Mexiko D.F. Uber alles
Im Kopf sind die Artikel über meine sechs (!) Wochen in Mexiko alle schon geschrieben. Oaxaca und Puerto Escondido. Die Halbinsel Yucatan und Quintana Roo, die Maya- und Zapoteken-Stätten. Doch ist Mexiko, in das ich mich auf dieser Winterreise schwer verliebt habe, auch ein hartes Land. Krach und Lärm sind, selbst im Paradies, an der Tagesordnung. Auch das Klima ist nicht ohne. Jemand, der ohnehin leicht von Reizen überflutet wird, hat mit „erleben“ schon hinreichend zu tun.
„Du musst unbedingt nach D.F.! Und wenn Du nach D.F. fährst, brauchst Du unbedingt Uber!“, schallt es mir von allen Seiten entgegen. Häh? Übersetzungsprogramm rein und nochmal ganz langsam. D.F., (gesprochen: de-efe) wie die Stadt immer noch liebevoll genannt wird, heißt erst seit 2016 offiziell „Ciudad de Mexico“. Bis dato hörte sie auf den Namen Mexico D.F., das steht für Distrito Federal. Soweit, so klar.
Und was ist das mit dem Uber-Hype? Auch das ist schnell erklärt: Uber ist günstig und sicher, denn die Fahrer sind mit ihrem eigenen Fahrzeug im Uber-Pool registriert und überaus freundlich. Einige Fahrer haben sogar kleine Trinkflaschen mit Wasser dabei, die sie ihren Fahrgästen anbieten. So trocken und feinstaubverseucht, wie die Hauptstadt-Luft einem besonders nach einem Monat am Pazifik erscheint, ein fantastischer Service.
Potenzielle Mitfahrer laden sich die Uber-App, registrieren sich und geben ein, wie die Fahrten abgebucht werden sollen. Hier wählt man zwischen Kreditkarte, Paypal oder bar. Für jede Fahrt gibt es als Dokumentation und Beleg eine Email-Rechnung. Einen kleinen Haken hat die Sache. Man braucht eine Internetverbindung. Wer in Mexiko-Stadt ankommt, holt sich entweder gleich eine Sim-Card (gibt’s bereits ab 50 Pesos) oder sucht den nächsten Hotspot auf. Auf dem Flughafen von Mexiko-Stadt ist das im Terminal 1 auf Höhe Puerta 4. Als „disruptive Innovation“ hat der private Fahrdienst den Beförderungsmarkt wirklich ganz schön aufgeschüttelt.
Der Wettbewerb in Mexiko-Stadt zwischen den herkömmlichen Taxen und dem transparenten, günstigen Konkurrenten ist heftig, soweit ich mitbekommen habe. Persönlich habe ich mit beiden Varianten sehr gute Erfahrungen gemacht. Die weiß-rosa Taxen mit der Aufschrift CDMX rühmen sich ebenfalls einer hohen „Seguridad“. Auch preislich sind die Unterschiede für alle, die europäische Taxipreise gewohnt sind, kaum spürbar. Doch gerade Abends und Nachts oder wenn man morgens um 4 Uhr zum Flughafen muss, ist die Online-Bestellung über App einfach super komfortabel.
Bummeln und Schlemmen im Moloch
La Colonia Condesa und La Colonia Roma, kurz nur Condesa Roma genannt, sind die Stadtviertel, in denen es so richtig brummt. Ein Freund, selbst Mexikaner, der vier Jahre in Berlin gelebt hat, vergleicht sie mir gegenüber mit Kreuzberg und Mitte. Ebenso bunt, offen und divers im Angebot, und mittlerweile leider ebenso gentrifiziert. Schon deswegen kommt der Vergleich hin.
Auf dem ersten Spaziergang zum Parc España und Parc Mexico muss ich mehrmals schmunzeln. Freiliegende Knöchel in Röhrenjeans, grün gefärbte Haare mit ausrasierten Schläfen, Craft Beer, Tattoos, Bärte. Herrlich. Wie zuhause. Aber natürlich und zum Glück auch nicht. Die hippen Colonias haben ihre eigene mexikanische Identität und Eigenart bewahrt. Und leben sie voll Stolz.
