Turms von Pisa unglaublich surreal. Der Turm ragt aus einer anderen Welt in unsere Gegenwart, die Existenz dieses Trumms ist rational gar nicht nachzuvollziehen. Denn irgendwie ist der schiefe Turm doch Irrsinn, oder?
Wer kommt auf die Idee einen Turm krumm wie eine Banane fertig zu bauen? Wie ist es möglich, dass sich die Pisaner unzähliger Generationen über 200 Jahre mit der Vollendung eines Kuriosums herumschlagen? Warum ist der schiefe Turm noch nicht umgekippt?
Bauen auf der grünen Wiese
Aber vor der Betrachtung all dieser Fragen, erst einmal ein Blick auf die Piazza dei Miracoli, dem Platz der Wunder. Natürlich heißt dieser Platz ganz schlicht Piazza del Duomo, weil hier eben der Dom zu Pisa steht. Aber Gabriele D’Annunzio ein viel reisender Schriftsteller, mit äußerst zweifelhaften Ruf, hat diesen tatsächlich wundersamen Platz irgendwann als Piazza dei Miracoli bezeichnet. So einen magischen Namen kann kein Tourismusvermarkter links liegen lassen.
Die meisten Reisenden betreten die Piazza dei Miracoli durch die Porta Nuova der backsteinroten Stadtmauer von Pisa. Dramatischer kann die Inszenierung kaum sein. Nach einem engen Parcours entlang öder Souvenir-Buden voller schiefer Türme, Pinocchio Puppen und gefälschten Markenprodukten öffnet sich plötzlich ein weiter Rasenplatz. Auf einem sorgfältig manikürtem, saftig grünen Rasen verteilen sich locker die fantastischen Meisterwerke romanischer Baukunst in strahlendem Weiß des berühmten Carrara Marmors wie auf einer Wiese im Paradiesgarten.
Vor uns liegt das Baptisterium und der Dom von Pisa, links die lange Mauer des Camposanto und ganz weit hinten der legendäre schiefe Turm von Pisa. Auf der rechten Seite liegt das Krankenhaus. Die Gebäude auf der Piazza dei Miracoli entstanden zwischen 1063 und 1400. Obwohl mehr als 300 Jahre zwischen der Grundsteinlegung des Doms und der Vollendung des Camposanto vergingen, entsteht der Eindruck alles sei stilistisch aus einem Guss! Das ist vor allem dem strahlend weißen Marmor und dem Motiv der Bogenarkade zu verdanken, das an jedem Bauwerk durchgespielt wird. So lange Kontinuität in Planung und Ausführung, in unsere nervösen Zeit voller schnelllebiger Trends völlig undenkbar!
Kirchen am Stadtrand
Die einzelnen Sakralgebäude stehen ganz unabhängig voneinander und scheinen doch aufeinander bezogen zu sein. Diese großzügige Stadtplanung der Piazza dei Miracoli war nur möglich, weil der Dombezirk am Rande des Stadt errichtet wurde. Und zwar in unmittelbarer Nähe des ehemaligen und inzwischen verlandeten römischen Hafen. Wie problematisch dieser ehemals küstennahe Baugrund war, lässt sich an allen Gebäuden der Piazza del Duomo nachvollziehen. Denn nicht nur der schiefe Turm von Pisa ist wegen des weichen Bogens ins Kippen geraten, auch die Kathedrale von Pisa ist ins Erdreich versunken und damit eine „schiefe Kirche“.
