Porto oder Lissabon?
Porto und Lissabon sind ein bisschen wie Köln und Düsseldorf: Beide Orte verbindet eine herzliche Feindschaft. Dabei steht Porto meist in zweiter Reihe. Das ändert sich, seit Nordportugals Hafenmetropole in Umfragen zu Europas beliebtesten Reisezielen regelmäßig oberste Ränge besetzt. Ein Muss für Besucher sind die Portweinkeller, die offiziell gar nicht auf Portos Boden liegen. Die meisten Touristen wissen nicht, dass die geschäftige Region noch viel mehr als Wein produziert. Die lange Gewerbetradition – neben Genussmitteln vor allem im Bereich Textilien, Lederwaren und Metallerzeugnisse – hat in Stadt und Umland Spuren hinterlassen. Manche davon sind bis heute Teil des städtischen Lebens.
Ist Portwein britisch?
Ich fahre mit dem Boot nach Vila Nova de Gaia. Das ist die Nachbarstadt Portos auf der anderen Seite des Douro und der unbestrittene Hotspot des Portweintourismus‘. Du kannst zwar überall in Porto Portwein probieren, aber hier ist alles an einem Fleck – und komplett durchkommerzialisiert.
Auffällig sind die vielen englischen Namen: Graham’s, Cockburn’s, Taylor’s, Croft, Offley. Ein paar deutsche und niederländische sind auch dabei, wie Kopke, Burmester, Andresen, Niepoort. Das liegt daran, dass Portwein seit jeher ein Top-Exportartikel ist. Anbau und Ernte der Trauben spielen sich im oberen Douro-Tal ab, aber die Händler kommen meist aus den Ländern, in denen Portwein gern getrunken wird.
Die größten Portwein-Fans waren und sind die Engländer. Das hat mit einem Vertrag von 1703 zu tun, in dem beide Länder gegenseitige Vorzugszölle für ihre Waren vereinbarten. Das geschäftige England überschwemmte Portugal daraufhin mit seinen Textilien aus den vielen Fabriken, die während der Industriellen Revolution aus dem Boden schossen. Portugal dagegen erlebte einen wahren Boom der Portweinproduktion und die Einrichtung der ersten klassifizierten Weinbauregion der Welt: Alto Douro.
Ist Portwein britisch? Nein, aber britische Händler haben viel damit verdient und tun das bis heute.
Eine Brücke als Wahrzeichen
Als ich mit 18 zum ersten Mal nach Porto kam, sprangen braungebrannte Jungs von der unteren Fahrbahn der Ponte Dom Luís I in den Douro. Das sind je nach Wasserstand bis zu zehn Höhenmeter – ich hätte mich das niemals getraut! Aber ich erinnere mich noch an das wohlige Gefühl, vom sicheren Ufer aus zuzuschauen und dabei einen gemütlichen Vinho Verde zu trinken.
Heute ist das verboten – das Springen! Der Vinho Verde fließt wie der Portwein in Strömen, und ebenso strömen die Touristen über die geschäftige Uferpromenade. Darüber wölbt sich die gewaltige, schmiedeeiserne, zweigelenkige Bogenbrücke, deren Bau 1881 begann und ganze fünf Jahre brauchte. Oben, in knapp 60 Metern Höhe, rattern die Züge der Metro, weiter unten verkehren Autos. Auf beiden Ebenen sind auch Fußgänger zugelassen. Die Blicke von der Brücke gehören zu den besten der Stadt. Die Brücke selbst gilt längst als eines der Wahrzeichen Portos.
Wie ein liegender Eiffelturm
Entworfen hat sie der Ingenieur Theophile Seyrig, Schüler und später Partner von Gustave Eiffel – die Verwandtschaft der Konstruktion mit dem Pariser Eiffelturm kommt nicht von ungefähr. Die Durchführung des Baus übernahm die belgische Societé Willbroeck. Die Brücke war also, wie im 19. Jahrhundert bei solchen Bauvorhaben üblich, ein Projekt mit europaweiten Verflechtungen. Dasselbe gilt für die Brücke Doña-Maria-Pia 500 Meter weiter flussaufwärts. Die geht sogar auf Gustave Eiffel höchstselbst zurück.
Beide Brücken stehen für die Bedeutung einer Stadt, die das Selbstbewusstsein und das nötige Kleingeld hatte, um innerhalb von weniger als zehn Jahren zwei Bauprojekte dieser Größenordnung in Auftrag zu geben. Heute ginge das nicht mehr, die städtischen Kassen sind klamm. Umso größer ist der touristische Wert der Brücken – zumindest die Dom-Luís-Brücke zählt zu den beliebtesten Fotomotiven Portos. Zu Recht, finde ich!
