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Blick auf die Torre Ghirlandina in Modena.
Blick auf die Torre Ghirlandina in Modena.

Romanik pur – die Kathedrale von Modena

Die Kathedrale von Modena ist eine der schönsten romanischen Kirchen Italiens. Das Stadtmarketing vermarktet die Kathedrale als Kino aus Stein, denn überall an der Kirche werden hinreißend Geschichten erzählt. Der Kirchturm, die Torre Ghirlandina, ist das prächtige Wahrzeichen Modenas.
Inhalt

Modenas Stadtpatron

Modena in der Emilia Romagna ist eine uralte Stadtgründung. Die legendären Etrusker waren hier, die kämpferischen Gallier, dann die siegreichen Römer. Aber irgendwann ist Mutina – also diese antike Stadt – untergegangen. Bevölkerungsrückgang, Völkerwanderung, Überschwemmungen? Über die Gründe für den Exitus des alten Mutinas lässt sich nur spekulieren. Doch im 10. Jahrhundert begann der Wiederaufbau. Nicht an dem Ort, an dem vom alten Mutina nur ein verwüstetes Ruinenfeld übrig geblieben war, sondern etwas westlich des antiken Stadtkerns, nämlich rund um eine Kirche.

Diese Kirche des 10. Jahrhunderts ist längst Vergangenheit. Nachdem sie zusammengestürzt war, wurde sie durch eine prächtige Kathedrale ersetzt, die dem Stadtpatron San Geminianus zugeeignet wurde. Geminianus von Modena ist ein Heiliger über den es erstaunliches zu berichten gibt. Geminianus war der 2. Bischof Modenas, der im 4. Jahrhundert über 50 Jahre lang amtierte, ziemlich ausdauernd! Im 10. Jahrhundert entstehen Legenden, dass der Heilige, sich den Horden des Ostgoten-Königs Odoaker entgegengeworfen habe. Diese Märchen haben ihn so berühmt gemacht, dass sogar der kleine Ort San Gimignano in der Toskana nach San Geminianus benannt worden ist.

Die Kathedrale von Modena ist ein großartiges Bauwerk aus Backstein und weißem Mamor. Elegante Bögen und anmutige Zwerggalerien, Säulen und Säulchen, Bogenfriese und Lisenen rhythmisieren die monumentale Fassaden. Mächtige Löwen mit weit aufgerissenen Mäulern und spitzen Fängen flankieren die Eingänge. Und überall herrliche Ornamente und Reliefs, die Heiligenlegenden oder eben Märchen erzählen.

Löwen aus rotem Marmor flankieren einen Eingang in die Kathedrale von Modena.
Die Kathedrale von Modena an einem sonnigen Frühlingstag

San Geminianus – die Kathedrale von Modena

Märchenhafte Erzählungen finden sich an der hell strahlenden, romanischen Kathedrale von Modena in Hülle und Fülle. Da ist zum Beispiel die Geschichte von Adam und Eva. Bekanntlich spielt sie in einem paradiesischen Garten, Protagonisten sind ein Mann aus Lehm, eine Frau, aus der Rippe dieses Mannes geschaffen, eine sprechende Schlange und eine Frucht, die Erkenntnis verspricht. Der erste Neuro-Enhancer zur Selbstoptimierung sozusagen. Wenn es da was von Ratiopharm gäbe, gingen diese Pillen wahrscheinlich wie geschnitten Brot.

Für sich genommen sind Adam und Eva, sprechende Schlangen und Super-Food natürlich sehr unrealistische Zutaten für eine wahre Geschichte. Im richtigen Mix produzieren sie aber eine starke und verführerische Story, an die wir nur zu gerne glauben. Wie wirkmächtig gerade die Geschichte von der sprechenden Schlage ist, lässt sich an der weltweiten Faszination für die 7 Bänden Harry Potter gut nachvollziehen, denn die zentralen Figuren: Harry Potter, Voldemort, Nangini sind alle sprechende Schlangen.

