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Turm des Domes von Pistoia

Pistoia: Eine charmante Stadt in der Toskana

Pistoia ist eine kleine Landstadt in der Toskana. Weltberühmt ist der Ort für seine Baumschulen, die den ganze Globus mit eleganten Zypressenbäumen versorgen. Aber außer Baumschulen gibt es in Pistoia einen spektakulären Markt und großartige Kunst zu entdecken. Also nichts wie hin.
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Pistoia entdecken

Pistoia! In der Regel ist das nicht die Antwort, auf die Frage: welche Städte gibt es denn in der Toskana? die sofort durch die grauen Zellen schießt. Natürlich drängeln sich die üblichen Verdächtigen: Florenz, Pisa oder Siena, vielleicht auch noch Lucca in der Poolposition des Bewusstseinsapparats.

Dabei ist es ganz und gar falsch Pistoia einfach links liegen zu lassen. Denn die meisten Reisenden haben noch nichts von dieser etwas verschlafenen Kleinstadt irgendwo in der Toskana gehört. Deswegen kommen sie gar nicht erst hier her. Sie stehen sich lieber in Pisa auf der Piazza dei Miracoli oder in Florenz vor den berühmten Uffizien die heißgelaufenen Füße platt. Schlecht für sie! Gut für uns!

Denn malerische Orte im touristischen Dornröschenschlaf wie Pistoia profitieren natürlich von der kalten Schulter, die der Massentourismus ihnen zeigt. Da sie sich etwas bewahren können, was anderswo längst verloren gegangen ist: Gelassenheit des Alltags, gelebte Normalität, Unaufgeregtheit und ja sogar so etwas wie Langeweile. Aber keine Angst, langweilig wird einer Besucher*in in Pistoia nicht. Denn es gibt viel zu entdecken.

Markt auf der Piazza del Duomo in Pistoia
Jeden Samstag das gleiche Schauspiel: Markt auf der Piazza del Duomo in Pistoia

Markt in Pistoia

Jeden Samstag gibt es einen fantastischen Markt in Pistoia, der das ganze Zentrum der Altstadt mit quirligem Leben füllt. Es ist ein typischer italienischer Landmarkt, auf dem es von A wie Apfelsine über K wie Kochtopf bis Z wie Zahnputzbecher alles gibt, was es zum täglichen Leben braucht. Klar, ein Dutzend schwarze Frottee Socken zum einmaligen Preis von 1,- € möchte man nicht geschenkt und auch die saftigen Mangoldblätter lassen sich im Hotelzimmer nicht in schmackhafte Eintöpfe verwandeln. Aber es ist einfach schön, dieses Geflatter und Gewimmel mitzuerleben. Denn zwischen dem ehrwürdigen Dom und dem neugotisch aufgemotzten Palazzo Pretoria spielt sich auf der Piazza del Duomo mitten in der Altstadt ,ein Schauspiel ab, wie es wahrscheinlich seit Jahrhunderten jeden Samstag in Pistoia aufgeführt wird: Markttag. Der Hauch vom authentischen Italien hängt an einem Samstag in Pistoia in der Luft.

Überragt wird der Markt vom prachtvollen Turm der Kathedrale Sant Zeno. Sein Obergeschoss ist mit mehreren Reihen kleiner Bögen aufwändig geschmückt. Es lohnt sich auf jeden Fall einen Blick in den etwas düsteren Kirchenbau zu werfen. Denn ganz am Ende des Kirchenschiffes in der linken Chorkapelle ist eine prächtige Malerei, eine Sacra Conversazione, von Andrea Verrocchio aufgehängt.

Baptisterium von Pistoia.
Ebenfalls an der Piazza del Duomo das Baptisterium von Pistoia. Auch unbedingt einen Besuch wert
Andrea Verrocchio, Gemälde der Mutter Maria mit Heiligen.
Andrea Verrocchio und Lorenzo di Credi; Madanno di Piazza, Wikimedia CH, CC 3.0 Unported

Die Kathedrale San Zeno

Verrocchio war zu allererst der führende Bronzegießer und Bildhauer des ausgehenden 15. Jahrhunderts in Florenz. Sein bekanntestes Werk ist wahrscheinlich das Reiterstandbild des Condottiere, heute würden wir sagen Kriegsunternehmer oder Warlord, Bartolomeo Colleoni vor der Kirche Zanipolo in Venedig. Aber außer Bronze gießen verstand Verrocchio eben auch das Handwerk der Malerei.

