Mein Lieblingssport in Portugal?
Wenn man Fußballbegeisterung im Brockhaus nachschlägt, enthält der betreffende Band sicher auch ein Foto von fahnenschwenkenden Portugiesen. Als ich im Juni 2018 einmal wieder in meiner ewigen Lieblingsstadt Lissabon ankomme, ist die Stadt im Fest- und Freudentaumel. Ohnehin ist der Juni der Monat des Stadtheiligen San Antonio und an jedem Platz, in jedem Viertel, an jeder Straßenecke geben sich kleine Straßenfeste die Wimpel in die Hand. Die WM 2018 wirkt da lediglich als Verstärker. Sowohl Portugal als auch Deutschland flogen früh aus dem Turnier. Passiert. Was bleibt, sind zeitlose Marker der größten Stadt Portugals, die schon ganz andere Katastrophen überstanden hat als ein paar verlorene Spiele.
Mein Lieblingssport in Lissabon? Mit dem Mann auf der Dachterrasse des weltbesten Bed & Breakfast in Estrela, in der Travessa do Pinheiro, sitzen und die Hauptstadt mit den Augen einatmen. Unter uns breiten sich die bebauten Hügel aus, der Hafen, der sich über 10 Kilometer an der Uferlinie entlang zieht. Links das Castillo, rechts die Ponte 25 Avril, gleich schräg dahinter erhebt sich die überdimensionale Jesusstatue. Ein paar Segler gleiten durchs sommerbunte Bild, dazu die Fähren von Transtejo S. A., die Lissabon mit Margem sul do Tejo, dem Südufer verbinden. Es hat was Meditatives, auf dieses Gesamtkunstwerk von gewachsenem Wimmelbild zu schauen.
Wo geht’s denn in Lissabon zum Strand?
Warum nicht einmal an den Strand fahren? Stadtstrände sind ja immer so eine Sache. Übervoll oder klitzeklein, uncharmant und dreckig können sie sein. Gleichzeitig hat es etwas Rührendes zu sehen, wie die Sehnsucht nach Strand und Meer sich überall Bahn bricht, wo es nur irgendwie geht. Der Mensch will, scheint’s, eingecremt und textilbefreit, im Sand wühlen und aufs Wasser glotzen. Zumindest der von existenziellen Problemen weitgehend befreite Stadtbewohner. Im Stadtstrand manifestiert sich ein erreichbarer Sehnsuchtsort, Luxusgefühl und Leisuretime in einem. Die Küste um Lissabon verfügt insgesamt über 20 Strände „mit blauer Fahne“.
Auf dem Weg vom Fähranleger in Cais do Sodré nach Cacilhas dominiert noch der normale Sonntags-Sommer-Wahnsinn. Mit Strandequipment bepackte Städter drängen auf die Fähre zu einem Mini-Urlaub am Praia vor ihrer Haustür. Zwischen ihnen ein paar Touristen, die keine Lust haben, sich vor den Ticketautomaten am Bahnhof nach Estoril die Beine in den Bauch zu stehen. Hier, am Cais do Sodré, wird der drohende Overtourism-Infarkt spürbar, vor dem Lissabon steht.
Das Nadelöhr ist symptomatisch, die Schlangen sind absurd lang. Mir wird kurz eng ums Herz. Wieso tun sich Leute das an? Das westliche von Lissabon gelegene Strandstädtchen Estoril architektonisch und von der Gesamtanmutung schmucker als die Costa da Caparica. Die malerische Küste, die großzügigen Villen, das Casino. Der Praia do Tamariz in Estoril glänzt mit Burg-Panorama, die auch als Exilstätte gestürzter Helden beliebte Stadt umweht ein historisch bedeutender Nimbus, dazu kommt eine Portion Glamour, gemischt mit der richtigen Dosis Sport und Spiel. Klingt wirklich gut, wenn nur die Menschenmassen nicht wären. Wir bleiben dabei: Costa Caparica ist das Ziel der Wahl.
Badestrände in Lissabon
In Cacilhas angekommen biegen wir heute nicht gleich an der Kaimauer nach rechts ab (in Richtung Restaurante Ponto Final), sondern halten uns leicht links. Gleich hinter dem Fähranleger ist der Busbahnhof von Casilhas. Hier gibt es ganz schön viele Verbindungen. Achtung: Die grünen Viagem Karten, mit denen man in Lissabon überall hinkommt, funktionieren im Revier der TST nicht. Bei Transportes sul do Tejo gibt es Express-Linien und Überlandbusse mit vielen Stops. Nach Costa Caparica geht es mit den Carreiras Suburbanas 124 oder 135.
