Abendteuer Negev Wüste
Wüste, das ist das Abenteuer. Wüste, das ist die Konfrontation. Der ohnmächtige Mensch in einer vollkommenen lebensfeindlichen Ödnis. Nur die Stärksten überleben. Wüste, das ist da, wo ich nur noch ganz was Kleines bin, in etwas ganz gigantisch Großem. Von allen Seiten droht die Gefahr, die Hitze, der Hunger, der Durst, die Wildnis. Leere Wasserflaschen, aufgesprungene Lippen, Halluzinationen, Skorpione.
Die Wüste das ist Landschaft gewordenes Fegefeuer. 100% Qual. Kein Ausweg nirgends. Außer Du selbst. Vollkommen verschwurbeltes Macho-Gewäsch. Die Glut der Wüste die reinigt Dich. Du kommst aus der Wüste zurück und du bist ein anderer Mensch. Verrückt. Oder ganz nah bei Dir. Oder beides. So ist das bei Lawrence of Arabia und bei Star Wars und bei Johannes dem Täufer oder Moses. Bis jetzt kenn ich die Wüsten nur aus dem Kino und aus der Bibel.
Ich war ja noch nie in der Wüste. Deswegen bin ich total elektrisiert, als Elli sagt: “Lass uns doch einfach mal in die Negev fahren. Über das Wochenende.“ Über das Wochenende? So sehen heute die großen, existenziellen Erfahrungen aus. Wüste im Westentaschenformat. Als Wochenendtrip, um der Sabbat Ruhe in Jerusalem zu entkommen.
Ein Wochenende in der Negev Wüste
Die Negev Wüste im Süden Israels ist sogar ganz bequem mit dem öffentlichen Nahverkehr zu erreichen. Wir fahren von Jerusalem mit dem Bus nach Beersheba. Dort steigen wir um in den Bus nach Mizpe Ramon. Und schon steh ich mitten in der Wüste. Am Rande des größten Erosions-Kraters der Welt, des Machtesch Ramon.
Busfahren in Israel ist für Reisende die erste Option, um sich durchs Land zu bewegen. Praktisch jeder Ort ist völlig unkompliziert mit dem Bus zu erreichen. Busfahren am Tag des Sabbat-Beginns ist aber ein bisschen stressig. Es sind unglaublich viele junge Menschen, Soldaten und Soldatinnen, unterwegs. Sie wollen noch Zuhause oder Freunde erreichen, bevor um 16 Uhr auch die Busse in die Sabbat Ruhe gehen. Losfahren werden die Busse erst wieder am Abend des nächsten Tages nach Sonnenuntergang. Die Busbahnhöfe sind also proppe voll und an den Bustüren wird gedrängelt.
Aber es ist bestimmt unglaublich sicher hier. So viele Maschinengewehre an einem Ort wie auf dem Busbahnhof von Beersheba habe ich noch nie gesehen. Sie baumeln über Schultern oder lehnen entspannt in der Ecke. Die Patronen Magazine sind locker hinten im Hosenbund oder am Gewehrschafft befestigt. “Soldatinnen und Soldaten müssen ihre Waffe entweder sicher wegschließen oder aber bei sich tragen“, erklärt mir Elli. Das mit dem sicheren Wegschließen muss richtig schwierig sein. Warum sonst sollten junge Menschen ihre Waffen ständig durch die Gegend tragen? Ich bin diese Gegenwart von Kriegsgerät nicht gewohnt. Für mich entsteht dadurch das Bild einer Gesellschaft in Alarmbereitschaft und im Dauerstress.
Israel ein Wüstenstaat
Israel ist ein Wüstenstaat. Die Negev Wüste ist gut 12.000 km2 groß, das sind ungefähr 60% des israelischen Staatsgebiets. 600.000 Menschen leben hier. Noch nicht einmal 8% der Gesamtbevölkerung Israels. 200.000 davon sind Beduinen. Nomadisch lebende Araber. Manche leben in den Städten, die die israelische Regierung für sie errichten ließ. Andere leben in illegalen Dörfern. Baracken Siedlungen voller Wellblechhütten und elenden Ställen für Ziegen. Das Verhältnis zwischen Staat und Nomaden ist kompliziert. Israel erkennt die Ansprüche der Beduinen auf ein freies Leben in der Negev nicht an. Die Nomaden fühlen sich vom Staat drangsaliert und übervorteilt.
