Marktbesuch in Jerusalem
Einkaufen wie die Einheimischen hat sich zu einem ganz besonderen, authentischen Reiseerlebnis gemausert. Reisende sieht man heute auf vielen Märkten. Weltweit. Der Markt, der etwas auf sich hält, ist nicht mehr nur für Einheimische gemacht, die ihren Bauch voll schlagen wollen. Märkte bedienen immer mehr Reisende auf der Suche nach einem landestypischen Andenken.
Bunter Ethno-Kitsch oder Shirts und Kappen mit lustigen Aufdrucken waren gestern. Heute werden auf Märkten Gewürze, Tees, Trockenobst oder Süßigkeiten als Mitbringsel für die Lieben daheim gekauft. Erinnerung geht halt durch den Magen. So ein verzehrbares Reisegeschenk ist auch recht praktisch. Es steht nicht blöde rum. Es staubt nicht voll. Im besten Fall verschwindet es auf Nimmerwiedersehen im Verdauungsapparat. Im schlechtesten Fall wird es dezent mit einem kleinen Schuldgefühlen (Lebensmittel schmeißt man doch nicht weg) im Hausmüll entsorgt.
Der Marktbesuch. Für mich ein schwer nachvollziehbares Verlangen. Beim Einkaufen bin ich eher typisch Mann. Betrete ich ein Markt, gibt es eine kurze Sensation. Wow, ist das toll hier! Nachhaltig ist diese Begeisterung nicht. Einkaufen ist nicht so meins.
Exotische Märkte – Eintauchen in der Fremde
Warum aber gehen andere Reisende gerne auf Märkte? Meine These lautet, Märkte zerkleinern die Fremde und das Reiseland zu konsumierbaren, leicht transportierbaren Einheiten. Von exotischen Märkten nehmen wir den Duft und den Geschmack der Ferne mit nachhause. Sind deswegen Gewürzmischungen so beliebt? Das klappt aber nicht immer. Jeder kennt die Geschichte vom, sagen wir mal Frascati Wein, der unter der Sonne des Latiums schmeckte wie ein dionysischer Tropfen und sich zu Hause in ein übeles Kopfschmerzwasser wandelt.
Was kaufe ich auf Märkten ein, wenn ich unterwegs bin? Vielleicht etwas Proviant für den Tag oder ein Picnic. An einem Antipasti-Stand lasse ich mir schwarze, schrumpelige Oliven einpacken, etwas Humus oder gefüllte Weinblätter. In einer Bäckerei kaufe ich leckere Brötchen, die ich mir beim Metzger mit Wurst oder Käse belegen lassen. Aber nur selten kaufe ich ein, um etwas Schmackhaftes zuzubereiten. Unterwegs einkaufen auf Märkten trennt denjenigen, der eigentlich nur betrachtet und schaut von demjenigen, der für den Alltag kauft, demjenigen der einheimisch ist.
Was also macht Märkte so faszinierend? Märkte auf Reisen zu besuchen, heißt super einfach Land und Leuten zu begegnen, ohne in echt kommunizieren zu müssen. In den Auslagen der Obst- und Gemüsestände, der Fleischer und der Fischverkäufer schaue ich dem bereisten Land quasi in den Suppentopf oder auf den Teller. “Oh, hier werden aber viele Muscheln gegessen.” “Ach, und dort frischer Tintenfisch, wie sehen die Saugnäpfe putzig aus.” Ich bin mitten drin und trotzdem außen vor! Verständigen muss ich mich nicht. Super praktisch!
Kirsten hat in Buntes lautes Marrakesch sehr eindrücklich über ihre Markterlebnisse in Marroko geschrieben. Ich habe mir in Jerusalem den Mahane Yehuda Markt angeschaut. Orient pur!
Der Mahane Yehuda Markt: Kauf mich! Beiß mich! Iss mich!
Der Mahane Yehuda ist der faszinierenste Markt, den ich bisher besucht habe. Schon vor meiner ersten Israel-Reise hat mich Yotam Ottolenghi mit seinen Kochbüchern auf eine kulinarische Achterbahn über den Mahane Yehuda Markt geschickt.
