Vorweihnachtszeit in Neapel
8. Dezember in Italien. Das Fest der Immacolata, der unbefleckten Empfängnis. Die Weihnachtszeit beginnt. Dieses Jahr ist der 8. Dezember ein Dienstag. Ein langes Wochenende, ein Ponte zur Vorweihnachtszeit. Wahnsinn. In Neapel ist die Hölle los. Die Tourismus-Verantwortlichen bereiten sich auf einen Mega Ansturm vor. 2 Schlittschuhbahnen, 44 Konzerte, 23 Ausstellungen und über 60 Aufführungen von Straßentheater sollen die Besucher der süditalienischen Metropole in der Weihnachtszeit unterhalten und begeistern.
Dazu gibt es unzählige Weihnachtsmärkte und eine echte neapolitanische Spezialität die Tombola Vajassa. Eine Art Bingo veranstaltet von Femminielli. Femminielli sind Männern die in Neapel schon seit Kindertagen als Mädchen und als Frauen leben. Transgender hat in Neapel eine sehr, sehr lange Tradition. Der Femminiello taucht als Charakter sogar in der neapolitanischen Krippe auf, als Glücksbringer. Den Hauptpreis der Tombola stiftet übrigens ein Sexshop mit dem Namen „69“. Weihnachten in Neapel ist eben auch kreischend bunt und irgendwie vulgär.
Die Straße der Krippen: Via San Gregorio Armeno
Neapel hat sich zur Weihnachtsmetropole gemausert. In der verwinkelten, dicht bebauten Altstadt, die so aussieht wie ein mittelalterliches Manhattan, wird es an diesem Ponte Wochenende zum 2. Advent bestimmt rammelvoll. In den engen Straßen stauen sich neugierige Neapolitaner, schaulustige Italiener und interessierte Reisegruppen aus aller Welt zwischen Pizzabäckern, Schinken-Boutiquen und Käse-Apotheken.
Den Verkäufern in den neapolitanischen Spezialitäten-Geschäften werden am Mittwoch zwar die Beine und der Rücken schmerzen. Macht aber nichts. Von den Umsätzen am Immacolata Wochenende 2015 werden sie auch dann noch schwärmen, wenn die lästigen Schmerzen längst abgeklungen sind.
Mitten in der Altstadt, zwischen der Via Tribunali und der Via Benedetto Croce pulsiert der Hotspot der neapolitanischen Weihnachtsindustrie. Die Via San Gregorio Armeno. Und da wollen all die Menschen hin. Denn in kleinen Werkstätten rund um den barocken Kirchturm von San Gregorio verwandeln sich Ton, bunte Farbe und prächtige Stoffe unter den geübten Händen der Krippenmacher in die kunstvollen Figuren der neapolitanischen Krippe. Krippenmachen ist in Neapel ein Handwerk mit vielen Jahrhunderten Tradition.
Die neapolitanische Krippe: Tradition & Gegenwart
Zwei bis drei Wochen dauert es bis eine Krippenfigur individuell modelliert, bemalt und eingekleidet ist. Alles in Handarbeit. Und das hat seinen Preis. So eine echte Krippenfigur können sich heute nur wenige leisten. Darum musste ein neues, preiswerteres Geschäftsmodell her. Die massenhaft produzierte, vollbemalte Figur berühmter Zeitgenossen. Im Angebot: Silvio Berlusconi, der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Apple-Gründer Steve Jobs aber auch Fußballer Heilige wie Diego Maradona, die Hand Gottes, oder die Nummer 17 des SSC Napoli Marek Hamsik.
Mit der Darstellung dieser Idole hat vor über zwanzig Jahren Krippenbauer Pasquale Mormone begonnen. Als das alte Italien von Mailand bis Palermo in den Untiefen eines widerlichen Korruptionssumpf versank, erfand Mormone die Pastori dalle Mani Pulite, die Hirten von den sauberen Händen. Das ist schon ein bisschen in die Jahre gekommen. Wer spricht heute noch von den Staatsanwälten in Mailand, die Ende der 80er Jahre die erste italienische Republik zum Einsturz brachten? Aber Politiker, Showstars und Fußballer stehen auch heute noch in der Weihnachtskrippe.
Wie war das so unkompliziert möglich? Das hängt mit dem Ursprung der Krippe zusammen. Denn der liegt nicht in der christlichen Weihnachtsgeschichte. Der Ursprung der neapolitanischen Krippen reicht viel weiter zurück. Schon die heidnischen, griechisch-römischen Bewohner Neapels haben mit Laren und Penaten die Schutzgötter des Hauses und die Ahnen der Familie verehrt. Dazu haben sie kleine Figürchen in Nischen und auf Altären rund um die Götterbilder arrangiert. Das heutige Neapel ist die wahre Erbin der Antike. In der neapolitanischen Krippe leben diese heidnischen Kulte der Laren und Penaten fort. Die Weihnachtsgeschichte ist für diesen abergläubischen Spuk nur eine fromme Maskerade. Deswegen finden die hoch verehrten oder verachteten Stars und Sternchen der Gegenwart so unkompliziert ihren Platz in der Krippe unterhalb des Christkindes.