Die Hälfte der Negev wird vom Militär als Manöver-Gelände oder für Stützpunkte genutzt. Eine neue, riesige Militärbasis wird gerade gebaut. Damit verknüpft sind wage Hoffnungen auf wirtschaftlichen Aufschwung in der Wüste. Die größte Stadt ist Beersheba mit 190.000 Einwohnern. Sie soll zu einer innovativen Cybercity entwickelt werden. Die Deutsche Telekom hat schon ein Forschungslabor eingerichtet. Beersheba ist eine typische Entwicklungsstadt in der Negev Wüste. Kurz nach der Staatsgründung Israels auf dem Reißbrett geplant und gebaut, um die erwarteten Einwanderer aufzunehmen. Jetzt soll Beersheba den Anschluss an die Gegenwart finden.
Die Negev Wüste hat eine tiefe historische Dimension. Durch diese staubige, geröllige Weite hat Moses das Volk Israel aus der Gefangenschaft in Ägypten Richtung gelobtes Land geführt. Wieder so ein fetter Mythos. Wo hat es hier bloß Manna geregnet?
Bei der Fahrt auf gut ausgebauten Straßen, im klimatisierten Reisebus vorbei an modernen Entwicklungsstädten und Kibbuzim liegt diese vorgeschichtliche 40 jährige Wanderschaft in unendlicher Ferne. Genauso wie die fixe Idee der Wüste als unendliche Weite und unendlicher Raum. Hier ist jedes Sandkorn schon einmal umgedreht, bearbeitet und ausgebeutet worden. Natur, das ist hier eher eine Erwartungshaltung. In der Wüste wird Natur schon irgendwo zu finden sein – oder? Schon wieder hat mir diese Fahrt durchs heilige Land meinen verpeilten Kopf ziemlich grade gerückt.
Ankunft in Mizpe Ramon
Elli und ich kommen um kurz vor drei in Mizpe Ramon an. Wir übernachten in der Jugendherberge. Dort werfen wir unsere Rucksäcke auf die Betten und machen vor der Abenddämmerung noch einen Spaziergang an den Rand des Machtesch Ramon. Des größten Erosionskraters der Welt. 40 Kilometer Umfang.
300 Meter stürzt der Abhang vor unseren Füßen in die Tiefe. Das ist sehr beeindruckend. Der Blick schweift weit über die vielfarbige und vielgestaltige Landschaft unter uns. Die wollen wir morgen durchwandern. Hügel, Berge, Ebene und Flussläufe sind von hier oben zu erkennen. Diese Landschaft ist nicht einfach so entstanden. Da waren geheimnisvolle und gewaltige geologische Kräfte am Werk. Sie haben diese erstaunliche Wüstenlandschaft über die Jahrtausende durchgeknetet und geformt. Irgendwann einmal standen hier Palmen am weißen Strand eines frühzeitlichen Meers. Zurückgeblieben ist der Sand!
Richtig viel los ist in Mizpe Ramon nicht. Es sieht schon so aus wie auf dem langweiligen Wüstenplaneten Tatooine, der Heimat von Luke Skywalker. Irgendwo im Arkanis Sektor am äußersten Rand der Star Wars Galaxie. Mizpe Ramon liegt auch irgendwo im Nowhere. Und genauso wie Luke Tatooine verlässt, um spannende Abenteuer in der Ferne zu erleben, packen die Bewohner der Negev Wüste ihre sieben Sachen und ziehen weg. In allen Regionen Israels wächst die Zahl der Einwohner. Nur in der Negev Wüste nimmt sie ab.