Was mir auffällt: Die Leute laufen hier viel schneller als in den küstennahen Orten. Auch hier hat jeder Hunde, doch sie stehen nicht nur kläffend hinterm Zaun, sondern werden tatsächlich bewegt. Die Parks sind bevölkert von Dog Walkern. Routiniert manövrieren sie jeweils bis zu einem Dutzend Tiere. Die Fiffis danken es ihren Walkern durch fröhliches Hecheln und wenig Gebell. Auch ich freue mich über den Auslauf und drehe – unangeleint versteht sich – noch eine Extrarunde um das Hippodrom. Das ist die Ringstraße um den Park, auf dem früher Pferderennen stattfanden.
Ich besuche Alex Dorfsman, einen bekannten Fotografen, in seinem Atelier in Roma. Der Künstler ist in Mexiko geboren, aufgewachsen in Satéllite, einer in den 1960ern entstandenen Schlafstadt für Pendler im Speckgürtel von Mexiko-Stadt. Alex erzählt mir viel über die Veränderungen, die die Metropole, für die er sich als Heimat dauerhaft entschieden hat, in den letzten Jahrzehnten und Jahren durchlaufen hat. Die beiden Erdbeben 1957 und 1985 haben der Stadt auch architektonisch schwer zugesetzt. Ah, darum sehe ich so viele vergleichsweise junge Gebäude.
Alex ist ein toller Gesprächspartner. Wir diskutieren das Phänomen der Gentrifizierung und die Kunst, die Liebe und das Leben. Leider muss er am nächsten Tag ganz früh nach Mérida, der Hauptstadt vom Yucatan, sonst hätten wir die Nacht durchgequatscht. Auch seine Fotoarbeiten sprechen mich stark an und ich beschließe, vor meiner Abreise in jedem Fall die Ausstellung „Constitucion“ im Palacio Nacional zu besuchen, in der er mit einigen Arbeiten vertreten ist.
Verwöhn- und Erholprogramm auf mexikanisch
Wer so viele Eindrücke verdaut, braucht auch mal ein Päuschen. Die Massage plus Gesichtsbehandlung in einem Spa in Condesa habe ich noch mit Absicht gebucht. Nach der mehrwöchigen Reise und vor allem vor dem langen Flug gibt es wenig Besseres, als sich noch einmal richtig durchkneten zu lassen.
In eines der besten Restaurants der Stadt stolpere ich tatsächlich aus Versehen. Das La Docena in Roma nennt sich Oyster & Grill Bar und fällt mir schon von der gegenüberliegenden Straßenseite des Boulevards Álvaro Obregon auf. Hier schlemme ich mich an der Bar so richtig glücklich. Neben mir sitzt David aus Arkansas. Er überbrückt noch einen Abend in D.F., bevor er sich mit seinem Mann auf Isla Holbox trifft. Wie sich rausstellt, war David in den 1980ern als Austauschschüler in Kiel. Wie klein die Welt doch ist. Sogar in dieser riesenhaften Stadt.
Meine Lieblingsstraße in Condesa ist auf Anhieb die Calle Amsterdam, unweit des Parque España. Sie besticht durch knallbunte Häuser, Chocolaterien und nette Cafés. Die Stimmung gefällt mir so gut, ich möchte am liebsten noch einen Tag nur durch die kleinen Straßen streifen. Aber ich habe doch keine Zeit. Die Kunst ruft – und ein bisschen Sightseeing möchte ich dann auch noch machen.
Kunst-Metropole Mexiko-Stadt
In den Palacio National treibt mich zum einen die Sympathie für Diego Rivera, zum anderen die Ausstellung, die Alex Dorfsman mir ans Herz gelegt hat. Das Werk Diego Riveras begegnete mir erstmals in San Francisco im Museum of Modern Art. Neben den großformatigen Wandbildern, den Murales, in denen er den Arbeiterkampf thematisiert, begeisterte meinen postpubertären Brausekopf damals besonders ein organisch morphendes Motiv einer Frauenfigur in Erdtönen auf Felsen, das bezeichnenderweise „Symbolic Landscape“ heißt.
