Das Mittagessen ist heilig
Das Mittagessen ist den Portugiesen heilig – so sehr, dass dafür auch schon mal Museen oder Ausgrabungsstätten schließen. So haben wir es auf dem Festland erlebt. Auf den Azoren machen wir eine andere Beobachtung. Während unserer Fahrten über die Insel São Miguel wundern wir uns wiederholt über längliche, tunnelartige Baustellenzelte – bis wir eines Tages sehen, wie Bauarbeiter darin sitzen und essen. Weil so ein Mittagsmahl dauern kann und weil es auf den Azoren manchmal aus heiterem Himmel regnet, gehört zu einer azorianischen Baustelle unbedingt ein azorianisches Esszelt.
Wer die Küche der Azoren kennt, versteht das sofort. In acht Tagen erleben wir nur eine Restaurantpleite – in einem Lokal, das trotz positiver Empfehlungen im Netz verbrannte Thunfischsteaks serviert. Ansonsten entdecken wir fast täglich neue Delikatessen. Nichts davon ist besonders raffiniert. Dass ist auch gar nicht nötig, weil die Zutaten in dem günstigen Klima unglaublich gut gedeihen und die Azorianer kein Haute-Cuisine-Hokuspokus brauchen, um das Beste daraus zu machen.
„Schweinsfisch“: Vom Abfall zum Leckerbissen
15 Grad Celsius, nasses Rollfeld, glasklare Luft: Als wir in São Miguels Hauptstadt Ponta Delgada landen, ist gerade ein morgendlicher Januarschauer niedergegangen. Im Jardim José do Canto dampft die Vegetation. Unser Zimmer liegt in einem Palast des Parks, der zum Teil als einfaches Hotel betrieben wird. Allerdings macht uns ein Wasserrohrbruch leider einen Strich durch die Rechnung: Im Eingangsbereich hocken Männer in Arbeitskleidung um ein Loch im Boden und suchen die schadhafte Rohrleitung. Das Personal ist aufgeregt, entschuldigt sich ein ums andere Mal und bringt uns schließlich in einer alternativen Unterkunft im Stadtzentrum unter.
Kaum sind wir vor Anker gegangen, meldet sich der Hunger. Wir landen in einem Lokal in einer Seitenstraße, das von außen denkbar unauffällig aussieht. Drinnen herrscht Bistro-Atmosphäre mit karierten Decken, Plastikwasserflaschen und Weinregal über der Bar. Hier bedienen Vater und Sohn, in der Küche steht die Mutter. Die Speisekarte ist übersichtlich, wir erwarten keine Delikatessen und entscheiden uns für gegrillte Tintenfische –in Portugal eigentlich immer eine gute Wahl – und Peixe-Porco. Das ist riskant, wir haben den Namen dieses Fischs noch nie gehört: Schweinsfisch. Schmeckt der? Der Sohn lobt das Gericht in höchsten Tönen – wie sollte er auch nicht?
Die Wartezeit vertreiben wir uns mit einem erstaunlich aromatischen Weißwein – Terras de Lava – von der Azoreninsel Pico. Dann kommt der Fisch, liegt höchst appetitlich, aber bescheiden auf einer einfachen Blechplatte und schmeckt – sagen wir es so: Ich hatte bei einem Fischgericht selten ein beglückenderes Geschmackserlebnis als bei diesem. Gerade richtig angegrillt, saftiges Fleisch, unglaublich aromatisch und im Mund leicht wie ein Baiser. Um der Wahrheit Genüge zu tun: Wir waren ein paar Tage später noch einmal da, da schmeckte dasselbe Gericht nicht ganz so sensationell, aber immer noch wunderbar. Das gehört dazu und macht das Erlebnis umso authentischer – Delikatessen sind eben Unikate.
Wörtlich übersetzt heißt Peixe-Porco Schweinsfisch, und den gibt es tatsächlich, nur hat er mit unserem Peixe-Porco nichts zu tun. Der läuft auf Deutsch unter der Bezeichnung Grauer Drückerfisch, was sich nicht sehr spektakulär anhört. Genauso unspektakulär beginnt auch die gastronomische Karriere dieses Meeresbewohners. Ein Freund erzählt uns, dass ihn die Azorenfischer früher als lästigen Beifang wieder ins Meer warfen. Das hat sich Gott sei Dank geändert – was hätten wir sonst verpasst?
Inselaroma pur: Delikatessen vom Käseprinzen
Wer denkt, auf den Azoren gäbe es nur Fisch und sonst nichts, irrt gewaltig. Wenn es für Kühe ein Paradies auf Erden gibt, dann ist das ohne Zweifel São Miguel – gegen diese saftigen Weiden sieht selbst Irland blass aus! Ständige Wetterwechsel und ergiebige Regenfälle lassen das Gras nur so sprießen, und so gut wie kein Inselblick kommt ohne Kühe aus. Oft steht dahinter das Meer, dessen salzige Luft alles tränkt, das Gras inbegriffen.
