Das Museu do Oriente in Lissabon
Es ist dämmrig und kalt im Museu do Oriente – in manchen Sälen haben wir regelrecht gefroren. Die etwas gewöhnungsbedürftigen Umstände sind teilweise den Ausstellungsobjekten geschuldet, etwa den opulenten Gewändern der Chinesischen Oper. Ebenfalls bemerkenswert: Das Museum riecht kein bisschen nach Fisch. Das ist eine Leistung für ein Gebäude, in dem jahrzehntelang Trockenfisch lagerte.
Der umgenutzte Speicherbau steht am Tejo im Lissaboner Stadtteil Alcântara. In der ehemaligen Hafengegend schießen heute schicke Restaurants und Bars aus dem Boden. Wer das Museum betritt, tauscht das touristische Lissabon von einem Moment auf den anderen mit fernöstlichen Gestaden. Die Besucher tauchen ein in eine Zeit, als Macau einer der wichtigsten Dreh- und Angelpunkte des Welthandels war und Europas Kulturaustausch fast ausschließlich in den Händen der portugiesischen Weltmacht lag.
Schuhe als Symbol für ein anderes Konzept vom Leben
Die Erzählungen von Frauenfüßen, die durch festgezurrte Bänder so lange deformiert werden, bis ihre Form Lotosblüten ähnelt, gruselt Europäer seit ihrer ersten Begegnung mit der chinesischen Hochkultur. Hinter dieser Verstümmelung steht ein Denken, das Frauen als Dekorationsobjekte missbraucht. Der Westen wähnte sich fortschrittlicher, ohne es zu sein, gerade in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit.
Auch was die Schuhmode angeht, waren die Europäer nicht die Fortschrittlichsten. Zwar malträtierten sie Füße nicht mutwillig, aber durch anatomische Ignoranz. Die antike Errungenschaft nämlich, für den rechten und linken Fuß spiegelverkehrte Schuhe zu fertigen, ging zum Ende des Mittelalters verloren und lebte erst im 19. Jahrhundert durch die industrielle Fertigung wieder auf. Maßgeblichen Anteil am Siegeszug des Rechts-Links-Konzeptes hatte der amerikanische Bürgerkrieg. Die Soldaten der Nordstaaten konnten länger marschieren, weil ihre Stiefel anatomisch angepasst waren – ein kriegsentscheidender Vorteil.
Das China der Quing-Dynastie (1644-1911) stand vor einer komplizierteren Herausforderung: Wie erzeugen wir die Trippelschritte der Damen aus der antiken Han-Dynastie ohne körperliche Missbildungen? Die Lösung war ein Absatz in der Mitte des Schuhs. Das Museu do Oriente in Lissabon zeigt ein Beispielpaar aus dem 19. Jahrhundert. Aus orthopädischen Gründen ist es definitiv ein Segen, dass sich diese Idee im ostwestlichen Kulturaustausch nicht durchgesetzt hat.
Kulturaustausch durch die Nase: Der Schnupftabak erobert China
Im 17. Jahrhundert erlebte China eine neue Mode: Schnupftabak. Ins Land gebracht hatten ihn die Portugiesen, etwa ein Jahrhundert zuvor. In Europa galt er zu jener Zeit als probates Mittel gegen Kopfschmerzen und Störungen der Atemwege. Den Weg nach China fand er, wie alle anderen Handels- und Kulturgüter auch, über Macau. Schon bald wuchs Schnupftabak auf den Feldern von Fujan und Kanton.
Der größte Schnupftabak-Fan war der Kaiser von China selbst. Seine Höflinge taten es ihm eilig nach, und gegen Ende des 18. Jahrhunderts schnupfte das ganze Land. Die Herstellung der Gefäße, die den Schnupftabak enthielten, beschäftigte bald eine ganze Industrie. Sie bestanden aus Porzellan, Glas, Jade, Bergkristall, Perlmutt, Elfenbein und vielen anderen, meist kostbaren Materialien.
Abgesehen von ihrer ästhetischen Vielfalt sind sie ein geradezu idealtypisches Beispiel für gelungenen Kulturaustausch: Sie liefern die fernöstliche Hülle für einen Import aus dem Westen, der einschlägt wie eine Bombe und bald aus dem chinesischen Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Das Museu do Oriente in Lissabon inszeniert sie wie Schmuckstücke, und tatsächlich ist jedes Einzelne von ihnen ein Unikat. Die beiden Vitrinen sind barrierefrei angebracht und daher recht niedrig. Dennoch lohnt es sich, genau hinzugucken und die vielen kleinen Details zu entdecken, die diese Miniaturgefäße so einzigartig machen.
Japanischer „Jugendstil“: Bentō-Boxen en miniature in Lissabon
Schmuckstücke sind auch die luftdicht verschließbaren Schachteln, die die Japaner der Edo-Zeit (1603-1867) trugen. Die damals herrschenden Tokugawa-Shogune brachten den japanischen Inseln mehr als 250 Jahre Frieden, was unter anderem zur Entwicklung geschäftiger Handels- und Handwerkszentren führte. Die damalige Hauptstadt Edo, das heutige Tokyo, zählte schon Mitte des 18. Jahrhunderts mehr als eine Million Einwohner. Den Portugiesen gab das trotz der politischen Isolation des Edo-Reichs reichlich Gelegenheit zum Waren- und Kulturaustausch. Entsprechend waren es portugiesische Handelsschiffe, die die in Japan Inro genannten Schachteln nach Europa brachten. Dort galten sie als Sammlerobjekte. In Japan dagegen erfüllten sie einen praktischen Zweck. Mangels Taschen an ihren Kleidern transportierten die Japaner darin Medizin und leichtverderbliche Waren.