In der Hauptstadt Mexikos ist Rivera – ebenso wie das Werk Frida Kahlos – allgegenwärtig. Die Murales sind hierbei auch heute noch extrem starke Magneten und in ihrer gefühlvollen Klobigkeit wundervoll anzuschauen. Wer Schlange stehen und Menschenmassen vermeiden will, lässt den Zocalo einfach links der Kathedrale hinter sich liegen und besucht in der Calle Republica de Brazil das Secrétario de Education Publica, kurz SEP.
Das ist nämlich vom Erdgeschoss bis zum zweiten Obergeschoss voller Wandbilder. Eindrucksvoller Zyklen, die Geschichten erzählen von der modernen Gesellschaft in den 1920er Jahren, dem Leben der einfachen Leute und Arbeiterkampf und der faszinierenden Geschichte Mexikos. Wichtig – Personalausweis, Führerschein oder Reisepass einstecken. Den müsst ihr an beiden Orten am Eingang vorzeigen, im Palacio National sogar abgeben – ihr bekommt ihn aber am Eingang wieder, keine Sorge!
Über den Dächern von Mexiko-Stadt
Von da geht es im Zickzack zum Torre Latinoamericana. Der Torre mit seinen 182m war bis 1972 Mexikos höchstes Gebäude und erster Wolkenkratzer in Lateinamerika überhaupt. Bis er diesen Rang an die jüngeren Torre World Trade Center und Torre Major abtreten musste. Der 360° Panoramablick über Mexiko-Stadt ist unbezahlbar. Und doch so leicht zu haben.
Gegen schlanke 100 Pesos gibt’s ein schickes Bändchen samt Eintritts- und Orientierungskarte und schon katapultiert der Fahrstuhl mich Panorama-Lustige in den 37. Stock. Der Eindruck ist, auch wenn wir den An- und Ausblick über Mexiko-Stadt durch vollgesabberte und mit Knutschmündern gesprenkelte Glasscheiben bestaunen, überwältigend.
Weil ich nicht fassen kann, was ich hier sehe, schieße ich drölfzighundert mäßig brauchbare Handyfotos. Auch diesen Ort möchte ich am liebsten gar nicht wieder verlassen. Doch der Palacio de Bellas Artes, Mexikos wichtigstes Kulturzentrum, hat mich von oben schon so neugierig gemacht. Also muss ich da wohl rein. Von innen betört der Bau, der neben Kunstausstellungen auch Konzerte und andere Kulturveranstaltungen beherbergt, durch konsequente Art Deco Gestaltung.
Im Museen-Rausch in Mexiko-Stadt
Die Ausstellung Pinta la Revolucion – Arte Moderno Mexicano 1910-1950 läuft noch bis zum 7. Mai 2017 und ich lege sie hiermit jedem ans Herz. Hier sehe ich die Murales noch einmal in einer zusammenhängenden, wirklich gelungenen Videopräsentation. Toll, wie das die zuvor gesammelten Live-Eindrücke abrundet. Auch die Arbeiten von Zeitgenossen von Rivera und Kahlo wie z.B. José Clemente Orozco und David Alfaro Siquero sind eindrücklich ausgewählt.
In der zweiten Hälfte der 1920er genossen mexikanische Kunst und Kultur in den USA ein hohes Ansehen. Reihenweise wurden lukrative Aufträge vergeben, die Protagonisten der Zeit hofiert. Tja, tempi passati. Zeit für eine neue Revolution?
Chapultepec, laut Künstler Alex „der Tiergarten von Mexiko-Stadt“, beherbergt viele spannende Museen. Der „Heuschreckenhügel“, wie Chapultepec übersetzt heißt, liegt im Viertel Hidalgo, das nördlich an Condesa angrenzt. Für die Verhältnisse hier ist das gar nicht sooo weit weg von meiner Unterkunft.
In zwei Museen habe ich reinschauen können, bevor die Sonne untergeht und die Türen schließen. Das Museo Arte Moderna liegt lauschig am Rand des Parks, ein Skulpturengarten verbindet die beiden überschaubaren Gebäude. Über die aktuellen Ausstellungen kann man sich online informieren oder einfach reinschnuppern. Hier habe ich meine erste Begegnung mit einer Kunstrichtung namens Geometrismo Mexicano.