Die Lage am Rande der Stadt, direkt an der Stadtmauer, lässt sich bestimmt durch den enormen Platzbedarf für die Gebäude erklären. Aber wahrscheinlich haben sich die Ideengeber für diese großartige Planung auch an Rom orientiert. Denn in der ewigen Stadt liegen nicht nur die großen und wichtigen Kirchen wie Sankt Peter oder Sankt Paul außerhalb der römischen Stadtmauer. Die Bischofskirche Roms, San Giovanni in Laterano, ist ganz nah an die Stadtmauer gebaut. Und an der Lage San Giovannis haben sich die Stadtplaner aus Pisa höchst wahrscheinlich orientiert. Während Rom zum Dorf verkümmert war, hatte sich Pisa zur Großmacht aufgeschwungen. Damit war die Stadt in ihrem Selbstverständnis die natürliche Nachfolgerin der ewigen Stadt. Das monumental Großprojekt der Gebäude auf der Piazza dei Miracoli drückt diesen Anspruch der Stadt Pisa aus.
Erstaunlich auch, dass an diesem Platz alle Lebensbereiche der Büger*innen des mittelalterlichen Pisas abgebildet sind. Im Baptisterium – der Taufkapelle – wurden sie getauft, im Dom – dem Sinnbild ihre Heimatstadt – hörten sie den Gottesdienst, im Krankenhaus wurden sie geheilt und wenn das nicht richtig funktionierte auf dem Camposanto, dem Friedhof, in heiliger Erde beigesetzt.
Die Sehenswürdigkeiten auf der Piazza dei Miracoli
Für die Besichtigung der Sehenswürdigkeiten auf Piazza dei Miracoli haben wir gute 3 Stunden eingeplant. Wir wollen den schiefen Turm von Pisa, den Dom, das Baptisterium und den Camposanto besichtigen. Da es am Turm und am Baptisterium schon mal zu Wartezeiten kommen kann, ist es ratsam mit einem dieser beiden Gebäude zu beginnen. Wir wollen uns erst einmal einen Überblick über die Piazza dei Miracoli verschaffen, deswegen starten wir unsere Besichtigung mit dem schiefen Turm.
Als erstes besorgen wir uns die Tickets. Wir kaufen Sie im Gebäude des ehemaligen Krankenhaus an der Piazza del Duomo, genau gegenüber des Doms. Die Preise für die Turmbesteigung sind schon happig. Aber der schiefe Turm von Pisa ist eben wirklich einzigartig.
Der runde Kampanile der Kathedrale ist heute das weltbekannte Wahrzeichen der Stadt. Die Erfinder dieses außergewöhnlichen Turms wären wahrscheinlich zufrieden gewesen, wenn wir allein ihre geniale Idee, den runden Turm mit vielen kleinen Säulen zu schmücken, bewundert hättet. Auf die dramatische Schieflage des Turms hätten sie ganz bestimmt gerne verzichtet.
Der schiefe Turm von Pisa
Aber schon 5 Jahre nach Beginn des Turmbaus deuteten sich die gravierende Probleme an. Als im Jahr 1173 der Grundstein für den Kampanile gelegt wurde, war den Architekten der unsichere Boden, auf welchem sie ihr Wunderwerk errichten wollten, längst bekannt. Schon der Dom zu Pisa war wegen des lehmigen Bodens im Verlauf der 100jährigen Bauzeit in gefährliche Schieflage geraten. Deswegen waren für den spektakulären Turmbaum Holzbohlen in den lehmigen Untergrund gerammt worden, auf denen ein Fundament aus Steinen geschichtet wurden. Wegen dieses soliden Fundaments hatte niemand damit gerechnet, dass der Turm umkippen könnte. Doch gerade als die Steine für das dritte Geschoss zugeschlagen wurden, neigte sich der Kampanile gefährlich zur Seite. Die Bauarbeiten wurden eingestellt und erst 1272 wieder aufgenommen. Da hatte sich der Turm schon um 28 cm gesenkt.
Beim zweiten Versuch den Turmbau zu vollenden, kam der Baumeister Giovanni di Simone auf die Idee, die Neigung des Turmes auszugleichen. Deswegen errichteten sie die nächsten 3 Geschosse wieder im Lot. Die Säulen auf der rechten Seite des Turmes sind einige Zentimeter länger als auf der linke. So entstand in Pisa also nicht nur ein schiefer sondern ein krummer Turm. Dessen Krümmung wird besonders am Glockenstuhl deutlich, der erst 1372 also fast 200 Jahre nach Baubeginn auf den Turm fertig gestellt wurde.