Sonnenuntergang am Rand des Machtesch Ramon Kraters
Elli und ich sind gewissermaßen gegen den Trend nach Mizpe Ramon gefahren. Wir setzen uns auf einen Felsen und betrachten die Weite des Ramon Kraters, dieses Wunder der Natur. Unter uns ziehen Herden des numidischen Steinbocks die Hänge hinauf. Possierliche Tiere. Auf ihren kleinen Hufen können sie noch am steilsten Hang Halt finden. Mit ihren flinken Beinen springen sie elegant von Fels zu Fels. Auf was für wackeligen Felsbrocken die rumturnen. Mir wird schon beim Zuschauen ganz schwindelig. Vorne läuft immer ein erwachsener Steinbock mit beeindruckendem Hornaufsatz. Danach folgen die Böckin und der Steinbock Nachwuchs.
Die Steinböcke sind auf dem Weg zu den Futterkrippen in Mizpe Ramon: den Mülleimer, Komposthaufen, Blumenkübeln und Grünstreifen am Straßenrand. Es gibt ja auch keinen Grund tagsüber an mageren Dornen zu knabbern und sich das Mäulchen zu zerstechen, wenn des Nachts im Schnellimbiss Mizpe Ramon ein leckeres Tischleindeckdich gegeben wird.
Als es dunkel und kalt wird machen wir uns auf den Weg zurück. Am Kraterrand haben sich Männer und Frauen versammelt. Die Männer tragen Kippa. Die Frauen haben sich aufwändige Tücher um den Kopf gewunden. Singend stimmen sie sich auf den Sabbat ein.
Etwas weiter steht eine Gruppe von Soldaten und Soldatinnen. Im Zentrum haben sich einige Soldaten um einen Militärrabbiner versammelt. Auch sie singen während des Sonnenuntergangs zum Sabbatbeginn. In einem weiteren Kreis stehen die anderen Soldaten abseits und schauen zu.
Ein friedlicher Abend in der Jugendherberge
Am Abend treffen wir uns alle wieder. Im großen Speisesaal der Jugendherberge. Die wehrpflichtigen jungen Frauen und Männer in Uniform sitzen in großen Gruppen an langen Tischen. Wieder haben sie ihr Kriegsgerät mitgebracht. Diesmal lehnen Maschinengewehre an Tischen, liegen unter den Stühlen am Boden oder werden einfach auf dem Schoß gehalten. Inzwischen habe ich mich schon an den Dauer-Anblick von Waffen gewöhnt. Ich frage mich aber, was es für ein Land bedeutet, wenn fast alle jungen Erwachsenen, beim Militär gewesen und an Waffen ausgebildet worden sind? Wehrdienstverweigerung ist in Israel nämlich nicht vorgesehen.
Am nächsten Morgen, zum Frühstück, sehen die jungen Soldaten wie normale Menschen aus. Sie tragen Schlabber-T-Shirt, Boxershorts, Badelatschen oder knackig enge Jeans mit Turnschuhen. Verschlafene Gesichter. Die Nacht war für viele anscheinend viel zu kurz. Sie plaudern und scherzen miteinander. Klar, die Maschinengewehre sind wieder mit dabei. So spielt auch diese normale Szene im Ausnahmezustand.
Wandern in der Wüste
Wir packen Unmengen von Wasserflaschen und süßer Limonade in unsere Rucksäcke. Nach einer kurzen Beratung im Besucher Zentrum entschließen wir uns zu einem fünf stündigen Trail mitten durch den Krater. Am Ende der Wanderung müssen wir nach Mizpe Ramon zurück trampen. Da haben wir uns was vorgenommen. Aber wir haben auch den ganzen Tag Zeit.
Die 300 Meter hinunter in den Krater sind ein bisschen öde. Ich denke, zum Glück müssen wir das am Ende nicht wieder hinauf. Hinter uns turnen rüstige Rentner den Hang hinab. Die biegen ab in eine andere Richtung. Ihr heiteres Gelärme verliert sich in der Weite. Am Fuß des Kraters sind wir erst mal ganz allein.
Ganz und gar allein. Wir sehen keine Tiere. Es gibt hier noch nicht einmal Katzen. Überall in Israel leben verwilderte Katzen. Keine Straße, keine Mülltonne, kein Vorgarten ohne eine Katze. Aber hier am Grund des Machtesch Ramon Kraters keine Katze. Für mich ist dieser Krater der einzige katzenfreie Ort, den ich auf meiner Israel Reise besuche. Katzenfreie Zonen wahrzunehmen, das ist auch eine Art Ambient Awareness – oder?
