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Ausblick von Stilo auf die Landschaft Kalabriens.
Ausblick von Stilo auf die Landschaft Kalabriens.

Stilo in Kalabrien – Campanella, Cattolica & Co.

Stilo in Kalabrien ist ein geheimnisvolles Bergstädtchen an der Küste des Ionischen Meeres im Süden Italiens. Berühmt ist Stilo für die Cattolica, eine uralte byzantinische Kirche. Außerdem ist die Stadt der Geburtsort des Philosophen Tommaso Campanella, dem Autor des utopischen Romans La città del Sole, die Sonnenstadt.
Inhalt

Reise nach Stilo in Kalabrien

Hoch über dem silbern funkelnden Ionischen Meer, am Ende einer langer kurvigen Straße, die an einem grauen und staubig trockenen Flussbett voller Geröll entlang führt, liegt der Ort Stilo an der verkarsteten Flanke des Monte Consolino. Stilo in Kalabrien ist eines dieser geheimnisvollen Bergstädtchen im Süden Italiens, die von der hektischen Gegenwart moderner Metropolen Lichtjahre entfernt zu sein scheinen. Dabei soll Stilo in einer mindestes so fernen Vergangenheit eine äußerst bedeutende Stadt gewesen sein. Davon ist wie an so vielen Orten in Kalabrien nichts mehr zu sehen.

Eine gnadenlos brennende Sonne hat die Landschaft verdorrt und taucht Stilo in gleißendes Licht. Und dieses grelle, beißenden Licht schmerzt die Augen so sehr, dass trotz der Helligkeit alles im Dunklen bleibt. Sehen und Wahrnehmen, das geht nur im Schatten, in dessen Dunkel die Augen Ruhe finden können. Zum Beispiel im Schatten der vor sich hinbröselnden Barockkirche San Franceso. Aus deren offenen Pforten strömt kühle Luft nach draußen und leider auch der feuchte Muff von vielen hundert Jahren.

Auf der Piazza

Kurz vor der Mittagszeit haben im Schatten der Kirche von Stilo vor allem alte Männer Zuflucht gefunden. Kurzgewachsen, kräftige Hände, drahtiges Haar. Das lange Leben hat tiefe Furchen in die ledrige Haut der Gesichter gegraben. Diese alten Männer tragen viel zu dicke Jacken für die Jahreszeit. Aber auch wenn die Sonne fast immer scheint, wer weiß schon, was das Wetter als nächstes bringen könnte.

Die alten Herren sitzen auf den Stufen vor der Kirche, im Schatten der Judasbäume oder auf den wackeligen Stühlen des Gran Caffè Stilo. Sie verharren fast bewegungslos und schweigen. In Deutschland stellt man sich das ja immer anders vor. Da ist jede Piazza in Italien eine einzige palavernde Quaselbude, das stimmt aber nicht für Stilo im herben Kalabrien. Schweigen und Regungslosigkeit. Was sollen sich die Männer auch noch erzählen, nachdem sie wahrscheinlich ziemlich zähe Jahrzehnte auf dieser staubigen Piazza gemeinsam verwartet haben?

Vielleicht haben sie sich für ihre stoische Haltung aber einfach Tommaso Campanella als Vorbild genommen. Der Philosoph sitzt in heroischer Denkerpose versunkenen, äußerst nachdenklichen auf einem Sockel aus rosa Granit. Das bronzenes Denkmal des berühmtesten Sohns der Stadt Stilo dominiert die Piazza. Als Mönch haben sie ihn hier aufgestellt. Was für ein Hohn! Denn in den unsicheren Zeiten der Reformation, der großen Entdeckerfahrten und neuester astronomischer Erkenntnisse, die die Erde aus dem Zentrum des Universums an dessen Rand katapultierte, war Campanella in die mörderischen Fänge der finsteren Inquisition geraten.

Denkmal des Philosophen Campanella aus Stilo in Kalabrien.
Denkmal für den Autor des Sonnenstaates, Tommaso Campanella 1568 – 1639, in Stilo

Tommaso Campanella

Der erstaunliche Lebensweg, der Campanella aus Stilo in Kalabrien, erst nach Neapel, schließlich über Padua und Rom in die Kreise Galileo Galileos und des Papst Urban VIII und zu seinem Lebensende nach Frankreich an den Hof Ludwig XIII führte, war dem Sohn eines Schusters sicherlich nicht vorgezeichnet. Wer vor der elenden Hütte steht, die in Stilo als das Geburtshaus Campanellas ausgewiesen ist, kann sich über diesen kometenhaften Aufstieg nur wundern.