Gefährliche Schieflage
Das starrsinnige, lange Festhalten an diesem schwierigen Bauprojekt, ist eigentlich schwer nachvollziehbar. Tatsächlich aber erfüllt der schiefe Turm durch seine absurd, fallende Gestalt auch heute noch die Aufgabe, für die er vor über 850 Jahren ersonnen wurde, nämlich Aufmerksamkeit nach Pisa zu lenken.
Doch auch ohne die faszinierende Schieflage wäre der Kampanile von Pisa ein einzigartiges Bauwerk gewesen. Der ungewöhnliche runde Grundriss macht aus dem schiefen Turm eine riesige Säule, die mit einer Fassade aus vielen kleinen Säulen verkleidet ist. Und auch wenn der Turm unvollendet ist, denn er sollte ursprünglich eine Höhe von über 100 Metern erreichen, ist er mit seinen gut 58 Metern Höhe immer noch ein imposantes Bauwerk.
Aufstieg auf den schiefen Turm von Pisa
Der besonderes Reiz des schiefen Turms geht natürlich von der schaurigen Annahme aus, dass dieses Kuriosum doch irgendwann einmal zusammenstürzen müsse. Ende des letzten Jahrhunderts schien es soweit zu sein. Die Neigung des Turms war so stark, dass er für Besucher gesperrt werden musste und mit dem schlimmsten gerechnet wurde. Insgesamt wurden 30 Millionen Euro eingesetzt, um den Einsturz der einzigartigen Sehenswürdigkeit in Pisa zu verhindern. Heute gehen die Architekten und Restauratoren davon aus, dass der Turm mit einem Neigungswinkel von 5,5° für die nächsten 300 Jahre gesichert ist. Seit 2001 ist ein Aufstieg auf den Turm wieder möglich. Hanno Rautenberg hat die Geschichte des Turms hier anschaulich beschrieben.
Lohnt es sich den schiefen Turm hinaufzusteigen? Ein ganz klares Ja! Die Aussicht ist nicht so spektakulär, obwohl der Blick auf das Dach des Doms nicht zu verachten ist. Das eigentliche Erlebnis ist der Aufstieg an sich! Denn die 273 Stufen bis zum Glockenstuhl führen im Kreis um den Kern des Turms herum. Der Aufstieg fühlt sich deswegen an, wie eine langsame Fahrt in einer Achterbahn, da man unwillkürlich mit dem Turm von einer Seite zur anderen kippt. Ein ganz klein bisschen wird dabei unser Empfinden von Balance herausgefordert.
Praktische Tipps
- Der Aufstieg auf den schiefen Turm ist limitiert. Während der Öffnungszeiten werden 20 Besucher alle 15 Minuten eingelassen.
- Die Besichtigung dauert ca. 30 Minuten.
- Da der Aufstieg über eine enge Wendeltreppe erfolgt, müssen Taschen und Rucksäcke in einer Garderobe deponiert werden.
- Tickets für den schiefen Turm kannst Du online vorab reservieren. Auf dieser Website findest Du weitere Informationen zu Eintrittspreisen und Öffnungszeiten.
- Du kannst Tickets für den Torre pendente und die anderen Sehenswürdigkeiten natürlich auch direkt an der Piazza dei Miracoli kaufen. Tickets gibt es im Museo delle Sinopie direkt auf der Piazza del Duomo oder hinter dem schiefen Turm auf Via Cardinale Pietro Maffi.
Galileo Galilei und die Piazza dei Miracoli
Einer der berühmtesten Besucher des schiefen Turms von Pisa soll das Universalgenie Galileo Galilei gewesen sein. Galilei wurde in Pisa geboren und besuchte die dortige Universität, an der er schließlich als Professor lehrte.
