Auf den Orkney Inseln ticken die Uhren anders
Die Uhren ticken anders auf den Orkneys. Den Eindruck bekomme ich erstmals, als ich die Website der Regierung aufrufe. Der Eindruck, aus der Zeit gefallen zu sein, setzt sich auf der Inselgruppe fort. Auf die Orkneys geht es am besten mit der Fähre. Wir fahren auf unserer Rundreise durch Schottland von Wick und John O’Groats aus auf das Nordsee-Archipel nord-östlich des schottischen Festlandes zu und setzen von mit den Pentland Ferries von Gills Bay nach St. Margaret’s Hope über.
Willkommen auf St. Margarets Hope
Nur eine Stunde dauert die Überfahrt mit der Autofähre. Zur Not ginge es auch ohne Auto, auf den Orkneys fahren viele Linienbusse stoisch ihre Touren für Einheimische und Reisende. Unsere Herberge für die nächsten Tage löst beim Betreten ein Wechselbad der Gefühle aus. Nicht nur bei uns, wenn man sich die Rezensionen im Netz anschaut… Ist es ein Hotel mit Hostel-Flair, eine räudige Wanderer-Herberge, ein Hostel mit einigen Doppelzimmern, die entfernt an Hotelräume erinnern?
Man weiß nicht genau – und bei dem günstigen Preis fragen wir auch lieber nicht nach. Direkt am Fährhafen gelegen ist die Lage in jedem Fall ungemein praktisch. Schöne Aussicht inklusive. Wir haben beschlossen, das gesparte Geld postwendend in eine unflätig große Seafood Platte und einen Surf & Turf Traum von einem Steak zu investieren. Das geht auf am besten im Murray Arms Hotel and Seafood Restaurant in der Back Road von St. Margarets Hope.
Die Orkneys sind ein Fest für Autofahrer im Cruising-Modus. Schon bei unserer ersten Tour über die Inseln profitieren wir vom spaßig-sportlichen Nebeneffekt: Die Straßen sind ein guter Einstieg in den kurvigsten Teil der North Coast 500, kurz:NC500. Warum? Na, weil man hier im Reisetempo schottischer Schnecken erstmals so richtig lernt, die Entfernungen nicht in seinem herkömmlichen Verständnis von Meilen (oder Kilometern) pro Stunde zu messen, sondern einfach in Stunden. Dass die Einheimischen mindestens doppelt so schnell fahren wie die Inselbesucher muss ich nicht extra erwähnen, oder? Das ist glaube ich an allen Orten der Welt so, wo mit der Gegend Vertraute auf sich vorsichtig Vortastende treffen.
Ein Archipel macht sich -ay nen Namen
Der Archipel, das tatsächlich auf der geografischen Höhe von Sankt Petersburg und Südgrönland liegt, verteilt sich großzügig über 50 Kilometer ost-westlicher und 85 Kilometer nord-südlicher Ausdehnung. Dass ungefähr die Hälfte der gesamten Fläche auf die Hauptinsel The Mainland fällt, merken wir erst gar nicht. Statt mit Brücken sind viele der kleinen Inseln mit Dämmen verbunden, über die wir einfach drüber fahren. In meinem Lieblingswort Eiland steckt das -ay schon drin. Das Suffix leitet sich aus dem altnordischen Wort für „Insel“ ab und ist in allen wichtigen Inselnamen enthalten – außer der „Mainland“ genannten größten Orkney Insel.
Kirkwall hat um die 7.000 Einwohner und dient als Verwaltungsort und Drehscheibe des gesamten Verkehrs. Außer dem Supermarkt, in dem wir uns mit Leckereien für improvisierte Hostelmahlzeiten und Stullenpakete eindecken, machen wir kein Sightseeing in der Stadt. Auch den Whisky-Produzenten der Inselgruppe, Highland Park, lassen wir am Straßenrand liegen. Uns lockt die salzig-würzige Aromenpalette von Scapa, einer kleinen Destillerie an der Scapa Bay, die sich gegenüber dem Platzhirsch wahrlich nicht verstecken muss.
Stromness, die zweite große Stadt auf Mainland, dient als weitere Fährverbindung zum Festland und ist mit etwa 2.000 Einwohnern äußerst schnuckelig und charmant.
Die Orkney Inseln – Raum für Kurioses
Die kleine Kirche auf Lambholm, Orkney, ist als Italian Chapel berühmt geworden. Sie ist das einzige Überbleibsel des historischen Camp 60, das in den späteren Jahren des Zweiten Weltkrieges Hunderte italienische Kriegsgefangene beherbergte. In Nordafrika festgenommen, sollten die Männer nun auf Orkney an Beton Befestigungsanlagen arbeiten. Wozu die Sehnsucht nach der Heimat gepaart mit einem starken katholischen Glauben die Männer beflügelte, kann man in der Italian Chapel heute wie damals eindrücklich erleben.
