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Die Ruine der Kirche La Incompiuta in Venosa in der Basilikata.
Die Ruine der Kirche La Incompiuta in Venosa in der Basilikata.

Venosa – Von Dichtern, Doppelmördern und Warlords

Venosa ist ein kleines, fast vergessenes Städtchen im Norden der Basilikata. Dabei sind aufregende Geschichten von Warlords und Doppelmördern aus Venosa zu erzählen. Ebenso von bedeutenden Persönlichkeiten wie Horaz, Robert Guiscard, Gesualdo. Aber was versteckt sich bloß hinter La Incompiuta?
Inhalt

Venosa in der Basilikata

Neulich bin ich völlig überraschend über den Dichter Horaz gestolpert. Also über Quintus Horatius Flaccus, diesen berühmten römischen Dichter aus Venosa in der Basilikata. Als Horaz noch lebte, hieß dieser Ort Venusia und lag direkt an der vielbefahrenen Via Appia. Die überraschende Begegnung mit Horaz ereignete sich übrigens auf meinem Sofa, während der Lektüre eines guten Buchs.

In seinem fantastischen Abenteuerroman Der Graf von Monte Christo nimmt Alexandre Dumas seine Leser mit zu einem Besuch bei König Ludwig dem XVIII. Der König wird davon unterrichtet, dass sein Gegenspieler Napoleon die Verbannung in Elba verlassen hat. In dieser brenzlichen Situation sitz Ludwig an einem Tisch, er schreibt “Randnotizen in einen Band mit Werken des Horaz, eine ziemlich fehlerhafte, aber weit verbreitete Ausgabe von Gryphius, die seiner Majestät reichlich Stoff für scharfsinnige philosophische Bemerkungen bot”, erzählt Dumas.

Warum Horaz? frage ich mich. Später zitiert Ludwig sogar noch den römischen Dichter Vergil: “conimus surdis”kommentiert der König die Horror Stories eines Hofschranzen über Napoleons Landung, die er nicht hören möchte. Leider falsch zitiert, lieber Ludwig! Canimus surdis, müßte es heißen, wir predigen für Gehörlose.

Ein fehlerhafter Horaz und ein falsches Vergil Zitat, wie genial ist das denn? Mit spitzer Feder entlarvt der großartige Alexandre Dumas  in wenigen Zeilen die Rückschrittlichkeit der Monarchie, und ebenso die Borniertheit eines klassischen Bildungskanons.

Reise nach Venosa – Im Gepäck irgendwie Horaz

Als ich nach Venosa gefahren bin, habe ich einige Horaz Gedichte gelesen. Zur Vorbereitung, denn Venosa ist der Geburtsort des Dichters. Mir ist seine Lyrik allerdings fremd geblieben. Auch wenn sie zu den bedeutenden literarischen Zeugnissen aus dem Rom des August und des Maecenas zählen soll.

Dennoch fand ich Horaz und seine ironischen Altherrenklagen über den Haarausfall, den trägen, verfetteten Körper und die versiegende Potenz ganz unterhaltsam. Tatsächlich musste ich manchmal sogar unfreiwillig schmunzeln, denn inzwischen weiß ich aus eigener Erfahrung, älter werden ist nicht nur lustig. Glücklich, wer aus einer ironischen Distanz darüber Spaßen kann. Aber ganz ehrlich eine Reise nach Venosa ist auch ohne Horaz Lektüre außerordentlich schön.

Schon die Fahrt durch die hügelige, landwirtschaftlich geprägte Landschaft im Norden der Basilikata ist fantastisch. Der gewaltige Vulkankegels des Monte Vulture ist immer wieder zu sehen, ohne dabei die Landschaft zu dominieren. Schmale Wege schlängeln sich zwischen sanften, grünen Hügeln. Je näher ich Venosa komme, desto enger und maroder werden die Straßen. Einmal verfahren wir uns und landen auf einer echten Schlaglochpiste.

