Urlaub & Arbeit, geht das?
Winterblasse, erwartungsfrohe Gesichter im Flieger nach Puerto Escondido. Auch meines ist darunter. Was erwartet mich? Was erwarte ich? Und wer ist „ich“? In der kleinen Stadt, deren Name „versteckter Hafen“ bedeutet, wird es diesen Winter zwei Kirstens geben. Die eine genießt lange Strandspaziergänge bei Sonnenaufgang, schlürft Kokosnuss und Ananas unterm Sonnenschirm und studiert die feine Nuancierung pazifischer Sonnenuntergänge. Wobei die Sonne hier nicht gemächlich untergeht, sondern binnen weniger Minuten ins Meer plumpst, um im Nachspiel 50 Shades of Pink zu geben.
Die andere Kirsten schleppt ihren Laptop wie ein Wünschelroutengänger durch den Ort. Sie hat Termine via Skype und den Blick auf der Uhr, immer auf der Suche nach halbwegs stabilen WLAN-Balken. Dabei verbraucht sie tubenweise Mückenspray und züchtet dort, wo normalerweise das Zentrum ihrer Konzentration sitzt, einen wahren Ohropax-Bollen. Wie kann das sein? Und wieso befinden sind die beiden Seelen – ach – in einer Brust in dieser luxuriös absurden Lage?
Puerto Escondido – The place to go
Ich folge dem Lockruf eines Freundes: Puerto sei der perfekte Ort. Okay, findet auch die NY Times. Ich bin nach einigen Jahren Berliner Winter einmal mehr bereit für eine kleine Pause vom Kontinentalklima. Reisen und Entdecken mag ich immer. Entonces: ¡Vale!
Allein um die Strände der 25.000-Einwohner-Stadt Puerto Escondido zu entdecken, braucht es eine Woche. Ein paar Minuten Fußweg von meiner Unterkunft entfernt, am Fuße eines Steilhanges, liegt der kleine Playa Coral, der in offiziellen Aufzählungen gar nicht auftaucht. Er liegt im Westen von Puerto Escondido, gleich neben Playa Bacocho. Und im Gegensatz zu dem 1,4 Kilometer langen Traumstrand mit betörender Brandung und dramatischer Strömung kann man hier gut schwimmen. Der einsame Coral avanciert sofort zu „meinem“ Hausstrand, in schöner Regelmäßigkeit ziehe ich hier meine Bahnen.
Je weiter man nach Osten kommt, je belebter werden die Strände. Bereits am Playa Carrizalillo tummeln sich die Hippen und Schönen. Lernen Surfen, bräunen sich beim Stand up Paddling von allen Seiten und versuchen sich beim Schnorcheln im 25° warmen Wasser abzukühlen. Das funktioniert sogar begrenzt, denn an Land ist es deutlich heißer.
Hitze schlägt Alltag, Lärm schlägt Konzentration
Es ist Februar. Morgens um 9h klettert das Thermometer bereits über 30°C. Zu der Zeit haben sich Baulärm und scheppernde Klänge aus freistehenden Lautsprechern bereits richtig eingesungen. Meine Unterkunft, ein dreigeschossiges freistehendes Haus, lockt mit einem tollen Blick aufs Meer. Vom Dach aus gibt es freien Blick auf den Pazifik vor Bacocho. Das ist alles in echt genau so wie beworben und einfach wunderschön.
Der Rest ist – interessant. Zwischen Sonnenauf- und -untergang regiert mexikanischer Frohsinn vorwiegend in Form von Lärm. Kakophonischer Cultureclash. Vor dem Haus in Bacocho ein typisches Familienhotel mit Pool – und Dauerparty aus dem Radio. Direkt hinter unserem Grundstück eine Baustelle, auf der ohne Unterlass Stein geschnitten und mit einem Presslufthammer Beton zerkloppt wird. Es scheint, als würden auf dem Erdgeschoss gleichzeitig Stockwerke aufgebaut und abgerissen. Und zwar für immer. In Endlosschleife.