Der britische Starkoch Ottolenghi hat den Mahane Yehuda Markt mit seinen mediteran-orientalischen Rezepten weltweit bekannt und berühmt gemacht. All diese exotischen Zutaten, die Ottolenghis Gerichte so besonders machen, kann ich auf diesem Markt finden: Sumach, die säuerliche Würze des Essigbaums oder bittersüßen Granatapfel-Sirup oder sahnig weißen Ziegenmilch Yoghurt. Auf dem Mahane Yehuda Markt gibt es all das, und bestimmt noch vieles mehr.
Der Mahane Yehuda Markt liegt zentral in Jerusalem zwischen der Yafo Street und der Agripas Street. Es ist ein überdachtes Labyrinth aus verwinkelten Gassen, überbordenden Marktständen, vibrierendem Stimmengewirr und einkaufshungrigen Menschen. Sieht ein bisschen aus wie eine mal eben hin improvisierte Shopping-Mall. Unglaublich raffiniert. Orient eben. Der Markt ist über die einzige Straßenbahn in Jerusalem, die Linie 1 ganz bequem zu erreichen. Die Haltestelle heißt wie der Markt “Mahane Yehuda“. Die Tram hält direkt vor dem Markt. Wirklich nicht zu verfehlen.
Auf den Mahane Yehuda werde ich so richtig neidisch. Boah, so tolle Exotenfrüchte gibt es da. Mensch, was ist das für eine riesige Auswahl an frischem Fisch. Ich verfalle sofort in den gefürchteten Konsumtaumel. Speichefluss setzt ein! Da wird ein Rind in saftig rote Filets zerlegt. Dort türmt sich Gebäck aus Mandeln, Nüssen und Zuckerwasser. Unzählige Eindrücke. So unglaubliche Farben. So prächtige Aromen. So viele Imperative: “Kauf mich!“ “Beiß mich!“ “Iss mich!“ Überall Verführung. Der Mahane Yehuda Markt sieht aus und duftet wie das Paradies.
Einkaufen im Paradies
Ein konfektioniertes Paradies. Alles ist zwar Überfluss vorhanden, wie damals im herrlichen Garten Eden. Doch seit dem Sündenfall ist die Versuchung leider nicht mehr kostenfrei. Auf dem Mahane Yehuda Markt kosten Lebensmitteln richtig Geld. Klar, so billig wie in Deutschland, werden Lebensmittel fast nirgends auf der Welt verscherbelt. Wenn’s gut geht, darf ich aber mal probieren. Hier etwas Käse, dort eine Mandarine. Ein Stück marinierten Fisch. Ein Schnipsel von der fetten Wurst. Zuckersüßes Halwa. Diese Gewürzmischung aus Mandeln, Rosinen und ziemlich viel Geheimnis macht aus einem schnöden Teller Reis, eine paradiesisch, orientalische Wunderspeise.
Außerdem lassen sich auf dem Mahane Yehuda Markt Menschen beobachten, wie sie drängeln und die Ware prüfen. Dort treffen sich alte Freunde. Ein Stammkunde wird freudig begrüßt. Orthodoxe Juden sammeln für den guten Zweck. Da werden Einkäufe in gelben Plastiktüten geschleppt. Dort wird Obst in orange Plastiktüten verpackt. Dadrüben kommt das Gebäck in grüne Plastiktüten. So viel Umweltgift. Passt gar nicht auf diesen romantischen Mahane Yehuda Markt.
Oh je, ein Missgeschick passiert. Ich habe es nicht gesehen. Ich habe es gehört! Es wird ein bisschen laut. Die Unruhe ebbt ab. Dann es ist es wieder ganz entsapnnt. So ein Markt ist eben auch Schaufenster des prallen Lebens. Der Mahane Yehuda Markt erscheint mir als eine Männerdomäne. Hinter den Theken arbeiten Jungs, junge Männer, alte Herren. Selten Frauen.
Die Atmosphäre auf dem Mahane Yehuda Markt hat mich weich geklopft. Ich beobachte. Ich schwelge in Farben, Formen und Gerüchen. Ich fantasiere, was wäre wenn? Was würde ich zubereiten? Aber wie soll ich dieses leckere Zeug zu mir nach Hause kriegen? Zum Glück kann ich auf dem Markt studieren, welche köstlichen Spezialitäten sich aus diesen herrlichen Zutaten machen lassen. Dazu setzte ich mich ganz bequem in eines der vielen Cafés oder Restaurants innerhalb des Marktes. Ein Gang im Mahane Yehuda ist zu einer richtigen Fressgasse entwickelt. Bänke, Stühle, Tische. Eine riesige Auswahl. Ideal für eine entspannte Mittagspause.