Ein Straße schlängelt sich durch die Hügel der Basilikata. Bei Venosa wachsen Wein und Oliven in kleinen Feldern.
Auf dem Weg nach Venosa. Olivenhaine und manchmal Wein prägen die Landschaft in der Basilikata rund um den Monte Vulture

Fast so wie die Vergangenheit – Die Landschaft der Basilikata

Wir lassen die riesigen Getreidefelder, die weite Teile der Basilikata prägen, hinter uns. Dafür fahren wir durch eine kleinteilig parzellierte Agrarlandschaft. Ziemlich beruhigend für die Augen, mal eine Landschaft in Süditalien zu betrachten, die nicht mit Betonquadraten völlig zugebaut sondern durch kleine Felder und Olivenhaine anmutig gegliedert ist.

Aber diese Fahrt verrät nichts darüber, dass Venosa verkehrstechnisch einstmals super günstig an der berühmten Via Appia lag. Wer vor zig 1000 Jahren vom alten Rom Richtung Brindisi oder noch weiter nach Athen reisen wollte, der musste diesen Highway nutzen und kam dabei zwangsläufig an Venosa vorbei.

Autoverkehr nach Venosa fällt mir nicht weiter auf. Vor uns tuckert allerdings ein Trekker, der sich nicht überholen lässt. Das ist etwas nervig. So nähern wir uns Venosa und durchleben dabei – einmal wegen der schlechten Straßen, dann aber auch wegen der vielen Eindrücke, die es zu verarbeiten gilt – einen schleichenden Prozess der Entschleunigung. Damit hätte ich nicht gerechnet, als ich mich auf den Weg gemacht habe.

La Chiesa Incompiuta und die Abtei Santissima Trinità di Venosa

Noch bevor wir Venosa erreichen, tauchen völlig überraschend, mitten auf der grünen Wiese die gewaltigen weißen Mauer einer geheimnisvollen Ruine auf. Das muss La Chiesa Incompiuta, die unvollendete Kirche sein. Davor erhebt sich das ziemlich zusammengestutzte Gemäuer der uralten Abteikirche Santissima Trinità di Venosa.

Was für ein Kontrast, dort die hochfahrenden und gescheiterten Pläne ehrgeiziger Benediktiner Mönche, die sich Ende des 12. Jahrhunderts eine außerordentlich beeindruckende Kirche bauen wollten. Und direkt vor mir eine aus groben Feldsteinen zusammengesetzte, windschiefe Kirche, die es irgendwie durch die Zeit geschafft hat.

Der einfache, durch unsichere Bögen gegliederte Kirchenraum der Santissima Trinità und seine monumentale – fast archaische – Schlichtheit werden durch Gruben, Überreste einer archäologische Grabung, empfindlich im Raumeindruck gestört. Eine nüchterne, moderne Stimmung schwebt bedrückend im Raum.

Dabei wäre es gerade hier schön, die Freiheit zu haben, sich in längst vergangene Zeiten wegzuträumen. Denn der berüchtigte Normannen-Herzog Robert Guiscard, der im nahen Melfi residierte, scheint diese frühromanische Kirche als Hauskloster und Grablege für seine Familie Hauteville gegründet zu haben. Seine Halbbrüder Wilhelm Eisenarm, Drogo de Hauteville und Humfred sollen hier ihr Grab gefunden haben.

Kapitell aus der Santissima Trinità di Venosa zeigt zwei grob gearbeitete Frauenköpfe.
Architektonisches Detail aus der Kirche Sanitissima Trinità di Venosa. Fragment eines Kapitells mit Frauenköpfen

Der Eroberer Robert Guiscard und seine Familie in Venosa

Von den Hauteville Gräbern hat sich aber nur das Grab der ersten Frau Guiscards erhalten. Links vom Altar steht das schlichte Grabmonument von Alberada, wie uns eine Inschrift verrät: “Aberada, Ehefrau des Guiscard, liegt in diesem Grab; wenn Du ihren Sohn suchst: Canosa hat ihn.“ Tatsächlich hat sich Bohemund von Tarent ein sehr prächtiges Mausoleum neben der Kathedrale von Canosa in Apulien errichten lassen.