Dass das Gemälde, das neben der Mutter Maria mit dem Kind auf der rechten Seite Johannes den Täufer und auf der linken den Bischof Donatus zeigt, fertiggestellt wurde, ist aber vor allem Verrocchios Assistenten Lorenzo di Credi zu verdanken. Die Figuren sind ein wenig steif und hölzern geraten. Der Körper des Johannes sieht geradezu so aus, als sei er etwas ungeschickt geschnitzt. Aber beeindruckend ist wie streng diese Bildwelt geordnet ist. Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund und das alles zusammengezwungen von den unerbittlichen Fluchtlinien der gerade erst erfundenen Zentralperspektive. Am orientalischen Teppich und seinen verdrehten Kordeln ablesen, lässt sich ablesen, wie besessen Verrocchio von der genauen Wiedergabe der stofflichen Welt war. Genug gestaunt!

Denn in einer Seitenkapelle des Doms wird der berühmte Silberaltar des Jakobus gezeigt. Fast zweihundert Jahre lang haben Silberschmiede dünnes Silberblech getrieben, um in vielen kleinen Szenen Geschichten aus dem alten und dem neuen Testament sowie aus der Apostelgeschichte wiederzugeben. Da lässt sich viel über die kunsthistorische Entwicklung der Reliefkunst zwischen 1287 und 1456 lernen. Aber um dem Altar etwas abgewinnen zu können, braucht es erst einmal Zeit, um sich in die figurenreichen Szenen einzulesen und dann eine große Portion Wissen um die biblischen Erzählungen. Vielleicht ist dieses Kleinod doch eher etwas für Spezialisten.

Statue von Marino Marini in Pistoia
Pferd und Reiter, ein Dauerbrenner im Werk Marino Marinis

Marino Marini ein Weltstar aus Pistoia

Dennoch lohnt sich ein Ausflug nach Pistoia besonders wegen der Bildhauerei. Nur wenige Schritte vom Dom und seinen Kunstwerken entfernt residiert die Fondazione Marino Marini im ehrwürdigen Palazzo Tau, einem ehemaligen Kloster. In dessen Kirche haben die beeindruckenden Skulpturen des berühmten Bildhauers aus Pistoia einen spektakulären Rahmen gefunden.

Nach dem 2. Weltkrieg wird Marino Marini international bekannt. Allein dreimal ist er auf der Documenta in Kassel vertreten. Die Grundlage für den Weltruhm bildet ein klassischer Begriff von Schönheit, den Marino aus dem dem antiken Erbe der Toskana zu schöpfen vermag. Seine Frauenakte beziehen sich in ihrer sinnlichen Üppigkeit auf Pomona die römische Göttin der Baumfrüchte. In seinem berühmtesten Motiv Krieger und Pferd beschwört er die mythologische Gestalt des Kentaur herauf. Eine Variation dieses Themas mit dem Namen Miracle wird nach dem 2. Weltkrieg eine Art Symbol für den Zivilisationsbruch und die Zerstörung, die Nazideutschland über die Welt gebracht hat. Allerdings sind es besonders die versöhnlichen und schönen Aspekte in seinem Werk, die Marino Marini zu einem der großen Bildhauer der 50er und 60er Jahre machen.

Zwei ganz besonders Schätz der romanischen Bildhauerkunst werden in Pistoia in den Kirchen San Andrea und San Bartolomeo aufbewahrt. In San Andrea ist es eine der berühmten Kanzeln des Bildhauers Giovanni Pisanos in San Bartolomeo ebenfalls eine Kanzel des Bildhauers Guido da Como.

Kanzel von Giovanni Pisano in  Pisotia.
Sybille an der Kanzel Giovanni Pisanos in der Kirche San Andrea, 1298 – 1301

San Andrea und Giovanni Pisano

San Andrea liegt etwas außerhalb des Stadtzentrums in einer kleiner verträumten Straße. Der hochaufragende Kirchenbau ist mit ¾ Säulen, Bögen und einem antik anmutenden Fries geschmückt. Dieser Baustil wird in der Toskana Protorenaissance genannt, weil er zwar an antike Vorbilder angelehnt ist, aber viel früher als die Renaissance des 15. Jahrhunderts entstand. Typisch für diesen Stil sind geometrische Dekorationen in grünem und weißen Stein, die die Fassade überziehen. Verantwortlich für diesen Schmuck war der Bildhauer Gruamonte, der auch das etwas steife aber ausdrucksstarke Relief mit dem Zug der 3 Heiligen Könige erst zu Herodes und dann zur Mutter Maria gearbeitet hat, das über der Hauptportal angebracht ist.

