Auf zur Fotoparade
Seit 2017 nehme ich für den Autoren-Reiseblog Sirenen & Heuler, den ich mit meinen beiden Co-Autoren Lars Reimers und Lorenz Töpperwien betreibe, regelmäßig teil. Wenn du magst, stöbert doch gern auch durch die bisherigen Beiträge. Wie zum Beispiel Fotoparade 2017 mit Bildern aus Mexiko oder die bunte Mischung für die Fotoparade 2/2017 . Im Jahr darauf folgten ein Beitrag für die Fotoparade 1/2018 mit Schwerpunkt Australien und der für die Fotoparade 2/18, in denen ich die dänische „Südseeinsel“ Bornholm durch die Augen einer Fotoparade betrachterte.
Für dieses Mal habe ich einen Mix ausgewählt aus unterschiedlichen Licht- und Farbstimmungen, Nähe und Distanz, Destinationen und Jahreszeiten, poetisch und prosaisch. Was mir an den Kategorien von Michaels aktueller Fotoparade 2019 bei Erkunde die Welt dieses Mal besonders gut gefällt? Es sind die gegensätzlichen Begriffspärchen, die zu unterschiedlichen Sichtweisen und Blickwinkeln einladen. Entweder das eine, oder das andere? Oder beides? Oder keins von beidem? Was heißt überhaupt „schönstes Foto 2019“ für mich? Und überhaupt, ist 2019 ja noch in vollem Gange!
Das Unterfangen, sich hier auf nur einen Moment und ein Motiv festzulegen, ist zum Scheitern verdammt. Es kann für mich immer nur eine Annäherung bleiben. Eine formale Sache noch: Vor geraumer Zeit haben wir bei Sirenen & Heuler beschlossen, unser Fotoformat auf quadratisch umzustellen. Für diesen Beitrag breche ich die Regel in ausgewählten Fällen, in denen das Bild vor der Umstellung entstand – oder die Geschichte in dem anderen Ausschnitt besser erzählt.
Die Kategorien der Fotoparade 2019 #Fopanet
Was magst du mehr?
- “Stadtbild” oder “Landschaft”?
- “Tier” oder “Pflanze”?
- “Berge” oder “Meer”?
- “Fremdländisch” oder “einheimisch”?
- “Sonnenaufgang” oder “Sonnenuntergang”?
- “Schwarz-Weiß” oder “bunt”?
In 2019 war ich wenig auf Reisen, doch irgendwie auch viel unterwegs. Von meinen Kurztrips nach Stockholm, London, Wien, und Heilbronn habe ich schöne Erinnerungen und Fotos mitgebracht. In Dänemark und Schottland stand die Kamera nicht mehr still und einmal mehr frage ich mich, woher der Drang kommt, 108 Variationen der gleichen Dünenlandschaft aufzunehmen oder drölfundneunzig Bilder eines mit blühendem Heidekraut bewachsenen schottischen Munros (so nennen die Schotten Berge über 1000 ft). Was will ich denn hier eigentlich genau festhalten? So schön wie der Moment selbst ist kaum ein Foto.
1. Kategorie“Stadtbild” oder “Landschaft”?
Für mich persönlich ist dies ja die härteste Kategorie. Ich liebe Städtereisen und bewege mich sehr gern in (un)bekannten urbanen Zusammenhängen. Als bekennende und praktizierende Spezialisierungsverweigerin sauge ich in anderen Städten immer viel Inspiration auf und tanke so neue Energie. Wie funktioniert das öffentliche Verkehrs- und Ticketsystem hier? Was gibt es Kulinarisches zu entdecken? Wie ist die Stimmung auf den Straßen? Wie präsentieren sich die Museen und welche Sammlungs-Schwerpunkte setzen die einzelnen Häuser? Oh, ein schönes Programmkino, da geh ich rein! Und – wie ist das Ökosystem für Entrepreneurship, Changemaker und Macher*innen?
In ländlichen Gegenden wirkt die Umgebung ganz anders auf mich ein. Am meisten fasziniert mich die Weite, die sich von den kleinen Hügeln in der Dünenlandschaft aus besonders gut überblicken lässt. Je mehr Sauerstoff, desto hui. Hier herrscht das Gegenteil der urbanen Reizüberflutung. Am Meer mag „Reizklima“ herrschen, auf der Farbpalette dominieren meist selbstbewusst gedämpfte, sehr zurück genommene Töne.
Auf meinen Spaziergängen durch dänische Dünen stelle ich mir vor, wie die einzelnen Elemente der rauen Küstenlandschaft miteinander diskutieren, ob sie gegen flashige Stadtimpressionen anstinken können oder nicht. Es wird laut. Der Wind frischt auf, merkt kurz an, dass auf der London-Fotografie (s.o.) ja auch wenig rot zu sehen sei, und trägt die spinnerten Minderwertigkeits-Gefühle der nun immer leiser streitenden ländlichen Elemente souverän mit sich fort. Tja, wer seine Vorzüge im sinnlichen Erleben von Naturerfahrungen sieht, braucht vielleicht einfach keine Schminke.
2. Kategorie der Fotoparade 2019: „Berge“ oder „Meer“?
Sorry an alle Kraxler und Kletterer, an alle Bergwanderer und Gipfelstürmer. Das Ding ist eindeutig. Alles was höher ist als ein Deich, verursacht bei mir knackende Ohren. Dabei ist auch völlig unerheblich, ob ich zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs bin. Gegen Wind fahre ich, bis die Knie bersten. Lande ich auf einer Strecke mit Steigung, steige ich sofort ab. Was ich unbeschreiblich finde und zum Glück auch schon mehrmals erleben durfte, unter anderem im Mexiko und Neuseeland, ist ein Flug über Gipfel und Bergketten. Ganz nah, in einer einmotorigen Cessna. Un-be-schreib-lich.