Nostalgie auf Schienen
Portos Metro ist noch jung – der erste Teilabschnitt ging erst im Dezember 2002 in Betrieb. Sie ist eine Reaktion auf die Stilllegung der Straßenbahn Ende der 1980er Jahre. Einen Rest des – ehemals immerhin rund 80 Kilometer langen – Straßenbahnnetzes gibt es noch. Ich steige in einen der historischen Wagen und zuckele in gemächlichem Tempo die geschäftige Uferstraße entlang. Mein Ziel ist das Straßenbahnmuseum.
Dort, in einer geräumigen Halle, die einmal zu einem Kohlekraftwerk gehörte, stehen mehr als 20 Schienenfahrzeuge aus Portugal, aber auch aus Belgien, England, Deutschland und den USA. Sie stammen überwiegend aus dem früheren 20. Jahrhundert und weisen Porto als geschäftige, moderne Großstadt aus. Eine lokale Besonderheit ist die „vagorete”, ein Spezialwagen, der Fisch von den Anlegeplätzen am Douro in die Konservenfabriken der benachbarten Industriestadt Matosinhos beförderte. Das war ein großer Fortschritt: Vorher stiegen die Fischhändler mitsamt ihren vollbeladenen Fischkörben in die normale Straßenbahn – mitsamt den damit verbundenen Gerüchen.
Eine Treppe führt in die historische Schaltzentrale des einstigen Kraftwerks. Hier kam die Energie her, die die Straßenbahnen in Gang setzte. Überall entdecke ich Schnörkel und Verzierungen, allein die Dimension der Halle ist beeindruckend – damals wurde Technik noch zelebriert und inszeniert wie ein barockes Schauspiel!
Der geschäftige Bahnhof als Gesamtkunstwerk
„Überwältigend“ ist vielleicht der beste Ausdruck für das, was ich empfand, als ich zum ersten Mal im Bahnhof São Bento stand. Ich betrat die Vorhalle, die nicht einmal besonders groß ist, und war wie erschlagen von der Wirkung der riesigen Kachelbilder an den Wänden, die mit großem Pomp Episoden aus der Geschichte Portugals erzählen oder stimmungsvolle Genrebilder zeigen. Das kann kein Foto einfangen.
Der geschäftige Bahnhof liegt mitten im Gewimmel der Stadt und ist nicht nur ein Magnet für Touristen, er funktioniert auch nach wie vor als wichtiger Verkehrsknotenpunkt der Stadt. Allerdings halten hier leider fast keine Fernzüge mehr – wer nach Lissabon oder in Richtung Spanien reisen will, muss am Bahnhof Campanhã umsteigen. Das tut der Wirkung des Gebäudes allerdings keinen Abbruch!
São Bento ist vielleicht das beste Beispiel für die Blüte Portos um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Für eine Hafen- und Handelsstadt mit ausgeprägtem industriellem Umland waren gute Verkehrsverbindungen und Transportwege das A und O. In São Bento liefen mehrere Linien der Königlich Portugiesischen Eisenbahngesellschaft zusammen, von hier aus wurden die Erzeugnisse der Region im ganzen Land und darüber hinaus verteilt. Mit dem Bahnhof hat Porto seiner Wirtschaftsmacht ein kunstvolles und zugleich lebensnahes Denkmal gesetzt.
Der Tipp zum Schluss
São Bento ist an das U-Bahnnetz angeschlossen. Die Linie A fährt direkt in die Nachbarstadt Matosinhos (Umstieg an der Metrostation Trindade, Fahrzeit etwa 40 Minuten). Dort könnt ihr nach Voranmeldung die blitzblanke Fischkonservenfabrik Ramirez besuchen. Das hochmoderne Werk gehört der ältesten Fischkonservenfirma der Welt und zeigt die Geschichte der Fischverarbeitung von den 1850er Jahren bis heute.
In dem kleinen Museum steht unter anderem die weltweit erste Maschine, die Sardinen automatisiert köpfen und entgräten konnte. Die geschäftige Fabrikhalle ist durch eine Glaswand von oben einsehbar. Dort arbeiten – daran hat sich in Jahrhunderten nichts geändert – nur Frauen. Innerhalb von einer Stunde ist der rohe Fisch entgrätet, gekocht, in Konserven verpackt und sterilisiert. Wer Hunger bekommt, kann sich im Museumsladen gleich mit Konserven eindecken. Das Angebot ist reichhaltig, das Geschäft scheint sich zu lohnen: Die meisten Besucher sind Kreuzfahrtpassagiere, erklärt Biologin Anna, unsere Werksführerin – der Hafen von Matosinhos liegt nicht weit weg.
Und noch ein Tipp
Von São Bento fahren Nahverkehrszüge nach Guimarães. Die Geburtsstadt des ersten portugiesischen Königs und „Wiege der Nation“ besitzt ein fantastisch erhaltenes mittelalterliches Zentrum, Reste eines historischen Lederhandwerkerviertels und die wunderbare Casa da Memória, die – eingerichtet in einer ehemaligen Plastikfabrik – eine Art kommunales Gedächtnis darstellt, an dem die Ortsansässigen selbst kräftig mitgewirkt haben.