Diesen Aufstieg hatte Campanella allerdings teuer bezahlt. Sofort nach der Veröffentlichung seiner ersten Schrift Philosophia sensibus demonstrata, in welcher der 21 jährige Campanella nachzuweisen versucht, dass die Grundlage der Philosophie die menschliche Erfahrung sein müsse, gerät er unter den bedrohlichen Radar der Inquisition. Die Veröffentlichung seiner Thesen muss er mit einer ersten Inhaftierung wegen Ketzerei bezahlen. Bis zu seinem Tod – also die nächsten 50 Jahre seines Lebens – steht der Philosoph unter Dauerbeobachtung irrlichtender Inquisitoren.

In Padua, wo Campanella dem berühmten Galileo Galilei begegnet wird er 1593 wegen Sodomie – dem mönchischen Laster – angeklagt, erst freigesprochen, um dann sofort wieder angeklagt zu werden, diesmal weil er sich mit einem Juden auf eine ketzerische Debatte über Fragen des christlichen Glaubens eingelassen haben. Und so geht es weiter …

Nachdem Campanella aus Neapel Richtung Kalabrien verbannt wieder nahe bei Stilo residiert, wird er der spirituelle Anführer einer Revolte gegen die bedrückende Herrschaft der spanischen Vizekönige in Süditalien. Diese Kalabresische Revolte fliegt auf, Campanella wird verhaftet, in Neapel eingekerkert und grausam gefoltert. Einer Hinrichtung wegen Hochverrats entgeht Campanella nur, weil es scheint, der kluge Kopf sei durchgeknallt. Ein wahnsinniger Philosoph, was für eine Story! 27 Jahre verbringt Campanella daraufhin in dunklen, feuchten Festungsverliesen in Neapel. Doch im Kerker verfasst er sein bekanntestes Werk, La città del Sole, die Sonnenstadt, eine beißende Sozialkritik.

Gedenktafel an einem Haus in Stilo.
Erinnerung an den heroischen Propheten der neuen Zeit am Geburtshaus des Philosophen Campanella in Stilo Kalabrien

La città del Sole

La città del Sole ist eine ziemlich trockene Lektüre. Denn das Buch hat weder eine Geschichte, noch eine Handlung, der zähe Text gehört zur Gattung der Utopie. Er beschreibt den Zustand einer als ideal empfundenen Gesellschaft in der Sonnenstadt, die ein Reisender auf der fernen Insel Taprobane aka Sri Lanka zufälligerweise entdeckt. Der Reisende hat keinen Namen, er wird als Genuese bezeichnet. Vielleicht ist damit der aus Genua stammende Christoph Kolumbus gemeint, der berühmteste aller Entdecker und Kolonialisten. Seine Beobachtungen schildert der Genuese einem Hochmeister der Hospitaliter, dessen alleinige Funktion die des Stichwortgebers ist.

Wahrscheinlich ist es kein Wunder, dass die Gattung der Utopie – als eine Form des Reiseberichts – im Zeitalter der Entdeckungen entsteht. Brachten Reisende doch aus allen Ecken der neuen Welten ungeheuerliche, erlogene, noch nie gehörte Geschichten mit. Warum sollte es in dieser weiten unbekannten Welt nicht auch Städte und Staaten geben, in denen die Bewohner frei von Willkür, Dummheit und Despotismus lebten?

Aber so einfach ist es dann doch nicht. Die Weltfremdheit der utopischen Entwürfe wird schon im Namen der Gattung reflektiert. Bedeutet Utopie doch wortwörtlich aus dem Griechischen übersetzt soviel wie “Kein Ort“, also Nirgendwo. Deswegen ist La città del Sole wahrscheinlich vor allem als eine Kritik Campanellas an den schlimmen ökonomischen und gesellschaftlichen Zuständen seiner Epoche zu verstehen. Diese Inhaltsangabe fasst kurz und knapp den Inhalt der Sonnenstadt zusammen. Außer der Erinnerung an Campanella gibt es in Stilo noch La Cattolica.

Der Weg zur Cattolica führt vorbei an einem kleinen Altar.
Ein kleiner Altar auf dem Weg zur Cattolica in Stilo

La Cattolica

Die Kirche La Cattolica in Stilo ist ein Zeugnis für jene Epoche, als weite Landesteile im Süden Italiens von Konstantinopel aus regiert wurden. Bis zur Eroberung durch den Normannen Robert Guiscard blieb Kalabrien byzantinisch. In jener Zeit gründeten Einsiedlermönche, Basilianer, an den Hängen des Monte Consolino Höhlenklöster und Einsiedlereien. Die dicht bewaldeten, schwer zugänglichen Hänge der Serre und die vielen Karsthöhlen des Monte Consolino boten wahrscheinlich beste Voraussetzungen für das zurückgezogene Leben von heilsuchenden Eremiten.