Mehr ist mehr, Vanitas im teatro statico
Alltägliches, Menschliches gehört zur neapolitanischen Krippe sowieso von Anfang an mit dazu. In einer hügeligen Szenerie aus Baumrinde, vor antiken Säulchen, am Hafen oder im Restaurant poussieren reizende Marketenderinnen, Köche, Fischverkäufer. Da hängen beim Schlachter die Poularden am Haken, bunte Fasanen und Hasen werden auf der Theke ausgelegt. Beim Gemüseverkäufer sind Artischocken und Wirsing-Köpfe zu Pyramiden gestapelt. In den Töpfen und Pfannen werden schmackhafte Nudelgerichte zubereitet.
In der neapolitanischen Krippe gilt ein einfaches Gesetz: mehr ist mehr! Auf dieser Bühne inszeniert sich ein üppiges, farbenfrohes und heiteres Teatro Statico. Fast wie ein vergängliches Vanitas Stillleben, so als ob es kein Morgen gäbe.
Die neapolitanische Krippe ein königliches Vergnügen
Das Krippenbauen war einst ein königlicher Zeitvertreib. Als Karl der III von Bourbon sich nach einer Krippe sehnte, die größer und schöner sei, als alles was er kannte, begann er sofort zu basteln. Seine Gemahlin Amalie von Sachsen nähte beim Kerzenschein die Kleider. Bis der edlen Dame der Geduldsfaden riss. Sie hatte sich die weißen Finger mit der Nadel wundgestochen.
Fortan wurde aus der königlichen Leidenschaft für andere ein Beruf. Die Köpfe und Gliedmaßen wurden aus edlem Porzellan in Capodimonte modelliert. Die Stoffe kamen aus den Seidenwebereien im Königreich. Das machte aus der Krippe einen der größten Exportschlager made in Napoli.
Das Tolle an der neapolitanischen Krippe ist, wie einfach sie verschiedene Welten miteinander verbindet. Denn mitten in dem gegenwärtigen, bunten, barocken Treiben der Marktfrauen und Fischverkäufer auf dem städtischen Markt, am Hafen oder in der Schenke befindet sich die heilige Familie. Wasserläufe, Brücken und Brunnen verbinden die Unterwelt der Toten mit der Welt der Lebenden. Reich und Arm stehen dicht nebeneinander. Vornehm gekleidete Krippenfiguren ausgestattet mit den Symbolen der Oberschicht stehen neben tölpelhaften Figuren, die vom Leben abgehängt zu sein scheinen.
Vom Geist und vom Körper
Was wäre eine Krippe ohne Engel? Ein ganzer Chor aus duftig gekleideten Geistwesen gehört natürlich zur Krippe mit dazu. Die Engel verkünden den Hirten die frohe Botschaft. Sie leiten die Weisen aus dem Morgenland. Sie flattern aufgeregt um Tempelsäulchen über den Köpfen der heiligen Gesellschaft. Anmutig biegen und wenden sie sich, staunen und jubeln. Das ist schon eine lustige Schar.
Unterhalb der heiligen Familie findet sich traditionell eine der dramatischsten Figuren in der Krippe. Der lahme Bettler mit dem Knaben. Was hat sich ein Künstler wie Sammartino bei dieser Darstellung gedacht? Wie kann es sein, dass solche herkuleischen Mannsbilder vom Elend zu Boden gerungen sind? Warum zeigen diese Männer überhaupt ihren unverschämt sexy Body vor?
Vielleicht steckt in diesen wunderschönen, ambivalenten Figuren der Bettler ja ein Geheimnis. Das Geheimnis der Fleischwerdung Gottes in menschlicher Gestalt. Der Bettler hat zwar einen herrlichen, kräftigen Leib, der nach dem Bilde Gottes geformt ist. Aber der Bettler ist so schwach, dass er doch zu einem Hilfe bedürftigen Mensch wird. Er ist ein schwacher Mensch, der erlösungs-bedürftig vor dem Christkind um Gnade ringt.
