Trani – Città slow
Als ich einer Freundin, die als Reiseleiterin in Apulien arbeitet, erzähle, dass ich nach Trani führe, rümpfte sie die Nase und sagte: “Trani, oh Gott, da haben sie mir am Hafen einen Bus abgebrannt.“ Dieses traumatische Ereignis muss lange her sein, denn der schlechte Ruf, den Trani hatte – übrigens neben vielen anderen malerischen Städten an der apulischen Adriaküste – , nämlich ein brandgefährliches Räubernest zu sein, ist verflogen.
Ebenso sind die Zeiten, in denen elegant betresste italienische Poliziotti diskret äußerst wagemutigen Reisenden hinterher schlenderten, um jenen schreckliche Übel und sich selbst todlangweilige Schreibtischarbeit, nämlich Diebstahlprotokolle schreiben, fernzuhalten, Tempi passati. Irgendwann muss sich in Apulien einfach rumgesprochen haben, dass es lukrativer und einfacher ist, die Reisenden davon zu überzeugen, ihr Geld freiwillig an irgendeiner Kasse abzuliefern, als es ihnen gewaltsam oder mit Feuer zu entreißen. Die stetig wachsende Bedeutung des Tourismus als Wirtschaftsfaktor haben den Altstädten Apuliens tatsächlich Sicherheit gebracht und ihnen Lebensqualität zurück gegeben.
Allerdings kommen mir die Altstädte Apuliens trotz dieser Aufwertung häufig erstaunlich leblos und blutleer vor. Ihnen ist der Alltag, das alltägliche Leben abhanden gekommen. Als ob irgendein geheimnisvolles Virus die Bewohner dahin gerafft habe. Diese gespenstische – aber auch erholsame – Ruhe der Altstädte steht in scharfem Kontrast zum lärmigen Verkehrschaos der mit Autos verstopften Neustädte und den nervenaufreibenden Staus auf den Schnellstraßen. Ja, wer sein Leben lang im Stau steht, der kann die Altstädte eben nicht bevölkern. Oder es ist einfach so: in den Neustädten leben die Bürger einer Stadt. Die Altstädte aber gehören den Touristen und Restaurantbetreibern.
Hier ticken die Uhren anders
Wie auch immer. Trani ist auf jeden Fall eine Città slow. Gewitzt wie Stadtmarketing hier auf der in Italien eingeführten Marke Slow Food aufbaut und das Italienische auf das schönste mit dem Englischen zu einem Begierde entfachenden Neologismus verschmilzt. Città slow! Ganz weiches “Sch“, ganz langes “O“. Wer da am traumschönen Hafen der zauberhaften Stadt Trani nicht sofort die Seele baumeln lässt, ist ja wohl selber Schuld.
Città slow ist ein Konzept, das es nicht nur in Trani gibt. 236 Städte in über 25 Ländern haben sich zu einem Netzwerk von Städten zusammengeschlossen, “in denen das Leben gut ist“.
Eine Città slow, das ist “eine Stadt, in der Menschen leben, die neugierig auf die wiedergefundene Zeit sind, die reich ist an Plätzen, Theatern, Geschäften, Cafés, Restaurants, Orten voller Geist, ursprünglichen Landschaften, faszinierender Handwerkskunst, wo der Mensch noch das Langsame anerkennt, den Wechsel der Jahreszeiten, die Echtheit der Produkte und die Spontaneität der Bräuche genießt, den Geschmack und die Gesundheit achtet…“ zitiert die Website des deutschen Netzwerks das Città slow Manifest. Handwerkskunst, Entschleunigung, Echtheit … geht mehr Nostalgie?
Bei meiner kurzen Stippvisite in Trani – leider nur ein viel zu kurzer eiliger Nachmittag – konnte ich nicht überprüfen, ob all diese Aspekte einer Città slow in Trani wirklich zu finden ist. Aber ich habe 5 Unternehmungen mitgebracht, die Du in Trani auf jeden Fall erleben solltest.
Der Hafen von Trani: Einfach nur gut leben!
Ich habe auf jeden Fall lange am Hafen gesessen und dort angemessen langsam meine Lebenszeit einfach so verstreichen lassen, dabei sind mir für einen so kleinen und irgendwie menschenleeren Ort, wie Trani, erstaunlich viele menschenleere Cafés und Restaurants aufgefallen. Vor einem dieser Cafes habe ich einsam auf der sonnigen Piazza gesessen und einen fantastischen Aperitif genossen. Mittags trinke ich noch keinen Alkohol. Also wurde es nur ein Crodino analcoolico, aber dazu wurden in der Mikrowelle aufgewärmte Stuzzichine – diese herrlichen butterigen Blätterteig-Teilchen gefüllt mit Bockwurstschnipseln, Schmelzkäse und anderen Kalorienbomben – serviert. Hüftgold pur, ein sündiges Fest für den Gaumen.