Das Museo National de Antropolocia liegt keine zehn Fußminuten entfernt an einer anderen Ecke von Chapultepec. Der Weg durch den Park ist gut beschildert. Der Besuch des Museums für Geschichte und Entwicklung der Menschheit, speziell der Völker und Kulturen Mittel- und Lateinamerikas, ist ein Muss.
Das sagen einfach alle. Und auch wenn mich solche Aussagen meist nerven, hier haben „alle“ wirklich recht. Wie gebannt mäandere ich durch die thematisch aufgebauten Ausstellungsräume. Von Volk zu Volk, von Region zu Region. Obwohl wirklich viele Besucher hier sind, verteilen sich die Leute angenehm über die weitläufigen Räume und Außenflächen.
Nach zwei Stunden, ich habe nicht einmal die Hälfte (!) der Exponate angeschaut, ist es soweit. Mein System meldet tilt. Der Schädel platzt, sicher auch wegen der Luft, die Füße wollen nicht mehr wollen. Jetzt muss ein Uber her. Und der Koffer will gepackt werden. Xochimilco und Teotihuacán, ein Besuch bei Frida Kahlo und Diego Rivera zuhause, noch viel viel mehr und eine Wiederholung der Highlights vom jetzigen Stippvisite dann – beim nächsten Mal.
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Service Mexiko-Stadt
Metro fahren in Mexiko-Stadt ist ein Erlebnis – und ein günstiges Vergnügen. Für ganze 5 Pesos pro Fahrt seid ihr dabei. Die praktischen Streifentickets kauft ihr – wie die Locals – einzeln oder im Dutzend direkt in der Metrostation. In größeren und Umsteigebahnhöfen wie Zocalo und Pino Suarez gibt’s auch Infopoints mit Metroplänen. Noch besser, ladet euch das PDF vom Plan aufs Handy.
Auch wenn ich dem „privaten“ Vermieterdienst skeptisch gegenüber stehe: Neben Uber hat sich AirBnB in meinem Fall als perfekte Lösung erwiesen. Host Luis in La Condesa ist super nett und bietet einen wunderbaren Service. Hotelpreise habe ich gar nicht erst gecheckt, weil er mir von gemeinsamen Bekannten empfohlen wurde, aber um nichts in der Welt hätte ich mein müdes, D.F. geschütteltes Haupt woanders betten wollen. Muchissimas Gracias, Luis!
Atemlos … durch den Tag. Ihr seid schwach auf der Lunge oder habt gar Asthma? Dann zieht euch warm an, respektive sprüht euch die Lungen voll und tragt am besten einen Mundschutz. Gerade in den Monaten März bis Juni senkt sich der Smog wie eine Käseglocke über Mexiko-Stadt. Wieso? Wo heute die Stadt ist, war gaaaanz früher mal ein See. Zudem wird sie von drei Seiten von Bergen eingerahmt und bei gut 10 Millionen Einwohnern allein im Innenstadtbereich, von denen viele motorisiert sind, fällt einiges an Feinstaub an. Ist es dann noch windstill, ist der Rußcocktail perfekt.
Euch kann niemand was und ihr habt Lungen wie ein Apnoe-Taucher? Dann könnt ihr hier sogar prima Fahrrad fahren, Ausleihfahrräder sind gut erkennbar und weit verbreitet. Wie es geht, erfahrt ihr auf der Website von ECOBICI.
Dieser Film (zur Erklärung der Metapher s. Autoren-Bio) wurde schlaflos und ausnahmsweise mal ohne ihn durch die Erinnerung belichten zu lassen, abgespult. Eventuelle Flüchtigkeiten bitte ich von Herzen zu entschuldigen und arbeite nach Jetlag nochmal nach. In der Hoffnung, dass ihr dennoch bereits einen kleinen Eindruck davon bekommt, wie faszinierend La Ciudad de Mexico ist, heißt es nun: adios, hasta luego y buon viaje.