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Im Dampfschöpfwerk De Cruquius in Haarlemmermeer in den Niederlanden steht die größte Dampfmaschine, die je konstruiert wurde
Im Dampfschöpfwerk De Cruquius in Haarlemmermeer in den Niederlanden steht die größte Dampfmaschine, die je konstruiert wurde

Online ins Maschinenzeitalter

Können Geräusche aussterben? Müssen wir sie schützen? In Zeiten, in denen alles Neue rasant schnell altert und in Vergessenheit gerät, heißt die Antwort „Work With Sounds“. Die Website reist virtuell ins Maschinenzeitalter – und damit zu den Wurzeln unserer ungebrochenen Technikfaszination
Inhalt

Der Soundtrack von Maschinen

Endlich Sommer, endlich Urlaub, endlich weg! Plötzlich gibt es in unserer Straße jede Menge Parkplätze – ein untrügliches Zeichen für den alljährlichen Massenexodus. Aber es gibt auch Reisen, für die man sich kein bisschen vom Fleck bewegen muss. Work With Sounds ist so eine Reise.

Zum ersten Mal bin ich diesem akustischen Gedächtnis des Maschinenzeitalters in Pilsen begegnet, auf der Jahresversammlung der Europäischen Route der Industriekultur. Torsten Nilsson, Kurator im Museum der Arbeit in Norrköping in Schweden, bat die Versammelten, die Augen zu schließen und ganz still zu sein. Dann spielte er den Soundtrack einer Dampfmaschine ab. Sie fängt ganz sachte an zu atmen, aus dem Atmen wird ein Schnaufen, der Takt wird schneller, ein Crescendo der Zischgeräusche, das sich bei einem bestimmten Tempo einpendelt und die Geschwindigkeit sicher und stetig hält, bis es sich allmählich wieder verlangsamt, leiser wird, verschnauft und schließlich in einem fast menschlichen Seufzer ausklingt.

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Dampfmaschine (1915) aus dem Zechenmuseum in Zabrze/Polen (Tonaufnahme: Monika Widzicka; Videoaufnahme: Piotr Leszczyński)

Pure Nostalgie? Nur etwas für Technikfreaks? Sicherlich nicht. Das Maschinenzeitalter ist ein wesentlicher Teil unserer Kultur, genauso wie der Parthenon oder die Kunst der Renaissance. Ich verstehe nichts von Technik. Trotzdem berühren mich diese Klangbeispiele, zu denen es – ganz im Trend der Zeit – meist auch noch ein passendes Video gibt.

Archäologie der Töne

Blätterbläser, Klingeltöne, Espressomaschine, Rollkoffer, Martinshorn, Waschmaschine und natürlich Autos, Autos, Autos – das sind die Geräusche, die uns heute umgeben. Die digitale Revolution diktiert das Tempo und nimmt zum Teil absurde Formen an. Das geht so weit, dass Jugendliche vermehrt unter Haltungsschäden leiden, weil sie sich ständig über ihr Smartphone beugen. Ein simples Wählscheibentelefon ist diesen „Digital Natives“ so fern wie die ehemalige DDR.

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Wählscheibentelefon aus dem Technikmuseum in Bistra/Slowenien (Tonaufnahme: Dušan Oblak; Videoaufnahme: Barbara Grilc)

Work with Sounds geht aber noch viel weiter zurück und bietet dabei eine enorme Vielfalt. Gesucht werden kann nach Kategorien – Landwirtschaft, Elektrizität, Bergbau, Büro, Eisenbahn usw. – oder Datum – die Geräuschesammlung geht zurück bis zum Jahr 1800. Zu den ältesten Klangbeispielen aus dem Maschinenzeitalter gehört das Uhrwerk der Dreifaltigkeitskirche in Danzig.

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Uhrwerk der Dreifaltigkeitskirche in Danzig/Polen (Tonaufnahme: Monika Widzicka; Videoaufnahme: Piotr Leszczyński)

Das Maschinenzeitalter drückt aufs Tempo

Zeit ist Geld, die Uhr gibt den Takt vor. In den Fabriken ist es die Stechuhr, die das Tempo bestimmt. Wenn wir heute ein T-Shirt für fünf Euro kaufen, dann hat das im Maschinenzeitalter seinen Ursprung. Das gilt für die Mechanismen der Ausbeutung – die Work With Sounds nicht abbildet und auch nicht abbilden kann – wie für die Automatisierung.

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Automatischer Webstuhl (ca. 1930) aus dem TextilWerk Bocholt (Ton- und Videoaufnahme: Konrad Gutkowski / Juilan Blaschke)

Überhaupt setzt mit dem Maschinenzeitalter ein Rausch der Geschwindigkeit ein. Kanäle, Straßen, Schienen verkürzen die Transportwege und befördern Waren und Personen so schnell und effizient von A nach B, dass Postkutschen und Pferdefuhrwerke in kürzester Zeit lächerlich langsam und antiquiert erscheinen.

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Tenderdampflokomotive P-8 (1918) aus dem Eisenbahnmuseum Bochum (Ton- und Videoaufnahme: Konrad Gutkowski / Juilan Blaschke)

Das Resultat: Wir sind nicht mehr bereit zu warten. Taxi-Apps versprechen uns die Ankunft des Taxis innerhalb von vier Minuten, Bahntrassen für Hochgeschwindigkeitszüge durchschneiden die Landschaft, Meere und Kontinente überqueren wir im Flugzeug. Gerade jetzt zur Urlaubszeit fliegen wir kreuz und quer durch die Welt. Entscheidend ist, dass wir schnell unser Ziel erreichen. Wo das liegt, ist häufig zweitrangig, denn den Badeurlaub in Barbados könnten wir genauso gut in Miami, Mallorca oder auf den Malediven verbringen.

Interaktiv und für alle nutzbar

Den massenhaft konfektionierten und scheinbar selbstverständlichen Waren und Lifestyles der Gegenwart gibt Work With Sounds eine Art technisches Gedächtnis. Aber das Projekt, in dem sich sechs europäische Museen zusammengeschlossen haben, will nicht nur bewahren, sondern auch unterhalten und – ganz wichtig – den Sound der Industrie 1.0 allen zugänglich machen. Der Download und die Nutzung – auch für wirtschaftliche Zwecke – ist ausdrücklich erwünscht.

Das nutzen vor allem Schulen und Museen, aber auch Musiker und die Gaming-Industrie. Wer nichts Bestimmtes sucht, stößt beim Stöbern bestimmt auf Überraschungen. Die Website ist wie der Besuch eines Industriemuseums, nur eben ganz bequem vom Sessel aus. Das am häufigsten angehörte Klangbeispiel – mit mehr als 8.000 Minuten Abspieldauer – ist übrigens ein Zahnarztbohrer. Auch der gehört zum Maschinenzeitalter. Gute Reise!

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Kreidegeräusch auf Tafel (aufgenommen in Brüssel im Auftrag des Brüsseler Museums für Industrie und Arbeit „La Fonderie“)

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Service

Work With Sounds umfasst insgesamt 733 Klangbeispiele, die zu etwa 90 Prozent von Videos begleitet sind. Träger des Projekts sind sechs Technik- und Industriemuseen in Polen, Slowenien, Deutschland, Belgien, Schweden und Finnland. Die Creative-Commons-Lizenz erlaubt bei Nennung des jeweiligen Urhebers der Aufnahme die uneingeschränkte Nutzung.