Auf den Weg in den Norden Amsterdams
Heute bin ich auf dem Weg in den Norden Amsterdams, an die andere Seite des Flusses Ij. Auf Roos‘ Fahrrad kreuze ich die Straßen entlang der Grachten. So wie sie geformt sind, scheinen sie zu lächeln. Mein Grinsen passt ganz gut dazu. So sause ich meinem ersten Ziel entgegen: Der Rückseite des Hauptbahnhofs Centraal Station. Dort sind die Fähr-Stationen. Sie bringen einen mit der kostenlosen Ijveer ans andere Flussufer.
Von hier sehe ich schon das niederländische Filminstitut. Ein atemberaubend schöner Bau, ein toller Ort und ein Dreifach-Wortwitz. Denn das EYE beschäftigt sich mit der Kunst bewegter Bilder. Sein Name erinnert an den Fluss „IJ“, der Amsterdams Norden vom Grachtengürtel trennt. Dann sieht das Bauwerk auch noch aus wie ein Auge. Da hat einer mal an alles gedacht. Das gefällt mir.
Normalerweise bleibe ich beim EYE hängen. Oder auf den Stufen davor. Und genieße den ungewohnten Blick auf meine momentane Lieblingsstadt. Heute nicht. Ich will mir anschauen, was mit diesem Bezirk im Wandel passiert. Früher trug Noord den Spitznamen „Noord gestoord“ (gestörter Norden). Denn hier, so erzählt mir meine Freundin Renske, wurden „die Verrückten“ untergebracht. Auch sonst war Noord eine triste, ärmliche und auch sozial schwache Gegend. Rau. Viel Industrie. Seit ein paar Jahren wächst Noord in alle Richtungen. Aus ehemaligen Werkskantinen wurden trendige Restaurants, aus leerstehenden Lagerhallen Veranstaltungsorte für Kunst und Kultur. Wochenmärkte, Flohmärkte. An den Rändern und im historischen Teil von Noord ist es ruhig, fast dörflich.
Kräne ragen in den Himmel. Der Klang von Steinsägen zerschneidet die Luft, überall lautes Klopfen und Hämmern. Es wird gebaut. Und zwar nicht zu knapp. Denn knapp, das ist das Stichwort. Die Wohnungsverhältnisse in Amsterdams alter Innenstadt sind beengt, sämtliche verfügbare Fläche ist ausgeschöpft. Die alte Bausubstanz innerhalb des Grachtengürtels hält sich wacker auf ihren Holzpfählen. Wunderschön anzusehen. Millionenfach fotografiert. Doch drinnen sieht es oftmals anders aus. Enge Wohnungen mit schrägen Grundrissen. In vielen Häusern, und seien sie noch so sauber, kommt es immer wieder zu Mäuseplagen. Die Frage, welche Köder am wirksamsten sind, wird sogar auf Dinnerpartys ventiliert. Amsterdams Anziehungskraft hat absurde Ausmaße angenommen, die Preise für Miet- und Kaufimmobilien sind entsprechend hoch. Ein Bekannter erzählte mir im Zuge meiner Recherchen von einer regelrecht zentralistischen Tendenz. Selbstverständlich hat jedes Unternehmen von Rang und Namen hier seinen Stammsitz, oder wenigstens eine Dependance. Dazu kommt, dass immer mehr Leute, die in anderen Städten arbeiten, zumindest hier wohnen wollen. Wohin mit all den Pendlern, wohin mit all den Fans und Liebhabern? In Noord habe ich ein Déja-vue. Das Monster Namens Gentrifizierung zwinkert mir keck zu und zieht entschuldigend die Schultern hoch, bevor es sich flink meinem Blickfeld zu entziehen versucht.
Wie war das? Erst kommen die Künstler, dann die Yuppies und die Hipster. Und dann: die Townhouses und Gated Communities. In meiner Wahlheimat Berlin wird mir auch nach all den Jahren immer noch ganz blümerant, wenn ich diese Art von Neubauten sehe. Den pseudo-schicken Einheitslook. Hohe Fenster, französische Balkone, loftig loftig, in jede Filet-Ecke passt noch eine Premium-Immobilie. Die gesichtslosen Kästen robben sich von hinten an Konzerthallen und Clubs, an Biergärten und Kreuzungen, an Parkränder und Brachen. Ihre Verdrängungskraft scheint unaufhaltsam. Exklusivität ist das neue „eng“.
In Amsterdam lieben sie die „Berlin-Atmosphäre“. Mit diesem Wort haben meine Freunde Renske und Annemieke die Häufung improvisierter Orte für Kunstschaffende, Flohmärkte, Kulturveranstaltungen und neuer, hipper Restaurants, gern umschrieben. Nur ist das Phänomen der Gentrifizierung ja längst Teil der Atmosphäre in der deutschen Hauptstadt. Und Gated Communities finden sie genauso gruselig wie ich.
Von Nicola Chadwick, der Betreiberin des Blogs ILOVENOORD wollte ich wissen, wie sie die jüngsten Entwicklungen in ihrem geliebten Bezirk einschätzt. Sie engagiert sich für ein buntes, lebendiges und vor allem bezahlbares Noord. Sie bejaht, dass viele langjährige Bewohner Angst vor explodierenden Mieten und Verdrängung haben. Doch ILOVENOORD ist stark. Und trägt viel dazu bei, Leute zusammenzubringen und den eigenen Lebensraum aktiv mitzugestalten.
Ich bin sehr gespannt, welche Zugkräfte die künftige Entwicklung dieses Stadtteils bestimmen werden. Und schaue bei meinem nächsten Aufenthalt in Amsterdam sicher auch wieder hier vorbei.
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Service Amsterdam Noord
Am 14.4.2015 hatte NOORD Premiere, ein 4-minütiger Film von Maria Smeets über den Norden Amsterdams. Wer sich selbst intensiver mit Amsterdam-Noord beschäftigen möchte, findet auf dem Blog ILOVENOORD alles, was das Herz begehrt.