Inro waren winzige, exakt gearbeitete „Kommoden“ mit übereinander angeordneten Schubladen. Sie hingen an zwei Trageriemen von einer Gürtelschärpe herab und bestanden wie die chinesischen Schnupftabakdosen aus kostbaren Materialien wie Elfenbein, Emaille oder Porzellan. Einfachere Exemplare waren aus lackiertem Leder, Holz oder Papier gefertigt.
Viel Sorgfalt verwandten die Hersteller dieser Bentō-Boxen en miniature auf die Verzierung, die den besonderen Stellenwert der Inro unterstreicht. Die Ornamentik erinnert an japanische Tuschezeichnungen. Deren Einfluss auf europäische Künstler wie Paul Klee ist bekannt, die Art der Motive taugt aber auch als Inspirationsquelle für den Jugendstil. Das Museu do Oriente in Lissabon zeigt eine ausgesuchte Inro-Kollektion, die die hohe Qualität der Handwerksarbeit besonders gut zur Geltung bringt.
Fremdheit statt Kulturaustausch: Das Pferd aus Osttimor
Timor-Leste oder Osttimor, ab 1515 portugiesische Kolonie, 1975 von Indonesien besetzt und erst 2002 unabhängig geworden, ist bis heute die Heimat von 16 Völkern des austronesischen Kulturraums. Noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts spielten die hier ansässigen Stämme eine entscheidende Rolle und zettelten immer wieder Aufstände gegen die Kolonialmacht aus Europa an. Für die Portugiesen war Osttimor ein wichtiger Baustein ihres Handelsimperiums, doch der Rückhalt in der Bevölkerung war brüchig.
Wie schwierig das Verhältnis war, zeigt die Kalksteinbüste eines portugiesischen Marineoffiziers im Museu do Oriente in Lissabon. Sie entstand etwa 1920, doch trägt der Dargestellte einen Dreispitz, wie er im 17. Jahrhundert üblich war. Abbildungen von Europäern kommen in der traditionellen Kunst Osttimors nur sehr selten vor und markieren gewöhnlich die Grenze zwischen öffentlichen Bereichen und heiligen, für Stammesfremde verbotenen Plätzen. Für Angehörige der Kolonialmacht bedeuteten sie: Bis hierhin und nicht weiter!
Ein wirklicher Kulturaustausch fand nicht statt. Entsprechend konzentriert sich das Museum auf die Darstellung der traditionellen osttimoresischen Bildsprache. Einer der Höhepunkte ist die große, ausdrucksstarke hölzerne Skulptur eines Reiters. Auf der Flanke des Pferdes sind Sonnenscheibe und Mondsichel zu sehen, die in der einheimischen Stammeskultur als Machtsymbole gelten und die Seele des Verstorbenen auf seiner Reise in das Land der Vorfahren begleiten.
Eine Welt für sich: Die Chinesische Oper im Museu do Oriente
Eine ganze Halbetage widmet das Museu do Oriente in Lissabon der Chinesischen Oper. China war für alle europäischen Kolonialmächte ein wichtiger Handelspartner, aber ähnlich wie heute blieb die Kultur des Riesenreiches den meisten Händlern ein Rätsel. Für die Sprache gab es im Laufe der Zeit immer mehr Dolmetscher, Kulturübersetzer dagegen waren stets rar gesät. Die Fremdheit überwog und verhinderte einen intensiven Kulturaustausch.
Umso größer war die Faszination der Europäer für diese fremde Welt. In der Chinesischen Oper tritt diese Fremdheit besonders deutlich zutage. Wer sich ausreichend gegen die heruntergekühlte Klimatisierung der Ausstellungsräume wappnet, findet hier reichlich Ansatzpunkte für eine kulturelle Annäherung. Anhand von greifbaren Ausstattungsobjekten wie Bärten, Gewändern und Masken entschlüsselt das Museum die Charaktere der Chinesischen Oper und ihre Bedeutung. Musikinstrumente und Filmaufnahmen versuchen, die eigensinnige Klangwelt dieses einzigartigen Musiktheaters zu vermitteln.
In der historischen Rückschau darf die Kulturrevolution natürlich nicht fehlen. Sie verdammte die traditionellen Inhalte der Stücke, verfolgte die Protagonisten und missbrauchte die Oper für ideologische Erziehungsmaßnahmen. Leider sind gerade in diesem Abschnitt die erklärenden Texte oft nur schlecht lesbar. Mit ein wenig mehr Beleuchtung könnte die Ausstellung deutlich mehr Licht auf ein kulturelles Phänomen werfen, das in Europa bis heute oft nur hilfloses Achselzucken erzeugt.