Vor meiner Nase dümpeln unzählige, kostspielige Segeljachten im milchig-grünen Wasser der Adria. Ihre hohen Masten wiegen sich rhythmisch in der sanften Brise. Toll! Der verträumte Hafen von Trani ist eine prächtige Kulisse, um die Mittagszeit genüsslich verschnarchen zu lassen. Doch es gibt auch Menschen, die in dieser tiefenentspannten Atmosphäre arbeiten müssen. Etwas weiter, die Kaimauer entlang, erspähe ich Fischer, die anscheinend ihren frischen Fang verkaufen. Das möchte ich mir gerne näher anschauen.
Meeresfrüchte essen – Zum Beispiel Linguine ai Ricci di Mare
Aber so weit komme ich gar nicht, denn auf der Speisekarte eines dieser Restaurants in AAA-Lage, also mit fantastischem Blick auf den immer noch verträumten Hafen von Trani voller Bötchen, die unter der Mittagssonne dösen, entdecke ich Linguine ai Ricci di Mare. Nudeln mit Seeigel! Das wollte ich schon immer mal verkosten. Noch sind alle Tische leer. Ist das wirklich eine gute Idee, schießt es mir durch den Kopf. Aber dann setze ich mich doch vor eine Batterie von Weingläsern und gestärkten Servietten.
Sofort ist ein messerscharfer Kellner zur Stelle, der eilfertig meine Bestellung aufnimmt und nebenbei noch meine brennendste Frage beantwortet. Warum gibt es so viele Restaurants, aber fast keine Gäste? Die Antwort ist so simpel, da hätte ich auch drauf kommen können. Es ist ganz einfach die falsche Zeit. Nachsaison, unter der Woche, zur früh am Mittag. “Komm am Wochenende wieder“, rät der Kellner, “dann solltest Du zum Mittagessen aber reservieren.“
Die Linguine ai Ricci di Mare sind übrigens fantastisch. Wonach schmecken sie? Tja, wie soll ich das beschreiben. Sie schmecken so, wie die sanfte Adria-Brise duftet, nach Meer, nach Salz, nach Sehnsucht.
Mach einen Altstadt-Spaziergang! Es gibt viel mehr zu entdecken als die Kathedrale von Trani
Natürlich bin ich nicht wegen Città slow oder Seeigel Nudeln nach Trani gekommen. Mich hat der Ruf der Kathedrale von Trani hierher gelockt. In manchen Reiseführern wird San Nicola Pellegrino als “Königin der Kathedralen“ beschrieben. Da wollte ich hin. Aber nun bin ich schon ganz glücklich mit meinen banalen Mikro-Erlebnissen am Hafen von Trani. Zum Glück öffnet die Kirche erst am Nachmittag, deswegen habe ich noch Zeit durch die Altstadt von Trani zu schlendern.
Direkt am Hafen kann ich die umwerfend schön dekorierten Apsiden der Kirche Ognisanti bewundern. Auch die Vorhalle der Kirche beeindruckt mit mächtigen romanische Formen. Leider ist die Kirche baufällig und geschlossen. Schade! Eine Straße mit dem Namen Giudecca führt durch das mittelalterliche jüdische Viertel. Die talentierten jüdischen Seidenweber waren maßgeblich für den Wohlstand der Handelsstadt Trani verantwortlich, bis sie durch die antisemitische Politik der spanischen Vizekönige aus der Stadt vertrieben wurden. Bemerkenswert ist natürlich auch das große staufische Kastell, das sich direkt an der Küste erhebt.
Die malerischen Gässchen und Plätze sind mit diesem harten, weißen Stein aus Trani gepflastert. Unzählige Sohlen haben dieses glänzende Pflaster über Jahrzehnte – oder sind es doch Jahrhunderte – so blank gewienert, dass die Stadtregierung unerfahrene Touristen eigentlich vor Rutschgefahr warnen müsste. Fast hätte ich mich auf diesen spiegelglatten Steinen nämlich auf meinen Hosenboden gesetzt.
San Nicola Pellegrino – Die Kathedrale von Trani
Und plötzlich stehe ich vor San Nicola Pellegrino. Die Kathedrale von Trani ist ein mächtiger Trumm, dennoch scheint sie wie ein Wunder über der in “50 shades of blue“ leuchtenden Adria zu schweben.
Welch Wunder muss aber ein Heiliger vollführen, damit ihm eine solche Kirche errichtet wird. Ich schlage in Stadlers Heiligen Lexikon nach und erfahre dort, dass Nicolas Lebensgeschichte “voll abgeschmackter Fabeln“ sei. Am besten gefällt mir die, dass Nicola von griechischen Mönchen an – Händen und Füßen gefesselt – ins Meer geworfen worden sei. Ein Delphin habe sich seiner erbarmt und ihn auf seinem Rücken bis an die Küste Apuliens getragen. Die Heiligengattung, der San Nicola Pellegrino entspringt, heißt übrigens nach dem Paulus Wort “wir sind Narren um Christi Willen“.