Der 3 schiffige Kirchenbau aus dem 12. Jahrhundert gehört zu den faszinierendsten Gebäuden in Pistoia. Besonders weil es scheint, als hätte sich in dem engen, klar gegliederten und dunklem Kirchenraum die mystische Stimmung aus einer anderen Zeit konserviert. Etwas einsam und fast vergessen steht in diesem dunklen Raum eine der größten Schöpfungen der christlichen Kunst. Die Kanzel Giovanni Pisanos. Giovanni hatte die Bildhauerkunst bei seinem Vater Nicola gelernt, dessen außerordentliches Talent er noch dazu geerbt hatte.

Der 6eckige Kanzelkasten wird von Säulen getragen und ist mit Reliefs geschmückt, die die wichtigsten Stationen des Leben Jesu von der Geburt bis zur Kreuzigung schildern. Das Überwältigende an diesen Reliefs ist neben der genialen Komposition die emotionale Ausdrucksstärke der Figuren. Giovanni erzählt dramatisch überspitzt. So dass der Betrachter die schockierenden Ereignisse beim Kindermord oder der Kreuzigung detailliert miterlebt.

Detail der Kanzel in San Bartolomeo.
Guido da Como ist der Schöpfer der Kanze in San Bartolomeo

San Bartolomeo

Völlig anders dagegen die Darstellung fast identischer Szenen an der Kanzel von Guido da Como in San Bartolemeo. Diese Kanzel ist zwei Generationen früher als das Meisterwerk Giovanni Pisanos in San Andrea entstanden. Dennoch scheint sie aus einer ganz anderen Welt zu kommen. Während bei Giovanni die Figuren dramatisch durcheinander wuseln geht es bei Guido ganz geordnet und überaus würdevoll zu. Aber gerade dieses würdevolle und überaus steife Vorzeigen des heiligen Geschehen erzeugt eine Ferne, die diesen Darstellungen heute eine außerordentliche spirituelle Kraft verleiht.

Majolikafries am Ospedale del Ceppo in Pisotia.
Die Kranken pflegen, die Gefangenen besuchen, Majolikafries aus der della Robbia Werkstatt am Ospedale del Ceppo

Das Ospedale del Ceppo

Ganz bunt und lebensfroh geht es dagegen in der Nähe von San Bartolomeo zu. Hier gibt es schon die nächste Sehenswürdigkeit Pistoias, das Ospedale del Ceppo. Ein Krankenhaus, das schon Ende des 13. Jahrhunderts als fromme Stiftung gegründet wurde; noch heute werden Kranke dort kuriert. Besonders prächtig sind die farbigen Majolika Reliefs aus der della Robbia Werkstatt an der Fassade des Krankenhauses. Seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts erzählen sie von den 7 Taten der Mildtätigkeit. Kranke zu pflegen, gehört zu diesen milden Taten genauso, wie die Gefangenen zu besuchen und die Armen zu speisen.

Inzwischen ist das Krankenhaus aus den alten Gemäuern in einen modernen Neubau umgezogen. Die Krankensäle des alte Hospitals wurde in Ausstellungsräume eines Museums umfunktioniert. Es gibt viel Gründe sich über modernes Gesundheitswesen zu freuen. Im ehemaligen Spedale del Ceppo wird jedem sofort klar, dass im Vergleich zu den riesigen Krankensälen dieses Hospitals die komfortablen Mehrbettzimmer eines modernen Krankenhauses dazu gehören. Aber auch mit dem medizinischen Besteck vergangener Epochen, will man sich nicht behandeln lassen. Die Elektroschock-Anlage in einer verschatteten Ecke des Museums scheint, das Requisit aus einem bizarren Splatter Movie zu sein. Auf der anderen Seite lässt sich im Museum einiges über den medizinischen Fortschritt lernen.