Während seiner Lehrtätigkeit an der Universität soll Galileo auf dem schiefen Turm ein berühmtes Experiment durchgeführt haben. Er warf zwei Bälle mit unterschiedlichem Gewicht vom schiefen Turm und stellte fest, dass beide zum gleichen Zeitpunkt auf den Boden aufschlugen. So fand er heraus, dass alle Gegenstände unabhängig von ihrer Masse gleich schnell fallen. Allerdings wird angezweifelt, dass dieses Experiment jemals stattgefunden hat. Wahrscheinlich hat Galileo die Ansicht des griechischen Philosophen Aristoteles, dass schwere Gegenstände schneller fallen als leichte, in einem Gedankenexperiment widerlegt. In diesem Video wird diese Gedankenexperiment nachvollziehbar dargestellt.
Erstaunlicherweise wird dieses Experiment Galileos auf dem schiefen Turm von der UNESCO als Grund angeführt, der Piazza dei Miracoli in Pisa den Titel Welterbe zuzuerkennen. Ein schönes Beispiel, wie sich auch widerlegte Legenden immer wieder als (gefühlte?) Wahrheit behaupten können. Genauso ist die UNESCO mit der berühmten Lampe verfahren, von der der Student Galileo Galilei im Jahr 1581 zum nachdenken über die Pendelbewegung angeregt worden sein soll. Der eindrucksvolle Leuchter ausgeführt vom Goldschmied Vincenzo Possanti wurde aber erst 1587 in der Kathedrale aufgehängt.
Santa Maria Assunta – Der Dom von Pisa
Die Geschichte des Doms von Pisa beginnt im Jahr 1063. Felsenfest wird behauptet, dass die reiche Beute aus der Eroberung der Stadt Palermo auf Sizilien, die finanzielle Grundlage für den Baubeginn von Santa Maria Assunta legten. Der erste Architekt dieses Meisterwerks romanischer Baukunst in Italien ist der sagenhafte Buschetto gewesen. Dessen künstlerische Leistung wird in seiner Grabinschrift, links an der Fassade des Doms, sogar mit den Heldentaten des Odysseus verglichen. In Pisa hatte man sich anscheinend vorgenommen, mit dem Dom etwas ganz besonderes zu schaffen.
Etwas besonderes und außergewöhnliches zu schaffen, ist den Baumeistern des Doms zu Pisa tatsächlich gelungen. An dem großartigen Bau verschmelzen Epochen und Einflüsse der Mittelmeerkulturen zu einem fantastischen Gesamtkunstwerk. An vielen Stellen ist das Erbe des antiken Roms sichtbar, nicht nur in der Verwendung von Säule und Bogen als dem beherrschenden architektonischen Motivs dieses Baus. Viele der Steine, die in der Fassade verbaut werden, weisen Fragmente römischer Inschriften oder Reliefs auf. Sie müssen also aus den Ruinen antiker Gebäude stammen und wieder verwendet sein.
Gerade an der prächtigen Fassade ist das Motiv der Bogenarkaden besonders aufwändig gestaltet. Über einer breiten Arkade aus Säulen und Pilastern öffnen sich 4 Geschosse einer loggienartigen Säulenstellung, die die dahinter liegende Fassadenwand quasi vergittern. Die gesamte Fassade ist mit farbigem Marmor ornamental ausgeschmückt. Die geometrischen Formen erinnern dabei an ihren Ursprung in der arabischen Dekorationskunst. Die Architektur des Doms wird Vorbild für viele weitere Kirchen in der Toskana.
Die Porta di San Rainieri ein Meisterwerk des Bonanus von Pisa
Einer der größten Kunstschätze am Dom ist die Porta di San Rainieri. Sie ist an der östlichen Seite des Querarms genau gegenüber dem schiefen Turm angebracht. Der Bildhauer Bonanus von Pisa hat dieses bronzene Tor um das Jahr 1180 geschaffen. In 20 Bildern erzählt Bonanus das Leben Christi, auf das ganz unten an der Tür ehrwürdige Propheten hinweisen und welches ganz oben in der Erscheinung Christi als Weltenrichter im jüngsten Gericht gipfelt.
