Der Palazzo del Te vor den Toren Mantuas
Irgendwann einmal lag der Palazzo del Te im lauschigen Grün vor den Toren Mantuas. Das muss sehr schön gewesen sein. Heute ist der Palazzo eingeklammert von ödem Stadtpark-Grün und so einem rumpeligen Sportplatz, der ausschaut, als ob man sich hier beim Sprinten die Haxen brechen könnte.
So eine typische Lage am irgendwie zusammengeschusterten Stadtrand der zauberhaften Stadt Mantua eben. Dort wo die Stadt ausläuft in schreddelige Industrie, dann syffige Brachen, dann etwas, was wir Natur zu nennen pflegen. Für mich ist diese Schneise des Ausfransens der Stadt ins Unbestimmte immer wieder ein magischer Raum, auch wenn es hier häufig ausschaut wie in einer urbanen Besenkammer.
Begeisterung vermag die Position des Palazzo del Te bei mir dagegen nicht auszulösen. Eher ein fiebriges Staunen darüber, wie diese sorglos hingeworfene Umgebung, darauf verweist, dass der Palazzo del Te das überkommene Relikt einer lange verflossenen Epoche ist. So richtig in die Gegenwart integrieren lässt sich der Palazzo del Te anscheinend nicht. Warum dann anschauen?
Lustschloss – ist das ein schmieriger Begriff?
Ich gehe hin, weil der Palazzo del Te ein Lustschloss sein soll. Federico Gonzaga hat den Palast Anfang des 16. Jahrhunderts für sich und seine mit einem anderen verheiratete Geliebte Isabella Boschetti gebaut. Auch ohne viel Nachdenken, wird klar, dass dieser Palast das damals unangemessene Verhältnis bestimmt nicht verbergen sollte. Die Liaison dangereuse wurde hier vielmehr regelrecht ausgestellt. So nach dem Motto, ist mir doch egal, was ihr denkt, ich mache sowieso was ich will. Vielleicht passt diese hedonistische Idee des Lustschloss ja in unsere gegenwärtige eher sorglose Lust-Kultur aus Swinger-Clubs, Sexparties, Dating-Apps und Selbst-Pornographisierung. Mal schauen.
Von außen macht der Palazzo del Te auf keinen Fall einen verlotterten oder luderigen Eindruck. Dieser milchiggelbe Kubus sieht eher nüchtern und noch nicht mal einladend aus. Kann man hinter diesen drögen Mauern wirklich Spaß haben? Wir werden sehen.
Verwirrung der Sinne im Palazzo del Te
Aber auch der Eingang ist eher abweisend. So grob beschlagene Säulen, als ob der Palast eigentlich eine Bauruine sei. Dann ein riesiger, quadratischer Innenhof. Auch nicht so spektakulär. Links geht es zu den Gemächern. Der erste Saal allerdings macht schon mal Appetit. Im Deckengewölbe entschwindet der Tag, personifiziert durch Phaeton, der auf dem Sonnenwagen seines Vaters Helios durch den Himmel reist. Sein nackter Arsch prankt wie ein Fixstern am Firmament, diesem Anblick kann man sich ebensowenig wie dem Blick auf seinen baumelnden Schwanz entziehen. Von der Seite rauscht eine dralle Schöne, die Nacht, ins Bild. Das kann ja lustig werden.
Wird es aber nicht, denn die Wände des nächsten Saals im Palazzo del Te sind mit blassen Pferden bemalt. Aber im darauffolgenden Saal hat Giulio Romano, der die Ausstattung des Palazzo del Te für Federico Gonzaga geplant und teilweise auch ausgeführt hat, die Pinsel tief in den Farbtopf getunkt und ein Gewitter der Lüste an die Wände und die Decke gemalt. Giulio Romano war einer der prominentesten Maler seiner Zeit. Immerhin hatte er das Malerhandwerk in Rom beim genialen Rafael gelernt.
Die Sala di Psiche im Palazzo del Te – Ein Meisterwerk des Malers Giulio Romano
Der Raum heißt Sala di Psiche. An dessen Decke wird eine Geschichte aus den Metamorphosen des Apuleius erzählt, nämlich die Geschichte von Amor, der sich gegen die Willen seiner Mutter Venus in die Nymphe Psyche verliebt, mit ihr – wie es bei Liebenden zu geschehen pflegt – durch dick und dünn geht und sie am Ende von Zeus in den Olymp der Unsterblichen erheben lässt. Diese Geschichte kennt heute fast keiner mehr und sie ist wahrscheinlich auch nicht so interessant. Aber diese Geschichte ist voller Anspielungen auf das Leben Federico Gonzagas: Strenge Mutter, in seinem Fall die kultivierte Spaßbremse Isabelle D’Este aus Ferrara, eine gesellschaftlich inakzeptable Geliebte, Isabell Boschetti, deren Erhebung in schwindelerregende, olympische Höhen – hier die Aufnahme in die höfische Gesellschaft von Mantua und die prächtige Umgebung des Palazzo del Te.