Adam und Eva oberhalb des Portals der Kathedrale von Modena.
Leider im Schatten, die Erschaffung des Mannes und der Sündenfall. Relief vom berühmten Bildhauer Wiligelmus
Adam und Eva arbeiten auf dem Feld, Relief oberhalb des rechten Portals der Kathedrale von Modena.
Vertreibung aus dem Paradies und Arbeit auf dem Feld. Adam und Eva sind angezogen wie Bauern aus dem 12. Jahrhundert

Adam & Eva, Kain & Abel

An der Kathedrale von Modena hat der Bildhauer Wiligelmus die fantastische Erzählung von Eva und Adam und der Schlange in großformatigen Reliefs aus Marmor geschlagen und an die Hauptfassade montiert. Besonders toll, wie sich Eva aus dem froschartigen Leib Adams erhebt.

Nach der Vertreibung aus dem Paradies müssen Adam und Eva arbeiten. Das sollte man in einem Europa, das sich ja seit neustem seinen jüdischen und christlichen Wurzeln so verpflichtet fühlt, eigentlich immer erwähnen und nie vergessen: Arbeit kommt als Sündenstrafen in die Welt!

Eva und Adam haben sich für die Arbeit auf dem Feld sackartige Kittel übergeworfen. Wahrscheinlich entspricht diese Kleidung der bäuerlichen Mode des beginnenden 12. Jahrhunderts, also der Zeit, in der Wiligelmus diese realistische Darstellung des Sündenfalls gearbeitet hat. Was haben die Bäuerinnen und die Bauern damals wohl gedacht, wenn sie in ihren ollen Plünnen vom Land nach Modena kamen und an den Wänden der Kathedrale ihresgleichen als Sünder abgebildet fanden, während die reichen Bürger Gewänder aus herrlichen Stoffen trugen, ähnlich der goldenen Garderobe der Heiligen in den Kirchen? Wissen wir nicht. Aber den Selbstwert der ländlichen Bevölkerung wird diese Darstellung sicherlich nicht gesteigert haben.

Auch die Geschichte von Kain und Abel muss in der bäuerlichen Lebenswelt Frust und Ärger ausgelöst haben. Warum bloß lehnt Gott das Opfer Kains ab? Klar die Erde, auf der Kain ackert und pflügt, ist durch den Sündenfall irgendwie verflucht. Nichtsdestotrotz hat Kain für das Getreide, das er zum Opfer mitbringt, richtig geschwitzt. Zählt aber nicht, wird nicht honoriert. Die Schöpfungsgeschichte zeichnet sich auch hier durch die absolute Geringschätzung der körperlichen Arbeit aus. Ist ja auch heute noch so, Kopfarbeit schlägt Muskelkraft.

Innenraums der Kathedrale von Modena. In der Mitte des Bildes leuchtet ein goldenes Kreuz.
Mystische Dämmerung im Hauptschiff der Kathedrale von Modena
Die Kanzel in der Kathedrale von Modena ist mit vielen Reliefs geschmückt.
Die Kanzel in der Kathedrale von Modena. Engel erzählen Evangelisten Geschichten, Christus sitzt auf einem Thron

Die Kathedrale von Modena, ein Kino aus Stein

Der Kirchenraum umfängt den Besucher mit dämmeriger Dunkelheit, wie ein Höhle. Gedrungene Bögen und dunkel, mit Geschichte bemooster Backstein erzeugen eine dichte Atmosphäre. Tolle Stimmung machen, das können sie in der katholischen Kirche. Allerdings schwirrt ein aufgeregter Kustode durch die Kirchenschiffe, und versucht damit die Besucherscharen zu disziplinieren, damit die Würde des Ortes gewahrt bleibe. Er erreicht das Gegenteil.

