Lüttich – Eine Stadt der Kontraste
An vielen Stellen wirkt Lüttich wie Wildwuchs, Bauvorschriften scheint es keine zu geben. Immer wieder sehen wir, wie schnell hochgezogene, einfallslose Wohn und Bürokästen die Altbauten einzwängen und erdrücken. Selbst in der Altstadt stehen ganze Etagen leer oder werden als Warenlager genutzt, während die Fassaden bröckeln. Dort, wo Bars und Clubs die Partytouristen locken, halten die Gassen den Bierdunst bis zum Mittag fest.
Das ist manchmal recht traurig anzusehen. Andererseits hat Lüttich – wie diese Tipps zeigen – viel zu bieten, allein die Maas mit ihren beiden Armen verleiht dem Stadtbild Spannung und Weite. Einen ganz eigenen Akzent setzen die Skulpturen, die sich nicht nur auf Brunnen oder auf die Altstadt beschränken und die einen eigenen kleinen Stadtrundgang wert sind. Kurios ist der gebissene Faun („Le faune mordu“) im Rosengarten des Parc de la Boverie gleich neben dem Lütticher Kunstmuseum. Aber auch andere Statuen mit ungewöhnlichen Motiven – bockspringende Kinder etwa – sorgen für Abwechslung.
Lüttich-Tipp 3: Die Altstadt rund um die Kathedrale
Im Kathedralenviertel stehen gleich reihenweise Monumentalbauten aus den verschiedensten Epochen. Lüttich ist reich an Kirchen und Klosterbauten, unter denen die Kathedrale im Herzen der Altstadt die prächtigste ist, auch wenn sie momentan von Gerüsten komplett verhüllt wird. Zu den intensiv leuchtenden historischen Vitralen bilden die nach dem Krieg erneuerten Kirchenfenster mit ihren nüchternen geometrischen Mustern einen reizvollen Kontrast.
Überhaupt: die Innenräume! Diese Tipps nennen nur eine Auswahl, weil wir etwa in die Oper mit ihrem Rausch aus Gold, Samt und glitzernden Lüstern nicht hinein konnten. Anders war das im Fall der Cité Miroir am Nordrand der Altstadt: von außen eher unspektakulär, dafür im Innern ein Gesamtkunstwerk im Bauhausstil. Der Raumeindruck ist umwerfend – hier zu schwimmen muss fantastisch gewesen sein. Denn was heute eine Ausstellungshalle für den Dialog der Kulturen ist, begann bei seiner Einweihung 1942, noch unter deutscher Besatzung, als öffentliche Badeanstalt. Die war auch noch bis zum Jahr 2000 in Betrieb, danach wurde sie wegen Baufälligkeit geschlossen und aufwändig restauriert, verlor jedoch ihre ehemalige Funktion. Schade eigentlich. Aber auch so bereichert sie jeden Stadtrundgang.
Dass Lüttich nicht nur Jugendstil, sondern auch Art déco kann, beweist die Fassade des Kinos „Churchill“ ganz in der Nähe der Kathedrale. Gleich um die Ecke liegt der Theatersaal des „Forum“ mit komplett erhaltenem Art-déco-Interieur anno 1922. Das Kino war ursprünglich die Brasserie des Forums, wurde aber nach dem Krieg umgebaut. Es ist sehr bequem, wie wir feststellen konnten. Dass sich der Film, den wir dort gesehen haben, um Churchill drehte, war reiner Zufall.
