Als wir in Furnas losfahren, scheint noch die Sonne. Ein paar Kilometer weiter, auf den Höhen des Gebirgsmassivs der Serra Água de Pau, verschluckt uns dichter Nebel. Dann fällt die Straße zur Nordküste wieder ab, in Richtung Porto Formoso. Der Wolkenvorhang reißt auf, öffnet dem Sonnenlicht eine Lücke und enthüllt eine dramatisch beleuchtete Azoren-Szenerie: eine Steilküste mit weißen, geduckten Häusern, grasende Kühe auf saftigen Weiden und eine graublaue See im bedrohlichen Dunst einer Gewitterfront. Direkt vor uns, mitten in diesem verrückten Wetter, das sogar noch einen Regenbogen an den Himmel haucht, wächst Europas einziger Tee.
Zwei Teegüter gibt es auf São Miguel: die größeren Teeplantagen von „Chá Gorreana“ und, gleich daneben, jene von „Chá Porto Formoso“. Um ganz ehrlich zu sein: Auch in Truro im englischen Cornwall wächst Tee, aber die Pflanzung ist so klein, dass sie nicht ins Gewicht fällt. Für die Azoren spricht zudem das ozeanisch-subtropische Klima: Uns als Besuchern kommt das Wetter zwar manchmal unberechenbar vor, doch sorgen überwiegend trockene Sommer und frostfreie Winter dafür, dass auf den Inseln auch exotische Pflanzen gedeihen.
Auch dem Tee gefällt es hier – er schmeckt genauso mild und ausgeglichen wie das Klima. Aber mal abgesehen vom Geschmack: Weil niemand mit Teeplantagen in Europa rechnet, ist allein schon ihre Existenz ein touristisches Ereignis. Kein gewaltiges, wie die geringen Dimensionen des Parkplatzes vor dem Teegut Chá Porto Formoso verraten, aber doch eines, das die Vermarktung lohnt. An der weiß getünchten Mauer des Grundstücks verrät ein Teekessel in Übergröße, worum es hier geht. Gleich dahinter weist ein Schild auf dem Rumpf einer historischen Maschine den Weg zur „Fábrica“.
Wie der Tee auf die Azoren-Inseln kam
Eine gute Geschichte besteht aus vielen Fäden. Die Anfänge der Teeplantagen auf den Azoren spinnen ein bisschen von diesem Seemannsgarn. Die einen erzählen von einem ominösen portugiesischen Leibgardisten, der Teepflanzen aus Brasilien in seinem Gepäck hatte, um sie auf den Inseln auszuprobieren. Um 1820 soll das gewesen sein. In einer anderen Version spielen zwei Chinesen aus Macau eine Rolle. Die kamen 1878 hierher, ob von allein oder angeheuert, weiß man nicht mehr so genau. Jedenfalls ging ihre Saat auf, zwischenzeitlich soll es mehr als 60 Teefabriken auf São Miguel gegeben haben.
Warum gleich so viele? Weil der Tee eine empfindliche Lücke füllte. Schuld war ein Pilz, dessen Sporen, durch welche Wetter und Winde auch immer, über den Atlantik auf die Inseln segelten und sich in den ausgedehnten Orangenhainen festsetzten. Mit den Früchten hatten die Azorianer bis dahin gutes Geld gemacht, doch der Pilz ließ die Orangen verkümmern und die Geldbörsen schrumpfen. Der Tee wurde zur neuen Cash Crop, und weil der Boom schon mit dem Ersten Weltkrieg abebbte und nennenswerte Investitionen danach ausblieben, arbeiten die beiden übriggebliebenen Fabriken immer noch mit Maschinen aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Portugals Beitrag zur britischen Teekultur
England und Indien sind die Herkunftsländer der Maschinen, die in der kleinen Fabrik stehen – das Land der mutmaßlichen Weltmeister im Teetrinken und eines der Hauptanbaugebiete für Tee. Als die Azoren im 19. Jahrhundert ihre ersten Teeplantagen bekamen, waren Teile Europas längst im Teefieber. Das Geschäft lohnte sich also, und das Wetter stimmte auch. Zudem hatten die portugiesischen Inseln im Atlantik einen Standortvorteil: Von hier aus brauchte der Tee kaum eine Woche bis zu den Umschlagplätzen in Rotterdam, Hamburg und London. Das heißt, er lag weniger lange in muffigen Schiffsladeräumen herum und wahrte dadurch besser sein Aroma.