Bonanus hat ein unglaubliches Talent mit einfachen Mitteln großartig und lebendig zu erzählen. Eine Landschaft kann er mit mit Hilfe einer Palme oder – wie im Zug der 3 Weisen aus dem Morgenland – mit einem unsicher geformten Bogen modellieren. Er fokussiert sich auf das Wesentliche und lässt alles Überflüssige weg. Dennoch sind seine Darstellungen reich an Details und Abwechslung. So scheinen die Mäntel der 3 Weisen eine Art Bewegungsablauf darzustellen. Der erste vom “Fahrtwind“ gebläht, der zweite kommt langsam zur Ruhe, der dritte Mantel hängt ohne Bewegung herab. Ebenso eindrücklich ist die Kombination von Schrift und Bild.
Der Eintritt durch die Porta di San Rainieri ist für Touristen nicht vorgesehen. Dieser Eingang in den Dom zu Pisa ist den Besuchern eines Gottesdienstes in der Kathedrale vorbehalten. Die Reisenden müssen den Dom durch ein Portal an der Fassade betreten.
Ein märchenhafter Innenraum
Auch die Portale an der Fassade des Doms sind prächtige Bronzetüren. Von den meisten Besuchern werden sie leider ignoriert. Das ist schade, denn diese Türen sind ein einzigartiges Beispiel dafür, wie die außergewöhnlichen Entdeckungen neuer Welten im Zeitalter der europäischen Kolonisation, die Fantasie von Künstlern befeuerte. In den Dekorationen der Tür tauchen mit Tabak, Kürbis und Tomaten Pflanzen auf, die bis zur Kolonisierung Amerikas in Europa unbekannt waren.
Besonders prominent ist aber die fantastische Darstellung eines Rhinozeros, die auf einem Holzschnitt Albrecht Dürers basiert. Dürer hatte zwar nie ein indisches Panzernashorn gesehen. Das hinderte ihn aber nicht, sich auf der Grundlage einer Beschreibung und einer vagen Zeichnung an die Darstellung dieses exotischen Tieres zu machen.
Der Innenraum der Kathedrale von Pisa ist ein großartiger 5schiffiger Raum, der wegen seiner vielen Säulen wie ein regelrechter Säulenwald erscheint, der manche Besucher an die arabische Baukunst erinnert. Darüberhinaus sind überall die Anleihen an die Antike, an Rom und Byzanz spürbar. Dieser erstaunliche Raum verschmilzt die Einflüsse und das Erbe verschiedener Mittelmeerkulturen und Epochen zu einem überzeugenden Gesamtbild.
Der märchenhafte Gesamteindruck des Kirchenraums wird noch verstärkt durch das Zusammenspiel von Mittelalter, Renaissance und Barock in der Ausstattung der Kathedrale. Nach einem verheerenden Brand Ende des 16. Jahrhunderts mussten große Teile der Kirche erneuert werden. Die üppig mit Gold dekorierte Kassettendecke stammt aus dieser Zeit.
Die Kanzel Giovanni Pisanos in Pisa
Das bedeutendste Kunstwerk im Dom von Pisa ist die Kanzel Giovanni Pisanos. Der berühmte Bildhauer hat sie zwischen 1302 und 1312 für die Kathedrale geschaffen. Kurz vorher hatte Giovanni die gleichfalls berühmte Kanzel für San Andrea in Pistoia beendet.