Lüttich-Tipp 4: Hoch hinauf – Stadtrundgang zum Zitadellenhügel
Die Besteigung des Zitadellenhügels unweit der Altstadt kommt in diesen Tipps zwar erst an vierter Stelle, ist aber eine unserer ersten Amtshandlungen. Wir beginnen diesen Stadtrundgang durch eine der eher spärlichen Grünanlagen Lüttichs an der Place Saint-Leónard – was sich noch als klug herausstellen wird. Eigentlich heißt der Hügel Vivegnis und soll einst Rebstöcke getragen haben, die dann allerdings dem Bergbau weichen mussten. Von beiden Nutzungen ist nichts mehr zu sehen. Die Reiseführer malen das Bild einer bukolischen Gegend mit Schafen und Obstgärten. Tatsächlich führt uns ein Zickzackweg durch einen etwas vernachlässigten Wald. Der Aufstieg lohnt sich aber doch, denn auf einmal liegt uns Lüttich zu Füßen – ein schöner Blick trotz grauem Himmel und grauem Beton zwischendrin.
Hinter uns liegen die Bollwerke der Zitadelle. Von hier aus und von zwölf weiteren Forts im Umkreis leistet Lüttich im August 1914 erbitterten Widerstand gegen die deutschen Truppen. Die wollen eigentlich rasch nach Frankreich durchmarschieren, doch am Ende braucht es acht Divisionen und zwölf Tage, bis die Stadt die Waffen streckt. Die Schlacht um Lüttich gibt den Franzosen Zeit, ihre Kräfte zu sammeln und die Verteidigung der Grenzen vorzubereiten.
Frankreich revanchiert sich mit der symbolischen Verleihung der „Medaille der Ehrenlegion“ an die Lütticher Bürger. Vor allem aber geht es dem „Café Viennois“ an den Kragen, einer damals gerade in Paris höchst populären Delikatesse. Statt weiterhin die Hauptstadt des deutschen Verbündeten und Kriegsgegners Österreich-Ungarn im Mund führen zu müssen, taufen die Pariser die Eiskaffee-Spezialität kurzerhand „Café Liègeois“. Darauf sind die Lütticher bis heute stolz, entsprechend gibt es den süßen „Café Liègeois“ in jedem Lokal der Stadt. Außer Kaffee besteht er aus viel Würfelzucker, viel Milch mit Vanillegeschmack und viel Sahne und ist praktisch eine eigene Mahlzeit, die manchmal noch mit einem Schuss Schnaps versetzt ist. Prost Lüttich!
Etwas unterhalb der Zitadelle klettert eine der wichtigsten Lütticher Sehenswürdigkeiten den Hügel hinauf: die Montagne de Bueren, eine Treppe mit 374 Stufen als direkte Verbindung zwischen der Wehranlage und dem Stadtkern. Zur Altstadt und der angrenzenden Place Saint-Lambert mit dem prächtigen Palast der Fürstbischöfe von Lüttich ist es nur ein Katzensprung. Die meisten Touristen kommen von unten und steigen mühsam die Treppe hinauf. Wir kommen – das ist vielleicht einer der wichtigsten Lüttich-Tipps – von oben und können in aller Ruhe treppab schlendern, vorbei an den hübschen, rotgeziegelten Häusern rechts und links. Auch hier verstellen hässliche Betonhochhäuser den Blick auf die Stadt – wer genehmigt so etwas? –, aber der Abstieg ist trotzdem ein Erlebnis.
Lüttich-Tipp 5: Sonntags-Shopping in der Altstadt – der Marché de la Batte
Er ist eine Art Wahrzeichen der Stadt und darf auf keinem Stadtrundgang fehlen: der Marché de la Batte (Markt an der Anlegestelle), der sich vom Quais Van Hoegaerden am östlichen Rand der Altstadt ein gutes Stück das Ufer der Maas entlangzieht. Seit 1561 gibt es ihn, behaupten die Lütticher und sind stolz darauf, dass ihr Markt genau 269 Jahre älter ist als Belgien selbst. Zu Beginn wechselten hier vor allem Tiere den Besitzer, heute überwiegen Stände mit Kleidung im unteren Preissegment. Im Angebot sind aber auch Ardenner Schinken, französischer Käse und der pechschwarze Lütticher Sirup, im Rheinland auch bekannt als Apfelkraut.