Vielleicht war auch der berühmte Warlord Robert Guiscard, was so viel wie Robert der Schlaukopf oder der Verschlagene heißt, hier beigesetzt. Ein Grabmal gab es auf jeden Fall mit einer schauerlichen und etwas blumigen Inschrift, die ein englischer Chronist wie überliefert hat:

Hier liegt der Schlaukopf, der Schrecken der Welt
Aus der Stadt schleuderte er den König der Italiener und der Deutschen.
Weder Parther, Araber noch die Armee der Mazedonier konnten Alexius befreien,
Einzig die Flucht: Aber Venedig nutze weder die Flucht noch das Meer

Das Grab Robert Guiscard in der Kirche Santissima Trinita in Venosa in einer Wandnische mit Bild einer Kreuzigung.
In diesem einfachen Grab sollen Robert Guiscard und seine Brüder in Venosa bestattet sein

Ein Warlord aus dem Mittelalter – Robert Guiscard der Schrecken der Welt

Robert war einer der berühmtesten und gefürchtetsten Warlords seiner Zeit. Er hatte sich vom Straßenräuber bis zum Herzog von Apulien hochgeschlagen und sogar zwei Kaiser besiegt. Der Guiscard hat mit seinen Normannen Heinrich IV aus Rom vertrieben und im ersten Sacco di Roma, die ewige Stadt gründlich zerstört. Außerdem hat er die venezianische Flotte und das kaiserliche Heer von Konstantinopel geschlagen und damit die Normammen kurzfristig zu Herren über die Adria gemacht. 1085 war er gerade dabei Konstantinopel zu erobern, als er an einer Darminfektion starb.

Guiscard war so berühmt und so berüchtigt, dass sogar Anna Komnena, Kaisertochter aus dem fernen Byzanz, die Männer aus dem Norden eigentlich nicht leiden konnte, und die um nichts weniger ein Schlaukopf als Robert war, diesen in ihrem Geschichtswerk Alexias eindrucksvoll und lebendig schildert.

Die größten Krieger überragte eher um Hauptes Länge. Er hatte lange blonde Locken, breite Schultern, und seine Augen schleudert Blitze. Oft habe ich sagen hören, dass er durch das harmonische Ebenmaß seines ganzen Körpers als vollkommen schön zu gelten habe. Wie Homer von Archil berichtet, dass man glaubte, eine große Zahl von Menschen gleichzeitig reden zu hören, wenn man seine Stimme vernahm, so erzählt man von Guiscard, dass sein Ruf genügte um eine Armee von 60.000 Mann in die Flucht zu schlagen …

Auch wenn sich Anna und Guiscard nie begegnet sind, waren sie gewissermaßen familiär verbunden. Denn Roberts Tochter Helena, war mit dem byzantinischen Thronfolger Konstantin verlobt, der später Annas Ehemann werden sollte. In der Tat eine komplizierte Familiengeschichte. Wahrscheinlich wollte Anna mit der fast göttergleichen Schilderung des Guiscard ganz einfach nur die peinliche Niederlage ihres Vaters gegen die Normannen ins rechte Licht rücken. Gegen Augen die Blitze schleudern kann auch ein Kaiser nicht gewinnen.

Vor einem grauen Himmel heben sich die weißen der Mauern einer Ruine ab. Vorne der archäologische Park von Venosa.
Die Bauruine einer romanischen Kirche in Venosa: La Incompiuta. Im Vordergrund die Reste eines römischen Badehauses

Antike recycelt- La Chiesa Incompiuta

Robert Guiscard ist mit der Eroberung Konstantinopels gescheitert. Den Benediktinern von Venosa war bei der Vergrößerung ihrer Kirche Santissima Trinità auch kein Erfolg beschieden. Über einen Mangel an Baumaterial konnten sich die Mönche allerdings nicht beklagen. Anscheinend mussten sie nur quer über die Straße laufen und das römische Amphitheater als Steinbruch abtragen.

Dessen weißen Marmorquader haben sie dann Stein auf Stein zu einer gewaltigen Kirche nach französischem Vorbild aufgeschichtet. Unvollendet liegen gebliebene Gebäude strahlen häufig etwas Trauriges oder sogar Tragisches aus. Warum haben die Benediktiner Mönche es nicht geschafft, ihre schöne Kirche zu vollenden? Frage ich mich ganz unvermittelt. Hybris? War der Ehrgeiz größer als die Möglichkeiten? Hat eine schreckliche Seuche, die Mönche dahinrafft?

