Porto – ein beliebtes Städtereiseziel
Porto ist ein klassisches Wochenendziel: hinfliegen, reinschnuppern, die wichtigsten Hotspots abhaken und ab nach Hause. Sehenswürdigkeit Nummer 1 ist die Eisenbrücke über den Douro – kaum zu verfehlen und wirklich ein wunderbarer Spaziergang mit tollen Blicken. Von dort ist es nicht weit zu den Portweinkellern in Vila Nova de Gaia. Ebenfalls ein Muss in den einschlägigen Reiseportalen: das Jugendstil-Café Majestic in der Fußgängerzone. Und dann natürlich DER „Geheimtipp“: die Livraria Lello an der Rua das Carmelitas, ebenfalls Jugendstil, sicherlich eine der schönsten Buchhandlungen Europas und der Legende nach Musentempel der Erfolgsautorin J. K. Rowling. Aber wozu führt das alles und ist das wirklich schön?
Seit sich herumgesprochen hat, dass Portugal mehr zu bieten hat als die Algarve und Lissabon, macht Porto Karriere als begehrtes Städtereiseziel. Ganze Hundertschaften fallen per Flugzeug in die Stadt ein und pilgern zu den immer gleichen Plätzen. Das hat den Vorteil, dass unspektakulärere Orte fast touristenfrei sind. Ich bin ein wenig herumspaziert und fand die Kunst des Alltags – und das ist ganz wörtlich gemeint.
Tipp 1: Am besten mit dem Zug ankommen
Das Zentrum der Altstadt ist der Bahnhof São Bento. Das prächtige Bahnhofsgebäude könnte von außen auch als Museum durchgehen, die hohe Empfangshalle mit ihren gewaltigen Kachelbildern scheint das noch zu bestätigen. Heute sind Fernzüge ausgelagert, aber São Bento ist immer noch ein wichtiges Scharnier zwischen Regionalzügen und der U-Bahn von Porto. Entsprechend viele Pendler sind hier unterwegs. Vor knapp zehn Jahren gab es Pläne, den Bahnhof zu einem Shoppingcenter auszubauen. Daraus ist zum Glück – bislang – nichts geworden. Für die, die Portos Kunst des Alltags entdecken wollen, ist São Bento der ideale Ausgangspunkt.
Tipp 2: Shopping-Archäologie im Art-déco-Kaufhaus
Jugendstil und Art déco sind in Porto ein Thema, überall in der Stadt haben sie ihre Spuren hinterlassen. Nicht nur Fast-Food-Restaurants, Cafés und Buchhandlungen logieren hinter den dekorativen Fassaden, sondern auch die zentrale C&A-Filiale. Ein echtes Fundstück ist das Kaufhaus Armazens Cunhas mit einem prächtigen Pfau im stilisierten Giebel. Das stark renovierungsbedürftige Gebäude liegt gleich oberhalb der Livraria Lello, aber mit Sicherheit hat noch kein Tourist die schöne Marmorschwelle übertreten.
Oder doch? Der Porto-Guide des Condé Nast Traveller listet das Kaufhaus unter der Überschrift „Art déco“ als einen der „best places“ auf – bisher zum Glück ohne fatale Folgen. Als ich dort eintrete, bin ich der einzige Besucher. Vielleicht liegt es an der unspektakulären Ware – Berufskleidung, Tischwäsche, Taschentücher –, vielleicht auch daran, dass dieses Kaufhaus keines zum Schlendern ist. Stattdessen erwartet mich unten am langgestreckten Tresen eine freundliche Dame und fragt nach meinen Wünschen. Seit mehr als 100 Jahren funktioniert das so, ein Kaufhaus alten Stils am Originalstandort mit Originalausstattung und ohne Selbstbedienung, Kunst des Alltags von Generation zu Generation. Was ich hier mache? Shopping-Archäologie. Und Taschentücher kaufe ich auch.
Tipp 3: Portos altes Kraftzentrum
Jede Zeit hat ihr Transportmittel. Die Trauben, aus denen der berühmte Portwein gekeltert wird, kamen traditionell per Schiff über den Douro in die Stadt. Die Industrialisierung rollte später auf der Schiene heran. Für Touristen ist heute das Flugzeug das Transportmittel der Wahl, und einen wichtigen Teil des städtischen Nahverkehrs übernimmt die kaum 15 Jahre alte U-Bahn.
Und die alten Trambahnen, die unten am Fluss noch auf wenigen Nostalgiestrecken verkehren? Heute wirken die schmuckvollen Oldtimer der Schiene wie der fahrende Beweis für die Kunst des Alltags in Porto. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts standen sie für etwas ganz anderes: die Dynamik einer modernen Industriemetropole.
Das gilt auch für das Gebäude, in dem heute das Straßenbahnmuseum untergebracht ist. Früher qualmte hier das Kohlekraftwerk Massarelos aus allen Schloten. Die Kohle schafften Spezialfahrzeuge, die Zorras, aus der Zeche S. Pedro da Cova heran.
Wo heute historische Straßenbahnwaggons vor weißgetünchten Mauern ausgestellt werden, lagerten einst Kohlehalden, in der Luft lag Kohlestaub. Gleich nebenan residierte die Schaltzentrale des Kraftwerks. Auch sie ist mustergültig restauriert und Teil des Museums. Wie prestigeträchtig dieser Techniktempel war, sieht man an seiner kostbaren Ausstattung: Schalthebel, Knöpfe und Lämpchen sind hier nicht einfach Schalthebel, Knöpfe und Lämpchen, sondern ein sorgfältig komponiertes Gesamtkunstwerk, eingelassen in eine Schalttafel aus weißem Marmor. Wenn das keine Kunst des Alltags ist! Wie ging es wohl zu, als Ingenieure und Werksleute von hier aus dafür sorgten, dass die Stadt pulsierte, lärmte, unentwegt produzierte? Bei dem Versuch, mir das vorzustellen, werde ich kaum gestört – außer mir ist nur eine Handvoll Besucher da.
Der nächste Teil beginnt im luxuriösesten Haus Portos und macht sich anschließend auf den Weg zu alteingesessenen Läden und dem charmanten Mercado do Bolhão. Es geht um Handwerkskunst, Wurstkunst, Hühnerkauf – und für Vegetarier ist auch etwas dabei…