Inseln: Vom Wasser umschlossene Orte
We HEART Globen. Und Inseln sowieso. Kein Wunder also, dass ich für Sirenen & Heuler kopfüber eingetaucht bin in den Taschenatlas. Das Phänomen der Inseln und ein ganz persönlicher Zugang zu Atlanten, Globen und (Nicht) Reisen stehen nämlich am Anfang dieser Sammlung außergewöhnlicher Erdflecken, ihrer Lage, ihrer Entdeckung und ihrer Geschichte.
Das Buch wurde als Atlas der entlegenen Inseln 2009 im Mareverlag veröffentlicht. Mittlerweile liegt es als Taschenatlas im Taschenbuchformat vor. Im Jahr seines Erscheinens erhielt der Erstling der Kommunikationsdesignerin Judith Schalansky den 1. Preis der Stiftung Buchkunst und zum „schönsten deutschen Buch des Jahres“ gekürt. Konfetti.
Der Taschenatlas der abgelegenen Inseln ist ein super Geschenkbuch. Das finde zumindest ich, als ich es 2011 zum Geburtstag überreicht bekam. Es eignet sich als Coffeetable Book, zum ziellosen Herumstöbern. Liefert wunderbare Mini-Auszeiten, um sich aus dem Alltag rauszubreamen. Und den Geist auf Reisen zu schicken. Aber mal von vorn.
Worum geht’s im Taschenatlas der abgelegenen Inseln
Vom Atlantischen über den Indischen und Pazifischen bis zum Antarktischen Ozean geht das literarische Inselhopping mit Judith Schalansky. sind die Inseln – nach Lage im jeweiligen Ozean geclustert. Einige von ihnen sind bewohnt, andere nicht. Mit dem Finger auf der Landkarte – getrieben von Sehnsüchten und staunendem Erschaudern, geht Schalansky ihrer Geschichte nach. Und fördert das Feinstoffliche zwischen den im Meer liegenden Stein- und Geröllhaufen zutage.
Zum Beispiel über Trinidade, die portugiesische Dreifaltigkeitsinsel im Atlantischen Ozean, 1450km entfernt von Rio de Janeiro. Als „topographisches Desaster“ wird die Ilha da Trinidade beschrieben, das aufgrund seiner abweisenden, zerklüfteten und abschüssigen Struktur immer wieder Spaziergänger spurlos verschwinden lässt.
Oder über die französische Ile Amsterdam, auch Nouvelle Amsterdam genannt, deren gestaltgebene Krater 3370km von Australien und 4290km entfernt von Südafrika aus dem Indischen Ozean hervorlugen. Von Anthonie van Diemen 1633 benannt, von Alfred van Cleef Ende der 1990er wiederentdeckt, der hier notiert: „Nichts ist befreiender als die selbstgewählte Einsamkeit.“
Oder die Howlandinseln im Pazifischen Ozean, die traurige Berühmtheit erlangen, weil die Flugpionierin Amelia Earhart auf ihrem Weg dorthin am 2. Juni 1937 nach verheißungsvollen 20 Flugstunden kurz hinter der Datumsgrenze vom Radar verschwand. Ihr letzter Funkspruch: „Wir kommen auch euch zu, aber wir können euch nicht sehen. Treibstoff wird knapp.“
Oder das zu Papua-Neuguinea gehörende Takuu, ein auf einem Archipel-Ring im Pazifischen Ozean liegendes Inselchen, wo die gut 500 Einwohner dem Untergang ihrer Heimat mit Gebeten und vergorenem Kokossaft begegnen und die Einmischung von Forschern und Missionaren strikt ablehnen.
Oder Deception im Antarktischen Ozean, wo chilenische und norwegische Walfänger im 19. Jahrhundert in der Not entbehrungsreicher Winter die Heizkessel nicht mit Kohle, sondern mit toten Pinguinen heizen. Als einzige Frau, die in jenen Tagen dabei war, die Gattin des Geschäftsführers der Walfang-Gesellschaft, Marie Betsy Rasmussen.
Taschenatlas vs. Globus. Über Stil und Stilmittel
Der Taschenatlas folgt einem strengen formalen Aufbau. Judith Schalansky verantwortet in ihrem ersten kartographisch-literarischen Werk nicht nur die Auswahl und Beschreibung der 50 abseitigen Eilande, sondern auch Illustration, Gestaltung und Satz. Auch der inhaltliche Aufbau der einzelnen vierseitigen Insel-Geschichten folgt einem wiederkehrenden Prinzip:
Die erste Doppelseite hilft den Lesern sich zu verorten. Linkerhand sind stichwortartige Informationen gebündelt: Wo sind wir gerade in Breiten- und Längengraden. Zu welchem Herrschaftsgebiet gehört diese entlegenen Insel, wo auf der Erdoberfläche ist sie zu finden? Und wie weit ist die von den nächsten bekannten größeren Inseln oder Landmassen entfernt?