Vielleicht lebten diese Eremiten wie der Heilige Onophrius, waren nur mit Tierfellen und ihren eigenen verfilzten Haaren bekleidet und nährten sich von Kräutern. Auf jeden Fall müssen sie auf die Menschen, die rings um den Monte Consolino lebten, einen großen Eindruck gemacht haben. Denn sie bekehrten diese zum orthodoxen Glauben, der in Stilo bis in das 16. Jahrhundert hinein vorherrschend war.

Die Einsiedler bauten La Cattolica als eine typische byzantinische Kreuzkuppelkirche. Sie errichteten die Kirche Ende des 10. Jahrhundert auf einem quadratischen Grundriss, in den ein griechisches Kreuz eingeschrieben ist. Vier Säulen aus antikem Marmor tragen die zentrale Kuppel und teilen das große Quadrat in 9 kleine Quadrate. Die vier Eckquadrate werden ebenfalls von Kuppeln überwölbt, während die mittleren von einer Tonne überfangen sind.

Quadrat und Kreis sind symbolische Formen, die die Erde und den Himmel repräsentieren. Die Zahl vier symbolisiert den Raum, die drei gemahnt an die Dreifaltigkeit. In der Cattolica in Stilo wird Glaube und Spiritualität in Geometrie und Zahlen gegossen. Der Kirche waren mehrere Kirchen untergeordnet, außerdem besaß die Cattolica ein Taufbecken, aus dieser besonderen Position heraus, lässt sich der Name erklären.

Eine Legende aus Stilo

Den vier Säulen der Cattolica sieht man deutlich an, dass sie wiederverwendete Baumaterialien sind, die wahrscheinlich von zerstörten, antiken Gebäuden aus der griechischen Stadt Kaulonia stammen. In Stilo wird erzählt, dass vier jungen Frauen aus der Gegend, die Säulen bis zur Baustelle der Kirche geliefert hätten. Sie sollen sich die tonnenschweren Steine mir nichts dir nichst auf die Schulter geladen und sie dann leichtfüssig von der Küste auf den Berg getragen haben. Man möchte sogar beobachtet haben, dass die jungen Frauen leise singend und tanzend, ihre schwere Last befördert hätten. Glauben versetzt halt Berge!

Ritzspuren an einer Säule werden heute als Inschriften in arabischer Sprache interpretiert: “ La Ila ha Illa Alla h wahdahu, es gibt keinen Gott außer Gott allein und Lilla hi al Hamdu, Gelobt sei Gott. Wann die Inschriften an die Säulen gekommen sind, ist unklar. Vielleicht waren sie schon in die Säule geritzt, bevor diese von einem tanzenden Mädchen, zur Cattolica transportiert worden ist. Vielleicht wurde die Kirche aber auch für kurze Zeit von islamischen Eroberern als Gebetsraum genutzt.

Der Innenraum der Cattolica war wahrscheinlich ganz und gar mit heiligen Bildern ausgemalt. Aber heute sind an den Wänden nur Reste der Ausmalung zu sehen. Denn der scharfe Zahn der Zeit hat auch die Cattolica benagt. Leider ist es ziemlich schwierig zu erkennen, welcher Heilige dargestellt ist. Häufig lassen sich nur anonyme kirchliche Amtsträger erkennen. Aber ein sehr streng dreinblickender Kirchenlehrer Johannes Chrysostomos und ein heiliger Nikolaus lassen sich dann doch entdecken.

Ein enger Hinterhof in Stilo Italien.
Irgendwie doch stimmungsvoll. Ein Hinterhof in Stilo

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Am Ende Schweigen

Die Cattolica in Stilo ist eines der bedeutendsten Denkmäler der byzantinischen Epoche in Kalabrien. In Rossano steht die Kreuzkuppelkirche San Marco, ein ebenfalls bedeutendes Bauwerk aus dieser Zeit. Santa Severina in der Provinz Crotone war eine wichtige byzantinische Stadt. Aber es ist schon erstaunlich, wie bruchstückhaft und fragmentiert die byzantinische, arabische und antike Vergangenheit physisch in Kalabrien vorhanden ist.

Wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass nutzlos gewordene Bauwerke vergangener Epochen einfach abgerissen und in Neubauten wiederverwendet wurden. Naturkatastrophen wie Erdrutsche und Erdbeben haben dazu beigetragen, das Erbe der Vergangenheit zu verschütten, die Gewalt von Krieg und Eroberung dazu es zu zerstören.

Was bleibt? Der Rückweg auf die Piazza. Hinsetzen im Schatten der Kirche San Franscesco und schweigen. Die weisen Männer dort haben recht. Mehr gibt es nicht zu tun.