Die Suche nach einem Ort zum Arbeiten gestaltet sich anspruchsvoll. Bacocho ist ausgeschlossen, der beliebte Ortsteil in Flughafennähe wächst. Gebaut wird an jeder zweiten Ecke. Nächster Halt – Rinconada, in den Anfangsjahren von Puerto Escondido, in den 1960ern, Start- und Landebahn für Flugzeuge. Heute reihen sich an der schnurgeraden Straße Cafés und Restaurants an schnuckelige Appartmenthäuser.
Die LaptopKirsten probiert sich durch alle Etablissements. Lecker Essen und Trinken gibts zuhauf. Das ist nicht das Thema. Was fehlt, sind entweder freie Steckdosen oder der für digital nomadierende Kopfarbeiter überlebenswichtige Internetzugang. Natürlich gibt es auch Orte mit WLAN. Sie sind entsprechend beliebt. Das Geplärre von Radio und TV wird hier nur noch übertönt vom Gelächter der Urlaubenden, die fröhlich gegen diese multiple Klangkulisse anschreien. Recht haben sie mit ihrer ungebremsten Heiterkeit, sind ja auch alle in den Ferien.
Arbeiten am Strand?
Am Carrizalillo findet LaptopKirsten dann ein schattiges Plätzchen. Keine Mücken. Nach 70 Minuten ist der Akku alle. Also wieder nach Hause. Durch die Mittagshitze, um anschließend mit heißem Hirn und vollgestopft mit Ohropax in Morpheus‘ Arme zu sinken. Finito la fiesta – y siesta.
Das verzweifelte Ballett vollführen diese beiden Kirstens nach der morgendlichen Schwimm- und Laufroutine in unterschiedlichen Schleifen circa 12 Tage. Das Ortszentrum scheidet als Ort zum konzentrierten Arbeiten ebenfalls aus. Schließlich gibt die digitale Nomadin auf und die Entdeckerin flieht ins Landesinnere, nach Oaxaca. Spielstand zur ersten Halbzeit = Puerto: 1, Arbeiten: (gefühlt) 0.
Östlich von Carrizalillo schließen sich Playa Angelito und die Bahia Principal an, beide stark frequentiert von Einheimischen. Im flachen Wasser wird geplanscht, unter Sonnenschirmen gepicknickt. Von hier starten auch die Boote für szenische Küstentouren, auf denen man Schildkröten, Delfine und sogar Wale sehen kann. Ebenfalls am Hafen sitzt auch die ramponierte Meerjungfrau auf der noch ramponierteren Schildkröte, denen ich mich an lärmzermürbten „Arbeits“Tagen besonders nahe fühle.
Der Star der Strandparade von Puerto Escondido ist die berühmte Playa Zicatela, deren „Mex Pipe“ dafür sorgte, dass der Ort in den späten 1950er Jahren von Surfern entdeckt wurde. Dass die mexikanische Rohrwelle eine solche touristische Welle nach sich zog verwundert nicht. Nur in Hawaii gibt es vergleichbar große Exemplare. La Punta rundet die Surf Hotspots ab, auch hier tummeln sich vormittags viele Surfnovizen mit ihren Lehrern.
Menschen, Märkte, Mahlzeiten
Was bleibt? Eine zweite Halbzeit, die ebenfalls diktiert wird von der Suche nach Schatten und Stille. Dazu Entdeckungstouren durch einen jungen Ort, der viel erzählt über den Pragmatismus und die Herzlichkeit seiner Bewohner. Beim Tlayudas Futtern in Zicatela bittet mich ein einheimisches Paar an ihren Tisch. Sie sind schon lange zusammen, das merke ich. Trotzdem strahlen sie einander an und necken sich wie verliebte Teenager.