Foto eines anatomischen Modells im Ospedela del Ceppo Pistoia.
Abbildung eines anatomischen Modells aus dem Ospedale del Ceppo in Pistoia
Anatomisches Modell im Ospedale del Ceppo.
Anatomisches Modell zur Hebammen Ausbildung

Hebammen Ausbildung in Pistoia

Eines der wichtigsten Ausstellungsstücke im Ospedale del Ceppo ist das Modell eines weiblichen Torsos aus dem 18. Jahrhundert. Der Torso ist fast lebensgroß. Er ist aus Leder und Holz gefertigt und zeigt den Uterus einer Schwangeren, der ursprünglich einen puppenhaften Fötus getragen haben muss. Wie dieses Modell ursprünglich ausgesehen hat, zeigt das Foto eines weiteren anatomischen Modells, das zwar ursprünglich aus dem Ospedale del Ceppo in Pisoia stammt, heute aber in London verwahrt wird.

Solche Modelle dienten dazu die Grundzüge der Geburt zu lehren, sie wurden in der staatlichen Hebammen Ausbildung verwendet. Dabei konnte das Baby in jede beliebige Position gebracht werden, um auch komplizierte Geburten zu simulieren. Bis zur staatlichen Hebammen Ausbildung in der Toskana wurden die Hebammen von der Kirche kontrolliert. Denn die wichtigste Voraussetzung zur Ausübung dieses Berufs waren nicht die Kenntnisse in der Geburtshilfe sondern die Erlaubnis des Priesters vor Ort, kranke Säuglinge taufen zu dürfen. Deswegen sollten gut ausgebildete Hebammen dabei helfen, den Einfluss der Kirche zu brechen und den der weltlichen Autoritäten zu stärken.

Auch das kleine Anatomische Theater, ein Hörsaal, in dem sich die zukünftigen Ärzte um einen Seziertisch versammelten um einer Leichenschau beizuwohnen, zeugt davon, dass in Pistoia Mediziner ausgebildet wurden. Verantwortlich für die Umwandlung des Ospedale del Ceppo in ein Lehrkrankenhaus war der Großherzog Leopold, der politisch aufgeklärte und reformerische Sohn Maria Theresias und spätere Kaiser Leopold II.

Schon erstaunlich, was es in Pistoia so alles zu entdecken gibt. Die kleine Landstadt bietet einen erstaunlich vielfältigen Mix aus quirliger Lebensart, Meisterwerken der europäischen Kunst und naturwissenschaftlichen Einblicken. Dabei ist die antike römische Geschichte des Ortes noch nicht einmal mit gezählt. Denn genauso wie Florenz oder Lucca ist Pistoia eine Stadtgründung an der römischen Via Cassia. Die Ursprünge Pistoias reichen bis in das 2. Jahrhundert vor unserer Zeit und geheimnisvolle Legenden raunen, dass im ansonsten eher unbedeutenden, römischen Pistoria der Staatsverräter Catilina sein Grab gefunden habe. Muss man das glauben? Wie auch immer. Pistoia ist auf jeden Fall einen Ausflug wert.

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Wie viel Zeit solltest Du für Pistoia einplanen?

  • Wenn Du nur den Markt in Pistoia besuchen möchtest, dann reicht ein Vormittag für Pistoia aus. Aber Du solltest am Samstag nicht zu spät in die Stadt kommen, denn um die Mittagszeit ist schon alles wieder zu Ende.
  • Falls Du aber neben dem Markt auch noch die Kirchen Pistoias oder einige Museen besichtigen möchtest, solltest Du einen ganzen Tag einplanen.
  • Pistoia liegt an der Bahnstrecke von Florenz nach Viareggio. Lucca, Pisa, Montecatini Terme und Prato sind von Pistoia aus auch bequem mit dem Zug zu erreichen. Deswegen eignet sich Pistoia auch als Standort für eine Reise durch die Toskana.

Service Pistoia

  • Der Dom San Zeno und das Baptisterium von Pistoia sind in der Regel von 10:00 – 13.00 und am Nachmittag von 15:00 – 18:00 für Besucher geöffnet. Tickets für den Silberaltar des Jacobus werden im Baptisterium verkauft. Nähere Informationen findest Du auf dieser Website.
  • Informationen zu den Öffnungszeiten von San Andrea findest Du auf dieser Website. In der Regel ist die Kirche von Dienstag bis Samstag von 9:30 – 12:30 und von 15:00 – 18:00 geöffnet, Sonntags von 15:00 – 18:00. Montags ist die Kirche zu. Der Eintritt beträgt 2,50 € (05/21)
  • Informationen zum Museum Marino Marini findest Du hier.
  • Auf der Website der städtischen Museen von Pistoia erfährst Du alles über das Ospedale del Ceppo.