3. Kategorie der Fotoparade 2019: “Tier” oder “Pflanze”?
Ich gebe es zu: In Schottland hätte natürlich auch ich gerne die berühmten Highland Cattle abgelichtet, die Schottland-Reisenden auf Postkarten, Kochschürzen, Kaffeebechern und in jedem Prospekt begegnen. Aber ich habe es nicht getan. Warum? An den zwei bis drei Orten auf der Isle of Skye, an denen sie straßennah, fast wie absichtlich neben Parkbuchten platziert unterwegs waren, ergossen sich komplette Busladungen vor dem Motiv und stritten um die besten Plätze in der ersten Reihe.
Puh. Auf sowas habe ich keine Lust – und beobachte die Tiere dann lieber entspannt aus der Distanz. Im Endeffekt wollen ja alle einfach schöne Erinnerungen an ihre Reisen, und das ist doch legitim. Dennoch muss ich anlässlich des Parkplatzgerangels in Schottland an die Bundesgartenschau in Heilbronn denken. Genauer, an die Stinkefinger-Pflanze. So habe ich sie für mich getauft. Ich finde sie wahnsinnig fotogen und muss schon beim Gedanken an sie albern kichern. Geht es dir ähnlich? Woran erinnert sie dich?
4. Kategorie „Fremdländisch“ oder „Einheimisch“?
Mit dieser Kategorie hatte ich anfangs so meine Schwierigkeiten. Was ist gemeint? Folklore versus Exotik? Und wenn ja, wie kommen Bilder und Zuschreibungen zustande? In 2019 beschäftigt mich das Thema fremdländisch, einheimisch vorrangig auf der Ebene von Zugehörigkeit. Im Zentrum dieser Betrachtung steht für mich die Frage, wo ich mich als wacher Geist und Reisender verorte, wie ich auf staatengemeinschaftliche Konstrukte von Ländern und Länder-Unionen blicke und wem ich mich auf welcher Ebene wie zugehörig fühle. (Wann) bin ich Dithmarscherin, Berlinerin, Deutsche, Europäerin, oder einfach Erdenbürger?
5. Kategorie „Sonnenaufgang“ oder „Sonnenuntergang“?
Stockholm ist ja auch eine von diesen Städten, deren Charme man gar nicht nicht verfallen kann. Für die Fotoparade 2019 habe ich zwei Winter-Motive ausgewählt, die zeigen, dass es sich auch in der dunklen Jahreszeit lohnt, skandinavische Städte zu besuchen, raus zu gehen und stimmungsvolle Momente zu zelebrieren. Hier kommen zwei Bilder des gleichen Tages, Morgen- und Abendstimmung.
Am Abend desselben Tages besuche ich das legendäre Eriks Gondolen, eine Cocktailbar mit Restaurant, mitten im Zentrum von Stockholm, 38 Meter über dem Meeresspiegel. Hier trifft der See Mälaren das Meer, hier trifft man sich. Der Blick ist atemberaubend, auch wenn in unmittelbarer Nähe eine Großbaustelle dominiert, die mich an die historische Transformation des Potsdamer Platzes erinnert. Sehr schick und trotzdem lässig.
6. Kategorie „Schwarzweiß“ oder „bunt“
Als ich Ende September 2019 in Wien war, kündigte sich der Herbst viel mehr durch kürzere Tage an, als durch niedrigere Temperaturen. Ich war auf einer Konferenz und irgendwie war es immer noch oder schon wieder dunkel. Mein Besuch auf dem legendären Wiener Prater fiel auf einen späten Nachmittag. Die Lichtstimmung war fahl, die Kontraste stark. Um den Effekt zu erzielen wie auf diesem Schwarz-Weiß-Foto, musste ich kaum noch Farbe rausziehen.
Meine Lieblingsbilder für die Fotoparade 2019
Mein absolutes Lieblingsbild 2019 nenne ich London Apocalypse. Es ist im März in Greenwich entstanden und besitzt in meinen Augen starke Symbolkraft. Es war an dem Wochenende, das Theresa May in dem ganzen Brexit-Hickhack schließlich den Rest geben sollte. Gleichzeitig fand die erste länderübergreifende #FridaysForFuture Demo statt. Der Mann und ich waren in Greenwich, auf der Suche nach der menschengemachten Zeit.
Greenwich ist ein tolles Ausflugsziel, gut über eine der Themsen-Fähren zu erreichen. Wir besuchten das Museum. Dann. Plötzlich: Von einer Minute auf die andere, zogen böse Wolken auf. Das Licht bekam diesen für bevorstehende Wolkenbrüche typischen schwefligen Ton, es wurde dunkel. Eine Szene wie aus Independence Day, kurz bevor sich die Raumschiffe der Aliens ins Bild schieben. Die Wolken, die sich teils schon abregnen, scheinen die Skyscraper der (bald ehemaligen) Finanzmetropole geradezu einzusaugen.
Das Titelbild für meinen Beitrag zur diesjährigen Fotoparade ist auf Orkney entstanden. Hier war während des Zweiten Weltkrieges ziemlich viel los, in den inselnahen Gewässern liegen viele Schiffswracks. Bald erscheint hier mein ausführlicher Bericht über meinen Besuch auf den schottischen Orkney Inseln. Wenn du magst, schau gerne wieder vorbei, hier gibt es jede Woche frische Geschichten vom Reisen und Unterwegs-Sein!