Ob ich die Tlayudas nicht nach Deutschland bringen wolle, wenn sie mir so gut schmecken, fragt der Mann. Sofort, entgegne ich, nur bräuchte ich dafür in jedem Fall die frischen Originalzutaten. Er nickt. Nachdem wir über den Export lokaler Spezialitäten sinniert haben, lädt er mich ein, ihn in der Markthalle zu besuchen. Ich solle nur nach ihm fragen, alle würden ihn dort kennen. Wieder kichert seine Frau, diesmal zustimmend.
Erneuter Themenwechsel. Auf einmal wird er ernst. Ob es in Deutschland auch Armut gäbe. Die Frage erstaunt mich. Armut ist ja relativ. Und auch in Deutschland natürlich Thema. Mein Übersetzungsprogramm läuft heiß, wie sagt man Armutsbericht, Kinderarmut, Hatz IV und prekäre Arbeitsverhältnisse auf Spanisch? Dass in Mexiko viele Einheimische mehrere Jobs haben, sehr eigeninitiativ und erfinderisch sind, um sich hier und da noch ein paar Pesos (dazu) zu verdienen, habe ich schon festgestellt. Die pragmatische Geschäftstüchtigkeit ist schonungslos. Bis ins hohe Alter hinein bieten Straßenverkäufer Waren und Snacks für ein paar Pesos feil.
Die Frau zum Beispiel, die unsere Unterkunft putzt, bekommt für das ganze Haus nur 3.000 Pesos, also bummelig 14 Euro. Ich finde das erschreckend wenig. Gleichzeitig sind die Lebenshaltungskosten hier deutlich geringer als beispielsweise in Deutschland. Und auf dem örtlichen Markt gibt es lokales Obst und Gemüse für wenig Geld. Wir versuchen uns an einem Gespräch über Arbeit und Berufung, Heimat und Status, darüber, was man wirklich zum Leben braucht um sich reich zu fühlen. Stellen einvernehmlich fest, dass sich Deutschland und Mexiko nicht 1:1 vergleichen lassen. Wir sind uns einig: Das Leben ist und bleibt so kompliziert wie spannend. Nachdenklich und herzlich verabschieden wir uns voneinander.
Puerto Escondido – Was geht, was nicht?
So richtig Anker geworfen habe ich nicht – losgelassen schon. Es genossen, dieses große Land Mexiko teilweise zu bereisen, Mexiko Stadt zu sehen, Oaxaca und die Halbinsel Yucatan mit ihrem Kleinod Isla Holbox. Es war auch toll sich für einige Wochen einmal dem Zwang, permanent etwas erleben zu müssen, zu verweigern. Für einen ganzen Monat an einen fremden Ort zu gehen, dort zu sein – und auch zu bleiben. Das ist eine gute Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Doch was ist nun mit dem Spirit der digitalen Nomaden in Puerto Escondido, taugt der Surfer- und Beachort als Station für eine „Workation“?
Für Surf- und Tauchlehrer mit Sicherheit. Wessen Arbeitskleidung die Badehose ist, der behält auch bei heißen Temperaturen einen kühlen Kopf. Oder braucht ihn nicht so sehr wie jemand, der sein Geld hauptsächlich durch Nachdenken verdient. Auch Menschen, deren Gehirn jenseits feuchtwarmer 30° Celsius noch funktioniert, dürften sich hier wohlfühlen. Zum Testen empfehle ich, einfach mal mit dem Rechner in eine Biosauna zu gehen.
In jedem Fall sollte man vor der Reise seine eigene Betriebstemperatur mit dem vorherrschenden Klima abgleichen. Alternativ könnte man vielleicht auch einfach hinfahren, sich in die Badeklamotte werfen – und den Laptop mal zuhause lassen. Alles außer Kopfarbeit geht nämlich in der Tat fantastisch. Mein Workation-Experiment am heißen Pazifik endete (gefühlt) mit dem Spielstand | Puerto 2: Arbeit 0 | . Entonces: ¡Vale!