Wie Bonanus an seiner Bronzetür erzählt Giovanni an der Kanzel das Leben Christi von der Geburt über die Himmelfahrt bis zum jüngsten Gericht. Dazu kommen noch Propheten, die Sybillen, griechische Orakelpriesterinnen, Allegorien der Tugenden und ganz besonders imposant der Held unzähliger antiker Sagen: Herkules. So wie in der Architektur des Doms verschmelzen an der Kanzel die Einflüsse unterschiedlicher Epochen und Kulturen zu etwas Neuem. Wahrscheinlich erzählt das bildliche Programm der Kanzel etwas über Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Denn in dem Schriftband, das Christus hält, wird der 85. Psalm zitiert: “Güte und Treue sind einander begegnet, Gerechtigkeit und Friede haben sich geküsst.“
Das Aktbild des ausgezehrten Herkules an der Kanzel fällt besonders auf. Warum stützt ein antiker Held eine christliche Kanzel? Giovanni Pisano und seine gebildeten Zeitgenossen verstanden Herkules als ein Vorbild an tugendhaftem Handeln. Außerdem konnte der griechische Held als Hinweis auf Christi interpretiert werden. Immerhin war der Vater von Herkules ein Gott, seine Mutter aber ein sterblicher Mensch gewesen. Nicht zu vergessen ist, dass Herkules der einzige menschgeborene Sohn eines Gottes gewesen war, dem vor Christus eine Himmelfahrt gelang. Vielleicht wollte sich Giovanni aber auch nur mit seinem Vater Nicola messen, der an seiner Kanzel im Baptisterium – gut 40 Jahre früher – ebenfalls einen Herkules dargestellt hatte.
Die Kunst des Nicola Pisano
Größer als dieser Unterschied zwischen den Herkules-Darstellungen des Vaters und des Sohns kann ein Unterschied eigentlich nicht sein. Giovanni hat eine freistehende, fast lebensgroße Skulptur geschaffen, deren hagerem Gesicht und Leib die Mühsal des Lebens eingeschrieben sind.
Der Vater Nicola Pisano dagegen hat den Herkules als einen knusprigen jungen Helden dargestellt. Es handelt sich dabei sogar um die erste Aktdarstellung nachantiker Zeit. Die Darstellung orientiert sich an antiken römischen Vorbildern, die Nicola in Hülle und Fülle auf der Piazza dei Miracoli hatte studieren können. Denn rund um den Dom und das Baptisterium waren zu seiner Zeit römische Sarkophage aufgestellt, geschmückt mit prächtigen Reliefs von wilden Tieren und nackten Helden. Ein großer Teil dieser Sarkophage wird heute im Camposanto aufbewahrt.
Auch die Reliefs, auf denen Nicola mit monumentalen Figuren die Lebensgeschichte Jesu schildert, sind in der knospenden Körperlichkeit der Figuren von der römischen Antike beeinflusst. Unterhalb des jüngsten Gerichts befindet sich eine Inschrift, die Nicola als Schöpfer dieses großartigen Werkes nennt, dort heißt es: “Im Jahre 1260 meißelte Nicola Pisano dieses ausgezeichnete Werk – möchte eine so hochbegabte Hand gepriesen werden, wie sie es verdient.“
Ein Echo im Baptisterium
Die Taufkapelle auf der Piazza dei Miracoli ist das größte Baptisterium in Italien. Der romanische Rundbau erhebt sich genau gegenüber der Kathedrale Mit den üppigen, gotischen Wimpergen und Fialen ist das Baptisterium mindestens so prächtig geschmückt wie das Kirchlein Santa Maria della Spina am Arno. 1152 wurden mit dem Bau begonnen, gut 250 Jahre später war das Werk vollendet.
Ziemlich ungewöhnlich sind die roten Ziegel, die die Kuppel zur Hälfe bedecken. Die andere Hälfte ist wie alle anderen Gebäude an der Piazza dei Miracoli mit Bleiplatten gedeckt. Diese auffällige Dachgestaltung wurde notwendig, weil eine steife Brise kontinuierlich Salz vom Meer heran weht, das die Bleiziegel auf der See zugewandten Seite zerfraß. Ganz pragmatisch wurden die Bleiplatten gegen die haltbareren Tonziegel ausgetauscht.