In solch einem erotisch aufgeheizten Rahmen lässt sich Fedrico als muskelbepackter Pfundskerl über dem Kamin verewigen. Nämlich als nackter, aufgeschwemmter Polyphem, zwischen die mächtigen Schenkel hat der Herzog von Manuta eine Riesenkeule geklemmt, seine drei Augen blicken lüsternd den Raum. Links von ihm wirft sich Zeus mit erigiertem Schwanz auf Olympias die Mutter Alexanders des Großen. Rechts hat sich der Hofmaler Giulio Romano als Daidalos porträtiert. Der geniale Erfinder hat Pasiphaë eine hölzerne Kuh gebaut, in welche diese sich gerade zwängt, damit sie ihr aufgegeiltes Fleisch vom kretischen Stier befriedigen lassen kann. Der Hofmaler als Maître de Plaisir und brother in crime, der die ausschweifenden sexuellen Wünsche seines Aufraggebers zu erfüllen weiß, eine wirklich spektakuläre Rollenbeschreibung.
Nebensächlich, dass die ehebrecherische Venus in einer anderen Ecke des Raumes einen Streit zwischen ihren Liebhabern Mars und Adonis zu schlichten versucht. Polyamorie gab es auch schon in der Antike nicht ohne Verwirrung und beunruhigende Konflikte.
Sex und Kunst
Ist das Lustvoll oder sexy? Ganz ehrlich, eigentlich nicht. Die Rollenbilder sind öde, der Sex nur angedeutet. Die Malerei von eher zweifelhafter Qualität. Wenn man Spaß daran hat, lässt sich hier die Frage erörtern, warum ein Herrscher Anfang des 16. Jahrhunderts sich auf so skandalöse Art und Weise darstellen lässt. Darüber hat Christine Tauber einen klugen und lesenswerten Artikel über Stilpolitik geschrieben.
Mich fasziniert ein anderer Aspekt. In der Sala di Psiche wird die Besonderheit der menschlichen Sexualität als ein künstlerischer oder kultureller, mindestens aber als ein gestalteter Akt deutlich. “Eine der größten Errungenschaften der Menschheit besteht darin, die sexuelle Lust von den Erfordernissen der Fortpflanzung und er Natur entkoppelt zu haben“, schreibt der spanische Philosoph Luis Alegre. Für diese Entkopplung sind in der Sala di Psiche unterschiedlichste Werkzeuge angewendet worden, der Mythos, die Malerei, Feste zu feiern und, wenn man Daidalos hölzerne Kuh betrachtet, sogar das Schreinerhandwerk.
In der Sala di Psiche wird deutlich, dass menschliche Sexualität mit “Natur“ oder “Natürlichkeit“ recht wenig zu tun hat, viel dagegen mit Inszenierung, mit Spiel und Ironie. Das wussten die Menschen also schon vor 500 Jahren. Liebe ewig gestrige Biologisten vom rechten Rand, lernt mal die richtigen Schlüsse aus der Geschichte ziehen!
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Kunst und Sex – Federico Gonzaga und sein Hofmaler Giulio Romano
Durch eine luftige Loggia ausgemalt mit religiösen Motiven geht es durch verschiedene Säle zum eigentlichen Höhepunkt des Palazzo del Te, der Sala dei Giganti. Dort stürzt die ganze Partywelt des Palazzo mit einem gewaltigen Theaterdonner zusammen. Schon toll. Aber ich flüchte vor den massigen Giganten lieber in den Garten. Ganz am Ende des Gartens entdecke ich eine geheime Villa, voll mit kleinen Räumen, Gärten und Grotten. Es ist der beschauliche Rückzugsort Federicos von der höfischen Gesellschaft. Zauberhaft ausgemalt mit zierlichen Grotesken. Toll. Schaue ich mir gerne an.
Ist der Palazzo del Te ein Lustschloss? Passt das erotische und sexuelle Programm seiner Ausmalung in unsere Zeit? Ein ganz klares Jein. Aber mir gefällt, dass sich im Palazzo del Te über Sexualität und Lust nachdenken lässt, wenn einen das dann interessiert. Um zum Schluss noch mal den Philosphen Luis Alegre zu zitieren: “Im Allgemeinen wollen wir Menschen vor allem glücklich sein, und dafür ist kaum etwas so wichtig wie ein freies und befriedigendes Sexualleben. … der Schlüssel einer erfüllten Sexualität (liegt) darin, der Fantasie und der Kreativität freien Lauf zu lassen; das Begehren zu befragen … um ihm Ideen und Formen zu geben, die ihm die Natur von sich aus nicht liefert“.
Vielleicht war das ja auch der Antrieb für Federico Gonzaga und seinen Hofmaler Giulio Romano, als sie das Lustschloss Palazzo del Te vor den Toren Mantuas errichteten: ihr Begehren zu befragen, um ihm Ideen und Formen zu geben, die die Natur nicht liefert. Eine wirklich fantastische Reise. Koffer packen braucht man dazu allerdings nicht.