Eine besondere Spezialität – und nichts für schwache Mägen – heißt „Boulet-Frites“. Boulet bedeutet nicht umsonst Kanonenkugel. Was sie so gehaltvoll macht, ist weniger ihre Zusammensetzung – sie ähnelt der klassischen Boulette –, sondern die Sauce, in der neben Zwiebeln auch Rosinen, Lütticher Sirup und esslöffelweise Kandiszuckerstücke schwimmen. Die Sauce dient gleichzeitig als Dip für die Pommes Frites, die zwar nicht direkt aus Lüttich stammen, aber immerhin aus den Nachbarstädten Namur, Huy und Dinant. Die Idee, Kartoffeln in Stäbchen zu schneiden und zu frittieren, kam den Belgiern offenbar schon um 1680, wenn man den einschlägigen Dokumenten Glauben schenken kann. Seitdem dürfte ihr Geruch auch über dem Marché de la Batte schweben, mit oder ohne Boulet.
Warum der Markt unter den Lüttich-Tipps oft an oberster Stelle steht, können wir nicht ganz nachvollziehen. Auswärtige Besucher strömen in Scharen und schieben sich manchmal wie zäher Sirup durch die Gassen der Stände – vielleicht ist das ein Teil der Attraktion. Aufsehenerregendes bekommen sie nicht zu sehen, einmal abgesehen von den Hühnern und Singvögeln, die nicht gerade zum Standard europäischer Märkte gehören. Immerhin: Das, was es gibt, gibt es in Hülle und Fülle, und wer ein Jäger-und-Sammler-Gen besitzt, freut sich sicher über das große Revier. Uns fällt vor allem der Gegensatz zur Sonntagsruhe in der restlichen Altstadt auf, in der wir unseren Stadtrundgang auf der Suche nach einem Café beschließen.
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Noch mehr Tipps für das Lüttich-Erlebnis
Die Lütticher mögen’s deftig, und wer die Stadt richtig kennenlernen will, sollte unbedingt die lokale Küche ausprobieren. Das Tourismusbüro, das in einem schön restaurierten ehemaligen Fleischmarkt anno 1546 am Quai de la Goffe residiert, hält dazu jede Menge Anregungen in Form von kleinen Broschüren bereit. Eine beschreibt die Geschichte des Café Liègois, eine andere die Lütticher Waffel, jeweils kombiniert mit Rezepten und Lokalen, wo diese Spezialitäten serviert werden. Noch mehr Rezepte – unter anderem für Boulets und den mindestens ebenso typischen Salade Liègoise – bietet das Heftchen „Lüttich für Feinschmecker“.
Natürlich spielt auch Bier in Lüttich eine wichtige Rolle, wie die einschlägige Broschüre zeigt. Tipp: Wer will, kann sich bei seinem Stadtrundgang zwanglos an den dort aufgeführten Etablissements orientieren. Eine Überraschung für uns waren die vielen Chocolatiers (14, um genau zu sein), von denen wir leider zu spät erfahren haben. Brüsseler Pralinen sind ein Begriff, aber auch in Lüttich ist die „confiserie au chocolat“ eine hohe Kunst – und ein guter Grund für einen weiteren thematischen Standrundgang.
Zwei Museen beschäftigen sich ausschließlich mit der industriellen Vergangenheit Lüttichs: das Haus der Metallurgie und das Museum des öffentlichen Nahverkehrs der Wallonie. Eine gute Adresse für Kunstfreunde – besonders bei Regenwetter – ist „La Boverie“ im gleichnamigen Park an der südlichen Spitze der Maas-Insel. Einer der wichtigsten Lüttich-Tipps ist die App „Touren in Lüttich“, die es im Appstore von Google und Apple gibt. Sie hilft enorm bei der Orientierung und enthält eine Vielzahl interessanter Tourenvorschläge – allein zum Thema Jugendstil gibt es drei. Auch eine Fahrradtour ist dabei.
Hier geht’s zu Teil 1 unserer Lüttich-Tipps.