Die Kathedrale von Modena ist wie ein Kino aus Stein, denn überall gibt es gemeißelte Szenen und Geschichten zu entdecken. Hinter dem Altar erzählen große farbige Reliefs von vom letzten Abendmahl und dem Verrat. Die Kanzel ist mit dem Weltenherrscher Christus geschmückt, der zum jüngsten Gericht auf Erden erschienen ist. Sogar die Säulenkapitelle zeigen winzige Szenen aus dem alten und aus dem neuen Testament.

Natürlich hat die Kathedrale von Modena auch einen Turm. Die Torre Ghirlandina, das Wahrzeichen Modenas. Wie so viele Türme in der Emilia Romagna, ist die Torre Ghirlandina ein schiefer Turm. Aber nicht annähernd so berühmt wie der prominente Verwandte aus Pisa.

Blick durch eine dunkle Gasse auf einen weißen Kirchturm, den Torre Ghirlandina.
Der Torre Ghirlandina ist das Wahrzeichen der Stadt Modena

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Torre Ghirlandina, der schiefe Turm von Modena

Am Fuß des Turm ist eine große Erinnerungstafel an Partisanen des Widerstands gegen die deutsche Besatzung und die faschistische Regierung in Saló angebracht. Fotografien zeigen Frauen und Männer, die im Widerstand gegen ein verbrecherisches Regime gestorben sind. In Deutschland ist die Bedeutung der Resistenza für die Befreiung Italiens von deutscher Besatzung erst sehr spät anerkannt worden, genauso wie die deutschen Kriegsverbrechen in Italien.

Erst im Jahr 2002 besuchte ein deutscher Bundespräsident Italien, um den Opfern deutscher Gewalt in Italien zu gedenken. Johannes Rau reiste in das nur wenige Kilometer von Modena entfernte Marzabotto. Hier wurden am 29. September 1944 über 770 Menschen, darunter Frauen und Kinder, von deutschen SS- und Wehrmacht-Einheiten ermordet.

Gedenktafel mit den Foto-Porträts von Bürgern aus Modena.
Erinnerungstafel für Partisanen, die im 2. Weltkrieg gegen die deutsche Besatzung gekämpft haben und dabei ums Leben gekommen sind

Gedenkorte in Modena

In seiner Ansprache mahnt Johannes Rau:Niemand darf vergessen, dass jede Generation sich immer wieder neu den Blick schärfen muss für verbrecherische, menschenverachtende Ideologien. Wir müssen solche Irrlehren bekämpfen, bevor sie Macht über Menschen gewinnen können.“ Das kommt mir heute vor wie Worte aus einer anderen Welt. Wenn ich mich in Deutschland oder Italien oder Europa umhöre, dann scheinen genau diese “verbrecherischen, menschenverachtenden Ideologien“ wieder Macht über viele Menschen gewonnen zu haben.

An der Torre Ghirlandina in Modena kommt mir diese Entwicklung angesichts des Gedenkortes an den Widerstand gegen den Faschismus besonders skandalös und erschreckend vor. Gegenüber des Turms erinnert eine Gedenktafel an den Selbstmord des jüdischen Schriftsteller Angelo Fortunato Formiggini, der sich am 28. November 1938 aus Protest gegen die gerade erlassenen italienischen Rassengesetze verzweifelt von der Torre Ghirlandina stürzte. Trotz aller Schönheit ist die Piazza della Torre in Modena ein bedrückender, mich beschämender Ort.

Die Website Gedenkorte in Europa informiert über Erinnerungsorte in Ländern, die von Nazi-Deutschland besetzt waren. Die Website ist eine Art Reiseführer in die Vergangenheit, sie will “zu Besuchen dieser Gedenkorte anregen, die Wege dorthin aufzeigen und erste Informationen anbieten“. Auch über Modena während der Zeit der deutschen Besetzung wird ausführlich berichtet.

Vom Schöpfungsbericht bis zum jüngsten Gericht. Dann von der römischen Vergangenheit bis in die jüngste Geschichte. Außerdem vom 12. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Die Kathedrale von Modena ist einer dieser Orte an dem europäische Geschichte auf engstem Raum verdichtet ist und lesbar wird. Welche Lehren ziehen wir daraus?