Zum Glück für die Gefangenen, allen voran Domenico Chioccetti, unterstützte der neue Kommandant, Major (später Colonel) T.P. Buckland, das Vorhaben, eine Kapelle zu bauen. Mit Improvisationstalent und Kreativität schufen die Gefangenen und ihre Unterstützer aus dem Nichts – und mit fast Nichts – einen Ort, der die Menschen bis heute berührt. Dank der Arbeit eines Restaurierungs-Kommittees, das sich in den späten 1950ern um den Fortbestand dieses symbolträchtigen Ortes kümmert, ist die aus einem landwirtschaftlichen Speicher aus Eisen erbaute runde Kapelle auch heute noch ein Wahrzeichen für die Orkadier. Auf einem Foto vom 10. April 1960, das während des Umwidmungs-Gottesdienstes entstanden ist, sitzen tatsächlich über 200 Personen in der kleinen Kapelle.
Single Malt und Öl. Das Gold der Orkney Inseln
Wie geschützt die Bucht Scapa Bay liegt. Scapa Flow ist von den Inseln Mainland, Burray, South Ronaldsay, Flotta und Hoy umgeben. Mit einer Ausdehnung von zehn mal fünfzehn Kilometern bildet die Fläche fast ein geschlossenes Binnengewässer mit Ein- und Ausgängen für die Fährfahrt. Meine Blick scannt die sanften Schwünge der Inseln der südlichen Orkneys ab. Bleibt an den Öl-Tankschiffen hängen und erahnt in der Ferne das Logo der Scapa Destillerie, wo der Mann natürlich eine Verkostung genießt.
Tja, die Schätze der heutigen schottischen Wirtschaft, Öl und Whisky. Die versunkenen Schiffe am Boden des Scapa Flow fallen mir erst wieder ein, als ich einige Taucher erspähe, die wohl unterwegs sind zu den Wracks. Die Geschichte um die Vernichtung von 74 Kriegsschiffen ist einfach zu irre: Weil der der Konteradmiral Ludwig von Reuter trotz anhaltendem Waffenstillstand nicht daran glaubte, dass der Friedensvertrag von Versailles angenommen würde und der Krieg vorbei sei, gab er am 21. Juni 1919 den Befehl zur Selbstversenkung der gesamten Flotte. Auf keinen Fall sollte die deutsche Flotte den Briten in die Hände fallen.
Zurück in die Steinzeit. Das Pompeji Schottlands
Die jungsteinzeitliche Siedlung Skara Brae ist ein Magnet für Besucher der Inseln. Wir sprechen beim Abendessen mit unserer Reisebekanntschaft Susan aus Washington D.C., die netterweise anbietet, Tickets für den nächsten Tag zu besorgen. Zur besseren Lenkung der Besucherströme sind wir auf einen festen Slot gebucht. Gespannt nähern wir uns am nächsten Tag auf gewundenen, schmalen Wegen dem Gelände unmittelbar an der Westküste der Hauptinsel Mainland. So viel ist hier Mitte September zum Glück nicht mehr los. Im Hochsommer muss es allerdings heftig voll sein.
Vor der Siedlung, die in die Zeit zwischen 3.100 und 2.500 v. Chr. datiert wird, verortet uns ein großer Parkplatz und ein modernes Besucherzentrum fest in einer touristisch erschlossenen Gegenwart. Von außen sehen wir nichts von den prähistorischen Wundern. Im Inneren des Gebäudes stimmt einen eine Ausstellung auf die Zeit von Skara Brae ein, die mit der Glockenbecherkultur endete. Was auch immer das heißt. Skara Brae gilt als die am besten erhaltene Jungsteinzeitsiedlung in Europa. Nun verstehe ich die Bezeichnung „Pompeji Schottlands“.
Die Ausgrabungsstätte ist wirklich beindruckend gut erhalten. Es wird aber auch viel dafür getan, dass das so bleibt. Immerhin ist der Ort, der nach einer schweren Flut 1850 eher zufällig entdeckt wurde, um 1930 erschlossen und in den 1970ern mithilfe moderner Messtechniken datiert wurde, seit 1999 UNESCO Weltkulturerbe und „Herz des neolithischen Orkney“. Neben Skara Brae gibt es nämlich noch weitere Überbleibsel und Artefakte aus jener Zeit, wie Steinkreise im Stile von Stonehenge.
Service für die Orkneys
Das Ticket für die Überfahrt auf die Orkneys Pentland Ferries bucht man sich in der Saison am besten vorab online. Wenn ihr eine schlechte Internetverbindung habt, was durchaus vorkommen kann, geht es auch telefonisch.
Da wir unsere Übernachtung nur ganz hartgesottenen Reisenden zumuten möchten, verweisen wir an dieser Stelle auf das etwas kostspielige, aber auch sehr einladende Murray Arms Hotel mit Seafood Restaurant. Den Winter über ist es geschlossen, ab April wieder geöffnet.
Auch Tickets für die jungsteinzeitliche Siedlung Skara Brae und das Skaill House können Reisende vorab online buchen.
Und wenn ihr mal ne richtig heiße, topp-moderne Internetseite sehen wollt, voilà, die Seite der Verwaltung der Orkneys.