Aber auch in anderer Hinsicht hat Portugal gerade zur britischen Teekultur viel beigetragen – man könnte sogar sagen, die Portugiesen haben den Briten das Teetrinken beigebracht. Genau genommen war es eine ganz bestimmte Portugiesin: Katharina Henrietta de Bragança, Infantin von Portugal. 1662 wurde die Teeliebhaberin mit dem englischen König Karl II. verheiratet und musste bei ihrer Ankunft am englischen Hof feststellen, dass dort zwar viel Bier getrunken wurde, aber kein Tropfen Tee. Auch wenn sie im Verlauf ihrer Ehe viele Demütigungen hinnehmen musste, weil sie Katholikin war, hat sie es doch geschafft, den Britischen Inseln eine nachhaltige Liebe zum Tee einzuimpfen. Darin war sie so erfolgreich, dass sie heute offiziell als Begründerin der britischen Teekultur gilt.
Von den Teeplantagen in die Tasse
Im April – also gerade jetzt – ist der Tee auf den Azoren erntereif, dann rumort es in der Fabrik. Wir waren im Januar da, aber ein geführter Rundgang und ein bisschen Fantasie machen es leicht, sich den Betrieb vorzustellen. Trotz der betagten Maschinen dauert die Verarbeitung der Blätter vom Stengel bis zum abgefüllten Tee nur rund eine Woche.
Vergleichsweise viel Zeit erfordert der erste Arbeitsschritt: das Welken des Tees, das die Blätter, die säckeweise von den Teeplantagen eintreffen, weich und zart machen soll. Moderne Betriebe haben dafür „Welktunnel“, hier auf den Inseln lagert der Tee mindestens einen Tag lang in langen, flachen Trögen auf dem Speicher der Fabrik. Das Wetter hilft dabei mit – mit Apriltemperaturen zwischen 12 und 17 Grad, also nicht zu kalt und nicht zu heiß.
Anschließend werden die Teeblätter in einer Walzmaschine gerollt, um den aromatischen Zellsaft herauszupressen, der bei der folgenden Fermentation oxidiert. Jetzt erst nimmt der Tee seine kupferrote Farbe an, nur grüner Tee bleibt grün, weil die Oxidation unterbleibt. Den Abschluss der Verarbeitung macht die Trocknung der Teeblätter bei bis zu 100 Grad. Die hohen Temperaturen binden den Zellsaft ans Blatt. Erst das heiße Wasser in der Tasse löst ihn wieder und gibt dem Tee sein Aroma.
Den gibt es in drei Sorten, die auf den Azoren allerdings nicht nur Größe und Beschaffenheit der Teeblätter bezeichnen, sondern auch ihr Alter. Orange Pekoe ist das jüngste Blatt am neuen Trieb eines Teestrauchs, Pekoe das zweitjüngste, und Broken Leaf meint die nächst niedriger sitzenden Blätter. Die werden nach ihrer Verarbeitung auf einem Rüttelsieb entsprechend ihrer Größe sortiert und getrennt verpackt. Das Teegut Chá Porto Formoso produziert nur schwarzen Tee, das benachbarte Gut Chá Gorreana ist vor allem für seinen milden grünen Tee bekannt, der auch in Deutschland verkauft wird.
Lebendiges Industriedenkmal in einer Gartenlandschaft
Chá Porto Formoso erntet von seinen kleinen Teeplantagen nur sechs Tonnen pro Jahr. Das sind immerhin ein paar Tonnen mehr, als das winzige Teegut in Cornwall auf die Waage bringt. Aber reicht das, um wirtschaftlich zu überleben? Bis in die 1970er Jahre war die Fabrik in Betrieb, dann musste sie schließen. Mehr als 20 Jahre vergingen, bis ein neuer Besitzer die Anlage renovierte und die Teeplantagen wieder bewirtschaftete. Die Öffnung für Besucher war der nächste Schritt. Das Konzept scheint anzukommen, jedenfalls wenn man die Bewertungen auf TripAdvisor liest.
Wer heute das kleine Teegut besucht, genießt gleich beim Betreten des Grundstücks einen weiten Blick über die kleinteilige Gartenlandschaft an der Küste von Porto Formoso. Die Führung durch die Fabrik selbst dauert kaum eine halbe Stunde. Wer mag, kann anschließend in einer Gaststube Tee probieren und natürlich auch erwerben. Wir haben den Besuch mit einen Rundweg hinunter nach Porto Formoso und wieder hoch zu den Teeplantagen oberhalb der Fabrik genutzt. Unser Fazit: unbedingt empfehlenswert, auch wenn das Wetter mal nicht so gut ist!