Lissabon ist so etwas wie die europäische Hauptstadt der Kacheln. Egal, ob blau-weiß oder bunt, ornamental oder figürlich verziert, historisch oder modern: Azulejos schmücken Hauswände, Brunnen, Kirchen, Klöster – und die Metro. Unser Lissabon Tipp: Mach die Azulejos zu deinem Stadtführer
Die Metro als Revival der Azulejos
Am Cais do Sodré sind die Hasen los. In großen Sätzen, eine Uhr in der Hand, lässt der Künstler Pedro Morais sie durch den U-Bahnhof hasten. Sie sehen nicht freundlich aus, eher hektisch, wie das weiße Kaninchen aus Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“. Die Leute, die hier warten und aus- und einsteigen, nehmen die Wanddeko kaum zur Notiz. Wir dagegen sind extra deswegen hier. Die überdimensionalen blauen Strichzeichnungen auf der weißen Kachelwand sind der Auftakt für eine Tour zu den modernen Azulejos – ein Lissabon Tipp nicht nur für Regentage.
In Gegensatz zu anderen Städten sieht die Metro in Lissabon sehr neu und erstaunlich sauber und geräumig aus. Hier muss niemand auf verschlungenen Wegen treppauf und treppab steigen wie in Paris oder London. Stattdessen sind Rolltreppen, Hallen und Gänge effizient angeordnet und Gedränge gibt es kaum. Das an sich ist schon eine Leistung. Die Azulejos, eine Art Streetart mit Kacheln, machen die U-Bahn zusätzlich zur Besucherattraktion.
Selbstverständlich ist das nicht. Als die Bauarbeiten an der Metro Mitte der 1950er Jahre begannen, galten Azulejos in Portugal als hoffnungslos piefig und verstaubt. Kein Künstler, der etwas auf sich hielt, wollte etwas damit zu tun haben – die Zeit der bunten Kacheln war einfach vorbei. Aber der Architekt der U-Bahn, Francisco Keil do Amaral, fand sie praktisch, weil sie gut isolierten und leicht sauber zu halten waren. Seine Frau, die Malerin Maria Keil, machte sich in den folgenden 25 Jahren einen Namen mit kleinteiligen Fliesenmustern. Die Dekorationen aus dieser Zeit sind geradezu ein Werkkatalog ihres Schaffens. Ganz nebenbei verhalf sie damit der Kunst der Azulejos zu neuer Blüte und Lissabon zu einer neuen Sehenswürdigkeit.
Lissabon Tipp: Metrofahrt als Kunstereignis
Zum Glück gibt es (noch) keinen touristisch vermarkteten Routenplan zu den Azulejos der U-Bahn. Deshalb gehört dieser Lissabon Tipp – ähnlich wie der Spaziergang auf den Spuren des Wassers von Lissabon – zu den wenigen, die nicht an Überfüllung leiden, und ich werde einen Teufel tun, hier bestimmte Strecken oder persönliche Highlights zu empfehlen. Am besten macht ihr es wie wir: Bringt Zeit mit, kauft euch ein 24-Stunden-Ticket, fahrt einfach drauflos und steigt aus, wo ihr euch näher umsehen wollt. Einen ersten, allerdings keineswegs repräsentativen Eindruck vermitteln die Bilder hier und am Ende dieses Beitrags.
Und wer mehr über die Kunst der Azulejos wissen will, besuche anschließend unbedingt das Museu Nacional do Azulejo. Denn wenn es ein Museum gibt, das viel über Lissabon erzählt, dann dieses. Zum Glück wissen die meisten das nicht – Gedränge gibt es hier an normalen Tagen ebenso wenig wie in der Metro.
Wie die bunten Kacheln nach Portugal kamen
Als die Mauren auf der Iberischen Halbinsel Fuß fassten, brachten sie etwas mit, das sie az-zulaiǧ nannten – glasierte Steinchen oder Kacheln. Nach Italien gelangen diese Keramikfliesen über den Umschlagplatz Mallorca und erhalten den Namen Majolika, in Frankreich heißen sie Fayencen nach der italienischen Stadt Faenza, in Spanien und Portugal wird aus dem arabischen Wort Azulejo, im Spanischen hart, im Portugiesischen verschliffen ausgesprochen: [ɐzuˈleʒu]. Beliebt sind die blau-weißen oder bunten Kacheln überall, aber in Portugal erreichen sie eine außergewöhnliche Qualität und Vielfalt.
Das Museu Nacional do Azulejo im Kloster Madre de Deus nicht weit vom Hauptbahnhof Santa Apolónia – ebenfalls der Standort eines ehemaligen Klosters – ist der Ort in Lissabon, der die Geschichte der Azulejos ganz wunderbar nacherzählt. Allein das Klostergebäude wäre einen Lissabon Tipp wert. Der größte Teil wurde beim großen Erdbeben von 1755 zerstört, doch der doppelstöckige Renaissance-Kreuzgang hat die Katastrophe trotz seiner zierlichen Säulengänge weitgehend unbeschadet überstanden.