Wahrscheinlich ist alles viel profaner. Zwar erreichte die Abtei in Venosa während der Herrschaft Robert Guiscards große Bedeutung. Als seine Nachfolger aber das Zentrum der normannischen Herrschaft nach Sizilien verlagerten, ließ deren Bedeutung ziemlich schnell nach. Außerdem wandelten sich die religiösen Bedürfnisse der normalen Menschen und Bettelorden wie die Franziskaner kamen diesen religiösen Vorstellungen mehr entgegen. Ende des 13. Jahrhunderts wird die Abtei Santissima Trinità di Venosa aufgelöst und die letzten Benediktiner lassen eine unvollendete Kirche zurück.

Chorruine der Chiesa Incompiuta mit Nischen und Pfeilern aus weißem Mamor.
Die Ruine des Chors der unvollendeten Kirche
Römisches Relief mit Oberkörpern von vier Männern inToga in eine Mauer eingemauert.
Das Baumaterial für die neue Kirche in Venosa kam von den Ruinen des römischen Amphitheaters und einem Friedhof, auch ein Grabstein wurde verbaut

Der archäologische Park von Venosa

Leider gibt es von der Kirche keine direkten Zugang zu den erhabenen Ruinen der Chiesa Incompiuta. Der Eintritt ist nur durch einen archäologischen Park möglich. Der kurze Spaziergang durch den Park eröffnet die Möglichkeit, sich die Steine anzuschauen, die vom antiken Venusia, der Heimatstadt des Horaz übrig blieben. An den Grundmauern lassen sich die Öfen und Badesäle einer Thermenanlage erkennen. Etwas weiter gibt es einige Häuser, andere Mauerreste gehören zu einem frühchristlichen Kirchenbau.

In den Ruine der Chiesa Incompiuta blühen Löwenmäulchen, das ist außerordentlich schön. Senkrecht stehende Inschriften, deren Inhalt verloren gegangen ist, belegen, dass diese Steine von anderen Gebäude geraubt und hier wieder verwendet wurden. Sogar römische Friedhöfe wurden für Baumaterial geplündert, wie ein hoch oben eingebauter römischer Grabstein verrät. Wer sich jemals gefragt hat, wo eigentlich all die alten römischen Tempel, Theater und Paläste geblieben sind, erhält hier eine ganz klare Antwort. Diese nutzlos gewordenen Gebäude wurden noch Jahrhunderte später als Baumaterial für hochfliegende Pläne recycelt.

Eine breite Straße führ auf das Zentrum von Venosa zu. Rechts erhebt sich ein Turm des Kastells.
Das Kastell von Venosa
Auf einem Marmorsockel steht die Statue von Horaz, er trägt eine Toga und hält eine Schriftrolle in der Hand.
Horaz Denkmal im Zentrum von Venosa

Gesulado – Doppelmörder und Komponist

Der archäologische Park liegt gut einen Kilometer außerhalb des Zentrums von Venosa. Aber das will ich mir natürlich auch noch anschauen. Vielleicht finden ich eine schnuckelige Bar, in der ich bei einem Caffé über die vielen Eindrücke nachsinnen kann. Vor dem Kastell lässt sich parken. Und dort reihen sich unter einem Laubengang winzige Bars mit einem eher überschaubaren Angebot aneinander. Nicht so einladend.

Darum schlendere ich weiter ins Zentrum des kleinen Ortes. Auf dem Hauptplatz blickt ein metallener Horaz hilflos auf unordentlich parkende Autos hinunter. Die beiden Restaurants am Platz sind zu. Gewitterwolken ziehen auf. Vielleicht sollte ich doch in einer dieser Bars am Kastell einen kleinen Imbiss verputzen.

Jetzt gibt es nur noch eine Sache, die ich in Venosa machen muss. Musik hören! Und zwar von einem eifersüchtigen Fürsten und Doppelmörder, der in blinder Wut seine Frau und sein Kind erstochen hat, Carlo Gesualdo da Venosa. Ich setze meine Kopfhörer auf und tauche ab in die eigenartige Klangwelt des 16. Jahrhunderts. Der Bayerische Rundfunkt hat die trostlose Geschichte Gesualdos kurz und knapp in diesem Video erzählt. Schau mal rein:

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