Ursprünglich wurde das Baptisterium von einer Art Kegel überdacht, dessen spitzes Ende ragt sichtbar aus der Kuppel heraus. Der Hohlraum, der beim Bau der Kuppel zwischen dem Kegel und der Kuppelwand entstand, ist verantwortlich für ein erstaunliches akustisches Phänomen: Das Echo!
Alle 30 Minuten werden die Türen des Baptisterium verrammelt. Ein Kustode tritt an das Taufbecken im Zentrum des Bauwerks heran und gebietet ehrfürchtig: Silenzio. In diese Ruhe hinein ertönt eine geheimnisvolle und eher gewöhnungsbedürftige Tonfolgen „OOOOUUUUUOOOOAAAAA“ Richtung Kegel, die dieser mit einem gewaltigen Echo verstärkt, in den Raum zurückwirft und gleich ein weiteres Echo erzeugt. Magisch! Toll! Unbedingt anhören! Durch diese sphärischen Klänge fühlen wir uns erfrischt für unsere letzte Etappe, den monumentalen Camposanto.
Der Camposanto monumentale
Der Camposanto in Pisa ist mit großem Abstand der schönste Friedhof in Italien. Naja, wenn es so etwas wie einen schönen Friedhof überhaupt geben kann. Von außen sieht die lange, mit Bogenarkaden gegliederten Fassade des Camposanto ziemlich monoton aus. Die Überraschung kommt erst drinnen. Denn dort werden die langen Wände wie bei einem Kreuzgang von einem zauberhaft leichten, gotischen Maßwerk durchbrochen und aufgelockert. Das Spiel aus Licht und Schatten in den endlos lange Gängen des Friedhofs ist außerordentlich reizvoll.
Entlang der Gänge sind die römischen Sarkophage aufgestellt, in denen sich die Oberschicht des mittelalterlichen Pisas bestatten ließ. Heute sind die natürlich leer. Aber an einigen antiken Reliefs lässt sich deutlich erkennen, dass Nicola und Giovanni sie studiert haben müssen, bevor sie zum Beispiel die Löwen an ihren Kanzeln gearbeitet haben.
Im Zentrum des Baus liegt der eigentliche Camposanto, der heilige Acker, eine saftig grüne Wiese. Die Erde dieses Feldes soll – der Legende zufolge – von pisanischen Seeleuten in der Folge des 3. Kreuzzuges aus dem heiligen Land nach Pisa gebracht worden sein. Sofort sollen sich in der Terra Santa die erstaunlichsten Wunder zugetragen haben. Denn Zeugen berichten, dass Haut und Fleisch der in dieser heiligen Erde beigesetzten Leichen innerhalb kürzester Zeit verwesten. Offiziell bestätigt ist dieses Wundern nicht, doch es wird gemunkelt, dass die Seelen sich aus den schnell verfallenden Körpern sofort auf den Weg ins Paradies gemacht haben könnten. Was für ein Wettbewerbsvorteil beim jüngsten Gericht.
Die Fresken im Camposanto von Pisa
Besonders beeindruckend sind die Fresken, welche die Wände des Camposanto schmücken. Der Camposanto muss ehedem ein fantastisches Bilderbuch gewesen sein, in welchem prominente Künstler jahrhundertelang ihre Meditationen über Leben und Sterben an die Wände malten. Im zweiten Weltkrieg haben Fliegerbomben dieses Schatzhaus italienischer Renaissancemalerei zerstört. Viele Bilder wurden bei einem verheerenden Brand vernichtet. Bilder, die gerettet werden konnten, waren stark beschädigt.
Trotz dieser Katastrophe hat der unter dem Namen Triumph des Todes bekannt gewordene Freskenzyklus des Malers Buonamico Buffalmacco nichts an seiner Wirkung eingebüßt. Zu diesem Bilderzyklus gehört die Darstellung der Hölle, eine Schau des Paradieses und eine Allegorie auf die Vergänglichkeit des Lebens.