Die Geschichte der Entdeckung wird auf einem separaten Zeitstrahl eingeordnet, auch auffällige Ereignisse, zum Beispiel in Bezug auf (wechselnde) Besitzverhältnisse. Auf der jeweils rechten Seite prangt zartgrau auf (eigentlich himmel-)blau die hier beschriebene Insel.
Die jeweils folgende Doppelseite erzählt eine Vignette, die einen zentral mit der jeweiligen Insel verwobenen Moment aufgefächert. Alle dieser Kürzest-Geschichten sind laut Aussage der Autorin recherchiert und auf Basis ihrer historisch belegten Informationslage literarisch erzählt.
Die ausgewählten Inseln sind im Verhältnis 1:200.000 abgebildet. Eine gelungener gestalterischer Kunstgriff und somit charmante Insellösung. Schalansky umgeht so das allgemeine Darstellungsproblem aller Globen und „Weltkarten“ und den rücksichtslos verfälschende darstellerische Ordnungswut, die die Autorin im einleitenden Text beschreibt:
„Im Atlas dagegen darf die Erde noch so übersichtlich und flach sein, wie sie es lange Zeit war, bevor Entdeckungsreisen den verheißungsvollen weißen Flecken der unerforschten Gebiete Konturen und Namen gaben und die Ränder der Weltkarten von den sich dort tummelnden Seeungeheuern und skurrilen Monsterrassen befreiten (…) Die Welt auf einen Blick sichtbar machen zu wollen, wirft Probleme auf, die nicht befriedigend zu lösen sind. Alle Projektionen stellen die Welt verzerrt dar. Entweder stimmen die Entfernungen, die Winkel oder die Verhältnisse der Flächen nicht.“
aus: Judith Schalansky’s Taschenatals. Kapitel: Das Paradies ist eine Insel. Die Hölle auch, S. 15.
Die Autorin erinnert sich, wie sie als Kind in der DDR mit dem Finger auf der Landkarte reiste oder später – geradezu obszön greifbar, auf dem reliefierten Globus auf Entdeckungsreise ging. Extreme wie den Mariannengraben und das Himalaya Gebirge ertastete, immer wieder. Das Buch transformiert diese haptische Sehnsucht in einer anmutigen, formalen Strenge und bannt sie so auf die bedruckte Fläche.
Zur Sprache im Taschenatlas
Ich gestehe, dass ich Schalanskys Folgewerk, den Bildungsroman „Der Hals der Giraffe“ und auch den Matrosenroman „Blau steht dir nicht“ (noch) nicht gelesen habe. Dem Taschenatlas merke ich an, dass die Autorin als Kommunikationswissenschaftlerin und Kunsthistorikerin auf ihr erstes literarisches Thema zugeht. Man sieht es ihr nur zu gern nach, weil das Gesamtkunstwerk in seiner Ernsthaftigkeit und konzeptionellen Stimmigkeit überzeugt.
Die Rand-Betrachtungen einer exzessiv kartographierten Erde laden dazu ein, von der eigenen inneren Insel heraus mit neuer Dankbarkeit auf alles zu blicken, was das eigene Leben umspült. Das kleine Leben und die Insel, die man sich selbst gebaut hat, auf der man gestrandet ist, mit dem Finger zu umfahren, die reliefierte Struktur im Geiste zu ertasten. Ganz einfach der Ort, an dem man jetzt gerade ist.
Büchersteckbrief Taschenatlas
Judith Schalansky
Taschenatlas der abgelegenen Inseln
4. Auflage März 2013 Fischer Verlag (Erstveröff. 2009 mareverlag)
239 Seiten
ISBN: 978-3-596-19012-6
Kurzbiografie Judith Schalansky
Judith Schalansky, geboren 1980 in Greifswald, studierte Kunstgeschichte sowie Kommunikationsdesign und lebt als freie Autorin und Gestalterin in Berlin. 2006 veröffentlichte sie ihr typographisches Kompendium »Fraktur mon Amour« im Verlag Hermann Schmidt Mainz, das mit mehreren Designpreisen ausgezeichnet wurde. Ihr literarisches Debüt, der Matrosenroman »Blau steht dir nicht«, erschien 2008 bei mare. Im Jahr 2009 erhielt Judith Schalansky ein Stipendium der Villa Aurora in Los Angeles. (Quelle: FischerVerlage)
Sirenen & Heuler lieben Inseln
Inseln, die
Helgoland
Norderney
Amrum
Azoren
Capri
Der Mann, der Inseln liebte, Wiederentdeckung einer Erzählung von D.H. Lawrence