Wir haben den Geschmack des Azorengrases nicht empirisch getestet – jedenfalls nicht direkt. Aber was aus dem Gras wird, war eine weitere kulinarische Entdeckung. Die hat in Ponte Delgada einen klingenden Namen: „o príncipe dos queisos“. Dazu muss man wissen, dass die Azorianer ganz unbescheiden sind, wenn es darum geht, die Delikatessen ihrer Inseln anzupreisen. Auf dem Markt sind wir gleich zwei Königen begegnet: dem König der Ananas und dem König des Käses. O príncipe dos queisos ist eine Nuance zurückhaltender: Er bezeichnet sich „nur“ als Käseprinz, bietet aber ein Königreich an wohlschmeckenden Käsesorten.
Die beiden Verkäufer hinter der Theke sind so flink und charmant und kompetent und überzeugend, dass es kaum möglich ist, den Laden mit weniger als drei Delikatessen aus ihrem Sortiment zu verlassen. Zwischendurch machen sie Scherzchen, haben für jeden Kunden und jeden Wunsch ein Ohr und unterhalten das Publikum mit einer bühnenreifen Performance. Je mehr Käse wir probieren, desto weniger können wir uns entscheiden. Als wir schließlich die Heimreise antreten, haben wir viel zu wenig Käse im Gepäck.
Mal gedämpft, mal deftig
Natürlich muss hier auch die Cataplana zum Zug kommen. Die ist so etwas wie der portugiesische Römertopf. Der Vergleich hinkt gewaltig, jedenfalls wenn es ums Material geht: Jene besteht aus Kupfer oder Eisen und gehört auf den Gasherd, der schwere Ton des Römertopfs braucht die Hitze des Ofens. Und es gibt noch einen Unterschied: Der Römertopf ist hoffnungslos out, während Portugals Boom als Urlaubsland der Cataplana einen erstaunlichen Aufschwung beschert – allerdings meist als Souvenir, das dann in der heimischen Küche verstaubt.
Davon abgesehen ist die Wirkung beider Kochgeräte dieselbe: das schonende Garen und Dünsten von Speisen. Als ich klein war, schmorte bei uns zuhause im Römertopf meistens ein Huhn. Die Portugiesen legen die Hühner lieber auf den Grill – übrigens auch mit einem fantastischen Ergebnis. Die Cataplana dagegen sieht nicht nur aus wie eine Muschel, sie enthält auch meistens welche oder wahlweise Fisch oder – besonders im Alentejo – einen Eintopf aus Muscheln und Schweinefleisch. Heraus kommen immer aufregend aromatisierte Delikatessen, die zum Besten gehören, was die portugiesische – in diesem Fall die azorianische – Küche zu bieten hat.
Ganz anders die Küche in Furnas im Landesinneren von São Miguel. Die heißen Schwefelquellen, die dort brodeln, sind die Grundlage eines traditionsreichen Kurbetriebs und heizen den morschen Knochen der Badegäste tüchtig ein. Nebenher liefern sie kostenlose Energie, die die Bewohner gerne zum Kochen nutzen. Dazu buddeln sie einfach ein Loch in den Boden, setzen einen Topf hinein, befüllen diesen mit allerlei Gemüse und Fleisch, schließen fest den Deckel darüber und schütten noch Sand darauf, damit alles luftdicht abgeschlossen ist.
Heraus kommt ein deftiges, aber sehr bekömmliches Eintopfgericht, das komplett im eigenen Saft gegart ist und ein wunderbares Aroma entwickelt. Die Ingredenzien ähneln der eine Schlachtplatte: Chorizo, Blutwurst, Kohl, Möhren, Schweinerippchen, ein Stück Eisbein, Huhn, Kartoffeln, Süßkartoffeln und – eine azorianische Eigenheit – Yamswurzel. Das üppige Landessen kam früher nur an Festtagen auf den Tisch. Heute können es Besucher täglich irgendwo im Ort bekommen. Da Delikatessen wie diese oft in großen Portionen daherkommen, empfiehlt sich für die Verdauung entweder ein ausgedehnter Spaziergang oder ein träger Nachmittag in einem der Thermalbäder von Furnas.
Nachtisch muss sein
Für einen leichten Abschluss der Mahlzeit eignet sich Obst am besten. Besonders die Ananas der Azoren ist berühmt. Schon lange kultivieren die Insulaner die anspruchsvolle Tropenfrucht, deren Anbau langwierig und kompliziert ist. Wir besuchen Gewächshäuser, die über hundert Jahre auf dem Buckel haben, und natürlich probieren wir auch Ananas. Sie schmeckt gut, ist aber erstaunlich säuerlich – vielleicht liegt’s an der Jahreszeit?
Zum Glück gibt es auf den Märkten noch viel aromatischere Früchte, allen voran Maracuja, von denen wir gelernt haben, dass man sie längs aufschneiden muss, weil es sonst passieren kann, dass eine Hälfte sauer schmeckt und eine süß. Ein einmaliges Geschmackserlebnis bieten die Netzannonen oder Rahmäpfel, in Lateinamerika als Cherimoya bekannt. Ihr cremiges weißes Fruchtfleisch ist sehr süß, hat aber eine leicht säuerliche Note und macht glücklich. Obendrein sind Anonen die reinsten Vitaminbomben, also als Delikatessen auch noch ausgesprochen gesund. Wohl bekomms!