Die Krippe, Johann Wolfgang von Goethe und Sir William Hamilton
Schon Johann Wolfgang von Goethe hat die neapolitanischen Krippen bewundert und in seiner Italienischen Reise als entschiedene Liebhaberei der Neapolitaner gewürdigt. In seinen Reiseerinnerungen vom 27. Mai 1787 ist die Krippe “in dem heiteren Neapel bis auf die flachen Hausdächer gestiegen; dort wird ein leichtes hüttenartiges Gerüste erbaut, mit immergrünen Bäumen und Sträuchen aufgeschmückt. Die Mutter Gottes, das Kind und die sämtlichen Umstehenden und Umschwebenden, kostbar ausgeputzt, auf welche Garderobe das Haus große Summen verwendet. Was aber das Ganze unnachahmlich verherrlicht, ist der Hintergrund, welcher den Vesuv mit seinen Umgebungen einfaßt.“ Das muss tatsächlich ein fantastischer Anblick gewesen sein: die Krippe vor dem rauchenden Vesuv.
Diese reizende Darstellung der neapolitanischen Krippe ist eingebettet in die pikante Schilderung einer Visite beim englischen Botschafter in Neapel, Sir William Hamilton. Goethe besucht mit dem “Kunst- und Mädchenfreund“ Hamilton erst dessen “geheimes Kunst- und Gerümpelgewölbe“. Danach lässt er sich eine Performance von Emma Hardt, der späteren Lady Hamilton gefallen.
Der Konzeptkünstler Mark Dion hat diese Schilderung zum Anlass genommen aus William Hamilton eine Krippenfigur zu machen. In der Ausstellung “The Pursuit of Sir William Hamilton“ stand ein Porträt des englische Botschafters, Vulkanologen und Antikensammlers unter einer Glasglocke. Er war umgeben von weiteren Figürchen, die Geistesgrößen des 20. Jahrhunderts darstellten: Michele Foucault, Joseph Beuys, Claude Levi Strauß, Hannah Arendt und Jaques Costeau. Das Kunsthandwerk ist im Gedankenreich der Konzeptkunst angekommen.
Reise Tipps: Neapolitanische Krippen
In der Krippengasse in Neapel, der Via Gregorio Armeno, wird das ganze Jahr über an Krippenfiguren gearbeitet. Deswegen lohnt sich auch im Frühjahr oder während der Sommermonate ein Besuch. In der Krippengasse kannst Du ein altes Kunsthandwerk bewundern und den Artigiani bei der Arbeit zuschauen. In der Werkstatt Ferrigno wird seit vielen Generationen die alte Tradition des Krippenmachens gepflegt. Außerdem gehören Straßen, in denen sich ein Handwerk oder ein Gewerbe konzentriert zum typischen Stadtbild von Neapel. Auf der Via San Sebastiano zum Beispiel findest Du fast nur Geschäfte für Musikbedarf. In der Via Santa Maria di Constatinopoli sind die Antiquare und Restauratoren zu Hause.
Via San Gregorio Armeno
Wenn Du Dich für die neapolitanische Krippe interessierst, dann lohnt sich ein Besuch des Chiostro Maiolicato bei Santa Chiara. Hier ist das ganze Jahr über eine große Krippe mit vielen 100 Figuren in einer fantastischen Kulissenlandschaft ausgestellt.
Eine weitere Krippe findest Du im Palazzo Reale. Dort ist sie in der Palast Kapelle aufgestellt. Hier kannst Du nah vor der Krippe stehen und sehen wie lebensecht die Figuren gekleidet sind und wie kunstvoll die vielen kleinen Details gestaltet sind.
In der Certosa di San Martino oberhalb der Stadt befindet sich die größte Krippensammlung Italiens. Hier kannst Du Krippen-Meisterwerke von genialen Künstlern wie Giuseppe Sammartino, Domenico Vaccaro oder Lorenzo Mosca bewundern. Hingehen! Lohnt sich!
Wenn Du Dich für Neapel interessierst, dann lies diese Artikel
- Golf von Neapel Reiseberichte
- Kampanien Reiseberichte
- Neapel Tipp: 7 Museen für Deinen Neapel Städtetripp
- 12 ultimative Neapel Tipps
- Ravello und die Amalfiküste
- Sorrent – Gran Paradiso
- Capri und die Zeit dazwischen
- Caravaggio in Neapel – Ein Genie auf der Flucht
- Pinacoteca di Brera Mailand: 12 Meisterwerke, die Du sehen musst
Krippen aus Neapel – Auf einen Blick
Die Faszination der neapolitanischen Krippen hat Neapel in der Vorweihnachtszeit zu einem Top Reiseziel in Italien gemacht. Im November und Dezember strömen Menschen in die Altstadt Neapels. In der Via San Gregorio Armeno wollen sie das Handwerk der Krippenmacher bewundern. Auch mich hat die Begeisterung für die neapolitanische Krippe nach Neapel gelockt. Zu Beginn der Weihnachtszeit war ich in der Altstadt unterwegs und habe versucht das ein oder andere Geheimnis der neapolitanischen Krippe zu lüften. Am Ende des Artikels gibt es Tipps wo Du die schönsten Krippen in Neapel sehen kannst.