Religiöse Kunst – erst geometrisch, dann malerisch
Dass das Museum in einem Sakralbau logiert, ist nur konsequent – die Kirche war einer der Hauptauftraggeber für Azulejos. Ganze Hallen schmückten die Kacheln aus, in der Frühzeit als Teppich aus geometrischen Mustern ähnlich den arabischen Vorbildern oder inspiriert von indischen Stoffen, später zunehmend mit Bildfeldern oder ganzen Figurenfriesen.
Der technischen Entwicklung widmet die Ausstellung gleich zu Anfang des Rundgangs einen eigenen Saal. Anfangs waren die Linien des Motivs kleine Grate, die verhinderten, dass sich die Farben vermischten. Im Lauf der Zeit verhinderte eine spezielle Glasur das Ineinanderlaufen der verschiedenen Farbtöne.
Im 19. Jahrhundert, mit der Erfindung des Siebdrucks, begann die Massenproduktion der Azulejos und mit ihr die Verbreitung auf ganze Straßenzüge und sogar Fabrikfassaden. Die großflächige Verwendung der Kacheln erschwert ihren Erhalt, und der Bestand ist zusätzlich dadurch bedroht, dass Azulejos mutwillig abgeschlagen und an Touristen oder sonstige Interessenten verkauft werden. Wer also – wichtiger Lissabon Tipp – auf der Suche nach Kacheln für sein Badezimmer ist, sollte sich dafür nur an zertifizierte Anbieter wenden.
Der Kunstraub betrifft auch die künstlerische Blütezeit der Kachelproduktion. Die fiel ins späte 17. und frühe 18. Jahrhundert und brachte Künstler wie Manuel dos Santos hervor. Er gehört zu dem sogenannten Kreis der Meister, die zwischen 1690 und 1725 den Ruf der Stadt Lissabon als Zentrum der Azulejos-Kunst begründeten. Das Museum zeigt sein Können in der Manuel-Halle, dem Hauptschiff der ehemaligen Klosterkirche, dessen Azulejos wahre Kachelgemälde mit Szenen aus dem Leben des Heiligen Franziskus wiedergeben.
Panorama von Lissabon
Das spektakulärste Ausstellungsstück des Museums, das sich übrigens auch gut in der Metro machen würde, ist das Panorama von Lissabon als fast 23 Meter langer Fries aus Azulejos. Das Besondere daran: Die Ansicht entstand um 1700, also vor dem verheerenden Erdbeben von 1755, das mit einem Tsunami einherging und die Stadt fast komplett zerstörte. Allein dieses Kachelbild macht das Museu Nacional do Azulejo zum ultimativen Lissabon Tipp.
Die Naturkatastrophe war so gewaltig, dass sie den Flusslauf des Tejo veränderte. Der Torre de Belém, eines der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt, erhebt sich heute am Tejo-Ufer. Ursprünglich stand er mitten im Fluss, wie ein Blick auf das historische Panorama verrät. Dagegen lag der massige Klosterbau des Mosteiro dos Jerónimos, ebenfalls ein Publikumsmagnet, ehemals näher am Flussufer als heute.
Die Stadtansicht zeigt Lissabon auf einer Länge von 14 Kilometern aus der Vogelperspektive. Hinweisschilder erläutern, was zu sehen ist und welche Gebäude noch stehen oder wiederaufgebaut wurden. Wer sich ein bisschen in der Topografie der Stadt auskennt, kann hier sein Wissen testen.
Was diesen Lissabon Tipp so spannend macht, sind die unzähligen Details, die sich auf den Kacheln entdecken lassen und die viel über den Alltag Lissabons erzählen. Da ist zum Beispiel das Viertel Mocambo, das heute Madragoa heißt. Der historische Name ist ein Bantu-Wort und bedeutet in etwa „Zufluchtsort“. Hier lebten Afrikaner aus der ehemaligen portugiesischen Kolonie Angola, die sich offenbar auf die Keramikherstellung spezialisiert hatten. Das lassen jedenfalls die drei konischen Schornsteine mit ihren dunklen Rauchschwaden vermuten.
Natürlich spielen in der Hauptstadt einer Seefahrernation Schiffe eine wichtige Rolle. Die Azulejos zeigen gleich mehrere Werften und Hafenanlagen, darunter auch die königlichen Docks, die ihre Ursprünge im späten 15. Jahrhundert hatten. Auch ein Markt mit langen Verkaufstischen ist zu sehen. Nicht weit davon entfernt, am östlichen Rand des Stadtpanoramas, steht das Mosteiro da Madre de Deus, heutiger Standort des Azulejos-Museums – und des Betrachters.
Zurück in die Metro
Wer nach dem Museumsbesuch mit der Metro fährt, wird die Azulejos mit anderen Augen sehen. Zur Einstimmung gibt es unten ein paar weitere Impressionen. Kunst in der Metro gibt es auch in der Metro dell‘ Arte – Die Kunstmetro von Neapel. Und wer jetzt mal auf ganz andere Gedanken kommen will: Hier gibt’s Tipps zum Alternativ shoppen in Lissabon.