Nostalgie und Reiswaffeln auf dem Mahane Yehuda Markt
Besonders gerne sitze ich im ganz neu eröffneten Café Mizrahi. Hier gibt es einen kräftigen Cappuccino und diese unglaublich leckeren Tartes. Natürlich aus sehr buttrigem Mürbeteig, gefüllt mit cremiger Ricotta, Apfel und Blaubeeren zum Beispiel. Hauptsächlich aber gehe ich dorthin, weil es auf der anderen Seite einen von Tauben umschwärmten Gewürz- und Trockenobst-Handel gibt, der eine Reiswaffel Produktions Maschine besitzt. Wo lässt sich so etwas sonst noch sehen?
Reiswaffel Herstellung geht so: In einem kleinen Ofen werden die Reiskörner aufgepufft, dann werden sie “klick klack“ von einer heißen Presse in die runde Form gezwungen und geröstet. Mit einem dumpfen “Pfft” werden sie aus der Presse geworfen und kühlen in einem Glaskasten ab. Es riecht nach geröstetem Getreide und ganz, ganz leicht nach Zimt. Für mich ist Reiswaffeln beobachten so, wie vor der laufenden Waschmaschine sitzen. Einfach wahnsinnig meditativ. Aber nicht so verhaltensauffällig.
Die Reiswaffel Maschine zeigt, wie der Mahane Yehuda Markt funktioniert. Ohne eine gehörige Portion Nostalgie ginge hier mal gar nichts. Für den Standbesitzer ist diese Maschine ein Marketing Glücksfall. Sie erregt Aufmerksamkeit. Sie produziert eine angenehmen Lärm. Sie verströmt dieses betörende Aroma von der guten alten Zeit. Besucher, Soldaten und Touristen bleiben stehen und staunen und lassen sich die Maschine erklären. Zur Belohnung bekommen sie eine Waffel geschenkt. So zieht an meinem Caféhaus Tisch ein ganzes, buntes Menschen-Universum vorbei.
Darf ich bitte an die Wand!
Als ich mich mit Marion nach ihrem Wochenend-Einkauf in das Café Mizrahi setze, fragt sie ganz kurz: “Darf ich bitte an die Wand?” Marion hat Angst vor der eventuellen Messerattacke eines palästinensischen Amokläufers. Deswegen geht sie auf dem Mahane Yehuda Markt immer eng an den Ständen entlang und möchte sich im Café lieber durch die Wand beschützen lassen. Autos oder Messer, die unverfänglichen Dinge des täglichen Bedarfs, haben im israelisch-palästinensischen Konflikt – als überall verfügbare Waffen – ein neues Bedrohungspotenzial bekommen. Jeder könnte Attentäter sein.
Deswegen wundere ich mich, dass es trotz der angespannten Sicherheitslage vor dem Mahane Yehuda Markt keine Einlasskontrollen gibt. Vor den Museen, Bahnhöfen und Einkaufszentren in Tel Aviv oder Jerusalem werden Taschen gefilzt und Menschen durch Sicherheitsschleusen gelotst. In den Mahane Yehuda Markt kommt jeder rein. Aber es will gar nicht mehr jeder rein.
Wir sind Freitag Vormittag, kurz vor Sabbatbeginn, auf dem Markt unterwegs. An einem normalen Freitag herrscht auf dem Mahane Yehuda Markt rappelvolle Enge und Drängelei. Heute sind die Gänge ziemlich leer. Viele jüdische Israelis bleiben weg aus Angst vor Anschlägen. Viele palästinensische Israelis bleiben fort, weil sie nicht als potentielle Attentäter gelten wollen. Im Shopping Paradies frisst die Angst die Seelen auf. Deswegen nehme ich aus dem Mahane Yehuda Markt neben den lebendigen Eindrücken eines vibrierenden, orientalischen Treibens auch etwas anderes mit: Eine Atmosphäre. Eine schwer zu beschreibende, drückende Stimmung. Der Nahost Konflikt ist zwar nicht zu sehen. Aber er hat auch den Mahane Yehuda Markt fest im Griff.
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