Geologische Wunderwelt Wüste
Langsam kommt Wüstenstimmung auf. Die Sonne brennt auf uns herunter. Brüllend heiß. Es ist eine trockene Hitze. Wir schwitzen nicht. Bei jeder kleinen Pause nehmen wir ganz sparsam einen Schluck Wasser. Muss ja reichen. Dann fangen die Ohren an rot zu glühen. Wir binden uns Tücher um den Kopf, um dem Sonnenbrand zu entgehen. Sieht ein bisschen dämlich aus. Hilft aber.
Der Trail ist unglaublich schön und abwechslungsreich angelegt. Zuerst wandern wir entlang niedriger Hügel aus buntem Sandstein. Dann kommen wir in ein Wadi. Das ausgetrocknete Bett eines Regenwasserflusses. Hier gibt es etwas grüne Vegetation. Elli warnt, dass solche Wadis sich bei Regen sekundenschnell in reißende, lebensgefährliche Sturzbäche verwandeln können. Keine Regenwolke in Sicht. Wir sind auf der sicheren Seite. In der Nähe von eigenartigen Basaltformationen machen wir unsere erste Pause unterhalb einer schattigen Mauer.
Weiter geht es durch eine sandige Ebene, die in verschiedensten Rottönen leuchtet. Wir steigen eine violetten Berg hinauf und können von dort oben auf einen schuppig geformten Hügelrücken schauen. Diese merkwürdige Struktur ist dadurch entstanden, dass eine zerbrochene Kalksteinplatte in verschiedenen Schichten übereinander geschoben worden ist. Hier ist es so, als könnten wir Mutter Erde bei der Arbeit zu schauen. Durch die Erosionen im Krater ist es möglich in der Entstehungsgeschichte dieser Landschaft wie in einem Buch zu lesen.
Nach dem Aufstieg folgt der Abstieg. Das ist die einzige heikle Stelle auf dieser Wanderung. Sie lässt sich aber problemlos meistern. Belohnt werden wir durch eine ganz flache Landschaft aus gleisend weißen Gipshügeln. Früher wurde Gips im Machtesch Ramon Krater industriell abgebaut. Das ist vorbei. Jetzt ist nur noch eine nachhaltige touristische Nutzung dieser Landschaft gestattet.
Wandern durch die Negev Wüste – Ein Blick in die Erdgeschichte
Nach einem kurzen Stück kommen wir an einer Ammoniten-Wand an. Wir stehen hier vor einer Unzahl versteinerter Kopffüßler, die irgendwann vor 400 Millionen oder vor 66 Millionen Jahren in den blauen Tiefen eines tropischen Meer gelebt haben. Da wo sich jetzt Sand und Trockenheit ausbreiten gab es vor langer, langer Zeit ein Menge Wasser. Irre Vorstellung das.
Wir sind am Ende des Trails angekommen. In der Ferne hören wir schon die Straße. Trampen soll in Israel ganz einfach sein. „Am Sabbat machen das alle. Es fährt ja kein Bus!“ sagt Elli. Also stellen wir uns an die Straße und halten die Daumen raus. Es geht wirklich ganz schnell. Nach fünf Minuten hält ein kleiner Peugeot. Zwei junge Männer springen raus und fragen auf Englisch, wo wir hinwollen.
Es sind zwei Deutsche der Fahrt von Massada nach Petra. Sie wollen zum Klettern nach Jordanien. Jetzt suchen sie eine Tankstelle. Am Sabbat keine Kleinigkeit. Wir erzählen von unserer Tour durch den Machtesch Ramon Krater. Sie hören gebannt zu, überlegen ob sie den Krater bei Nacht durchwandern sollten. Und plötzlich flammt das Wüstenabenteuer auf. Nachts durch den Krater. Streng verboten! Noch während dieser Gedankenspiele erreichen wir Mizpe Ramon. Wir zeigen den Jungs den Weg zur Tankstelle und gehen zur Jugendherberge. Die Soldaten sind abgereist. Heute Abend essen wir gemeinsam mit Christen aus Singapur.
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