Mich beschäftigt vor allem die Darstellung der Hölle. Im Zentrum thront ein fieser Teufel, der die erschreckten Seelen verspeist, um sie dann in die Hölle zu scheißen. Dort werden sie von kleinen Teufeln erwartet, die ganz augenscheinlich ein großes Vergnügen dabei haben, die Seelen schlimm zu piesacken und zu quälen. Schmerzverzehrte Gesichter und schreiende Münder deuten an, wie unerfreulich es sein muss, wenn der Bauch aufgeschnitten wird oder der Leib auf einen Bratspieß befestigt ist.
Ganz anders dagegen das jüngste Gericht und das Paradies. Dort geht alles mit Ordnung und mit Ruhe zu. In einer in Unordnung geratenen Welt ist die Ruhe und die Ordnung ja ein sehr erstrebenswertes Gut.
Der Triumph des Todes
Der Triumph des Todes ist sicherlich das bekannteste Fresko im Camposanto. Bis vor kurzem wurde angenommen, Buonamico Buffalmacco habe dieses Bild in Pisa als Reaktion auf das Massensterben verursacht von der Pest des Jahres 1348 gemalt. Die Geschichte vom Gleichmacher Tod, der Rücksicht weder auf Kaiser, König noch Papst nimmt, passt ja auch sehr gut in eine Zeit der Epidemie und Pestilenz. Die fein gekleidetet Gesellschaft jugendlicher Snobs erinnert außerdem an die Erzählungen Giovanni Boccaccio’s im Decameron.
Nichtsdestotrotz ist dieses Fresko mit größter Wahrscheinlichkeit vor der großen Pest entstanden und zwar in einer ähnlichen Gedankenwelt, in der ein plötzlicher, unerwarteter Tod sowieso zu den Gewissheiten des Lebens gehörten. Deswegen genießen die jungen Menschen, die sich mit Musik, der Falkenjagd und neckischen Flirts vergnügen, den Tag so lange es ihnen gelingt. Denn der Tod kommt schon wie ein Dieb um die Ecke, um ihnen das Leben zu nehmen.
Sogar eine königliche Jagdgesellschaft wird mit der unerwartete Begegnung mit Tod und Verwesung konfrontiert. Wie schockierend es sein muss, über 3 offene Särgen zu stolpern, in denen Körper in unterschiedlichen Graden der Verwesung zu sehen und zu riechen sind, lässt sich an dem verschreckten Pferd ablesen, das keinen Schritt vorwärts mehr machen möchte.
Aber der Maler bietet Auswege aus diesem Jammertal. Links oben ist mönchisches Leben zu sehen. Eremiten, die sich in die Natur zurück gezogen haben und dort vielleicht mystische Erfahrungen machen. Also loslassen, Kontemplation und „Ichsterben“. Dann muss sich keiner mehr vor dem leiblichen Sterben fürchten.
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Die Zeitmaschine
Die Piazza dei Miracoli in Pisa umschließt eine ganze Welt. Es gibt nur wenige Orte, an denen es so mühelos gelingt, von der römischen Antike bis in die Gegenwart und wieder zurück zu springen. Eigentlich ist die Piazza dei Miracoli eine Art Zeitmaschine.
Große, durchaus gewalttätige Epochen der europäischen Geschichte: die Zeit der Kreuzzüge, die Zeit der Kolonisation, der zweite Weltkrieg haben hier ihren Abdruck hinterlassen. Zeit bekommt auf der Piazza dei Miracoli sowieso eine ganz eigenartige Qualität. Denn betrachtet man die vielen hundert Jahre, in denen um die Vollendung der Piazza dei Miracoli gerungen wurde, dann schleicht sich ein merkwürdiger Gedanke an. Der Dom, das Baptisterium, der Camposanto und der schiefe Turm von Pisa wurden nicht für eine Gegenwart gebaut sondern für die Ewigkeit.