Auffällig sind die Bettenburgen auf dieser Seite des Tejo. Kein Glitzer, kein Glamour. Kein Casino, keine Alleen. Im Gegenzug gibt es viel günstigen Wohnraum für viele Menschen, die drüben arbeiten und hüben wohnen. Die Busse scheinen hier das Transportmittel zu sein. Bald sind der Mann und ich – neben dem Busfahrer – die einzigen hellhäutigen Fahrgäste.
Ich fühle mich an meine Reise in die Karibik erinnert. Speziell daran, wie sehr das Empfinden für die eigene Hautfarbe vom Kontext abhängig ist. Auch jetzt und hier sind „Caucasians“ die Ausnahme. Während ich an Angola denke, an Cap Verde, an Mosambik, Macau und an die anderen „Überseeprovinzen“ aus der portugiesischen Kolonialgeschichte, summe ich ein paar Zeilen eines Neneh Cherry Songs. Das Thema ist zu krass und viel zu groß für einen Strandtag. Also breche ich ab und widme mich wieder der Umgebung.
And when a child is born into this world
It has no concept
Of the tone the skin it’s living in
aus: Neneh Cherry und Youssu Ndour – 7 Seconds
Auf einmal ist er da. Der kleine Ort, hinter dem sich ein schier endloser Sandstrand ergießt. Einmal kurz durch die Einkaufsstraße gelaufen, schon sind wir da. In welcher Beach Bar man landet, ist an der Costa da Coparica eigentlich gleich. Überall sitzen Einheimische und Besucher an großen Tischen, aus dem Radio plärrt Musik. Zum Bier werden hier statt Nüsschen Tremocos gereicht. Für mich sind die Lupinenkerne das „Marmite“ unter den portugiesischen Snacks. Nachdem ich mir die Dinger in Nazaré und Sitio mehrmals von zauberhaften winzigen Damen in den traditionellen Fischertrachten habe aufschwatzen lassen, bin ich geheilt. Für jemanden, der sonst ungefähr alles isst, eine interessante Erfahrung.
Am breiten Sandstrand selbst wird sich gebraten und gekonnt gewendet, gechillt und sich in schönster Manier wundgelegen, auf amtlichen Wellen gesurft, geplanscht und geboogieboarded. Das unmittelbare Umfeld des Stadtstrandes Costa da Caparica erinnert mich ein wenig an Puerto Escondido, am wilden Pazifik. Auch dort sind die Wellen außergewöhnlich, auch dort ist alles auf Wassersport und Sonnenbadhungrige ausgerichtet und die Infrastruktur ähnlich.
Die portugiesische BayWatch patroulliert auf und nieder, turtelnde Pärchen und pubertierende Cliquen machen es sich neben Familien und Rentern bequem. Eine bunte Mischung, die so einladend ist, dass selbst wir Sonnenbaden-Phobiker uns kurz dazu legen. Eine Nuance dunkler und mit neuen Sommersprossen geht es abends wieder zurück, dann aber zur Abwechslung mal mit dem Taxi über die Ponte 25 Avril. Zurück zur After Sun Lotion und zum schattigen Lieblingsplätzchen auf der Dachterrasse.
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Mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Lissabonner Stadtstränden
Lissabon ist die einzige Stadt in Europa mit Stränden am Atlantik. Das sollten Besucher doch ruhig tüchtig ausnutzen. So kommt ihr mit den Lissabonner Öffis zu den Badestränden an der Costa de Caparica, zu den Praias da Vila sowie nach Terras da Costa und Arácias e Medos. Transportes Sul Do Tejo Die portugiesische Website informiert auch in englischer Sprache.
Mehr Strände zum Entdecken an der Atlantikküste unweit von Lissabon sind: Praia de Carcavelos, Praia de São Pedro do Estoril, Praia da Cresmina ou Pequena do Guincho, Praia das Maçãs Praia do Norte / Algodio (Ericeira), Praia da Ribeira d’Ilhas, Praia de São Lourenço, Terras da Costa, Acácias e Medos Praia do Meco ou do Moinho de Baixo, Praia da Figueirinha.