Die Kathedrale von Trani ist ein Musterbeispiel für die apulische Romanik. Ende des 11. Jahrhunderts wurde mit dem Bau an einem Ort begonnen, der schon in vorchristlicher Zeit eine Kultstelle war. Davon zeugt die Grotte von San Leucio unterhalb der Kirche Santa Maria della Scala, über der dann die Kathedrale von Trani errichtet worden ist. Also 3 Kultgebäude übereinander, so lässt sich also die ungewöhnliche Höhe der Kathedrale erklären.
Schau Dir die Kathedrale auch von außen an!
Die Fassade ist beeindruckend glatt, sie wird durch Fenster und Portale gegliedert, in deren Anordnung sich ein Kreuz erkennen lässt. Ich steige die breiten Treppen zum Eingang hinauf und bleibe fasziniert von dem Figurengewimmel am Portal erstmal draußen stehen. Fressen oder gefressen werden, scheint hier ein wichtiges Thema zu sein.
Ein Löwe hat sich über einen Mann geworfen und wird den armen Kerl wohl verspeisen. Ein Vogel hackt seinen spitzen Schnabel in die Ferse seines verzweifelten Opfers. Ein weiblicher Kentaur mit welken Brüsten hat schon einen Hasen erlegt und greift – vielleicht für den Nachtisch – nach einer Traubenrebe. Oder stehen die Reben symbolisch für den Wein des Abendmahls und der Hase für die Verzagtheit im Glauben? Aber besonders gerne möchte ich verstehen, warum ein Löwentier seinen erbeuteten Fisch, wie einen enormen Phallus zwischen den Hinterbeinen hält. Aber dafür reicht meine schmale Fantasie nicht aus.
Vergangenheit kommt halt nie wieder
So überreich das Portal geschmückt ist, so nüchtern ist der Innenraum der Kathedrale von Trani. Ganz ehrlich, so viel protestantische Ästhetik hätte ich im heißblütigen Apulien nicht erwartet. Die Dimensionen des dreischiffigen Innenraums sind gewaltig. In einem schönen Rhythmus gliedern antike Säulen und romanische Bögen den großartigen Raum. Aber die Säulen sind beschädigt, die Kapitelle abgeschlagen. Die Ausstattung des Innenraums ist einer gewalttätigen Restaurierung des 20. Jahrhunderts zum Opfer gefallen, die das Echte und Ursprüngliche zum Vorschein bringen wollte und nur ein nekrotisches Skelett “so könnte es mal gewesen sein“ freigelegt hat. Vergangenheit! Mehr als ein kaputter Überrest, kommt eben nie zurück.
Tatsächlich möchte ich auch gar nicht wissen, wie diese Zeit ausgesehen hat, in der genervte Bürger der Stadt Trani erst den Herr erbarme Dich brüllenden Nicola Pellegrino mit Stöcken und Stangen totgeschlagen haben, weil sie sein ohrenbetäubendes Kyrie Eleison nicht mehr hören wollten, um ihm dann diese prächtige Grablege zu errichten. In der Krypta der Kathedrale von Trani haben sie ein modernes Bild San Nicola Pellegrinos aufgestellt. Sieht aus, wie ein junger Mann, Typ Schwiegermutters Liebling. Dem kann man doch kein Härchen krümmen.
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Außerdem: Mach ein super Foto der Kathedrale von Trani
Am Hafen entlang schlendere ich Richtung, Villa Communale, dem Stadtpark. Ich habe gehört, von der anderen Seite des Hafens soll es den besten Blick auf die Kathedrale von Trani geben. Ich wandere unter Steineichen an spielenden Kindern und schwatzenden Menschen vorbei und steige eine ehemaligen Bastion hinauf. Und tatsächlich, der Blick auf die Kathedrale, über den Hafen und die Adria ist fantastisch schön. Dieser kleine Umweg hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Die Villa Communale ist leider auch Standort eines kitschig, pathetischen Denkmals, das an die Kriegstoten der Weltkriege erinnert. Gemeißelt wurde es in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts während des italienischen Faschismus. Eine ziemlich strenge Frau – vielleicht ist es die Personifikation der Italia, schaut in den Himmel hinauf – während zu ihren Füßen ein leicht bekleideter junger Mann qualvoll verendet. Wer möchte das schon sehen, also lieber ganz schnell weg geguckt. Vollendet sich in diesem Denkmal das Muttersein , als hartherzige, kontinuierliche Produktion todesmutigen Kanonenfutters für die nationale Sache? Besonders verstörend ist die Abwesenheit jeglicher Mitmenschlichkeit und der Emotion Trauer. Wären doch normale Reaktionen – oder?
Etwas weiter das Meer entlang hinter einem kleinen Amusement-Center entdecke ich dann noch ein weiteres Schätzchen von Trani. Ein Wohnhaus direkt am Meer. Gestaltet aus den geometrischen Grundformen Dreieck, Quadrat und Kreis. Was für schöne Dinge sich doch aus Beton herstellen lassen. Was für eine entzückende Begegnung mit der Eleganz der Moderne. Hier muss meine Reise in die Vergangenheit also enden. Gegenwart, Du hast mich wieder.