Brot und Spiel – Das Amphitheater von Pozzuoli
Im ersten Teil des Reiseberichts über Pozzuoli und die Campi Flegrei bin ich in Neapel gestartet und habe mich auf die abenteuerliche Bahnfahrt mit der Cumana Richtung Pozzuoli begeben. Im aktiven Solfatara Vulkan habe ich mir die abenteuerliche Geologie der Phlegräischen Felder angeschaut und bin dann bis zum römischen Amphitheater von Pozzuoli gewandert. Vor dessen Tore stehe ich jetzt.
Das Amphitheater von Pozzuoli sieht genauso aus wie der große Vetter in Rom, das Colosseum. Stammt auch aus der gleichen Zeit. Irgendwann im 1. Jahrhundert, wurde es gebaut. Die Zeit ist allerdings zerstörerisch über dieses Amphitheater hinweg gegangen. Sie hat es in einen Steinbruch verwandelt. Die Fassade aus Marmor, die Sitzbänke, die Backsteinbögen wurde abgetragen und in neuen Gebäuden eingebaut oder ganz einfach brutal zu Kalk verbrannt. Die gewaltige Arena sieht mit den ansteigenden Sitzreihen fast so aus wie die Kaldera des Solfatara-Vulkans. Und brodelnd explosiv ist die Stimmung während der Ludis, der Kampfspiele in dieser Arena bestimmt gewesen. Denn dann kämpften gewalttätige Gladiatoren und wilde Tiere aus aller Herren Länder ums blanke Überleben. Das alles zur Belustigung eines sensationsgeilen Publikums.
Archäologie auf den phlegräischen Felder
Das Amphitheater in Pozzuoli bietet etwas ganz Besonderes. Und klar, das hat wieder mit dem Vulkanismus auf den Phlegräischen Feldern zu tun. Vulkanische Asche hat die Keller des Amphitheaters jahrhundertelang zugeschüttet und vor Zerstörung durch die aggressiven Steinräuber bewahrt. So konnte sich unter dem Vulkan etwas erhalten, was es bei anderen antiken Kampfarenen nicht zu bestaunen gibt. Die dunklen Kerker und Verließe, in denen die Kampfspektakel oben in der Arena vorbereitet worden sind.
Was herrschte hier unten in den dunklen Kerkern wohl für eine Atmosphäre, wenn oben die Gladiatoren kämpften und die hysterischen Zuschauer im Blutrausch johlten? Wie stickig war die Luft? Voll mit dem Gestank von Exkrementen der unruhigen wilden Bestien in den Käfigen? Geschwängert vom Testosteron oder dem Angstschweiß der Gladiatoren kurz vor ihrem Auftritt auf der großen Bühne? Welche Geräusche gab es? War die sprichwörtliche Stecknadel zu hören? Oder brüllten Löwen und Stiere wie am Spieß? Kreischten in einer Ecke schwer verletzte Gladiatoren vor Schmerz, wenn ein Arzt die zerborstenen Knochen wieder richtete? Schrieen Bühnenarbeiter sich kurze und knackige Befehle und Anweisungen zu? Eines ist sicher: So ruhig und menschenleer wie heute ging es während der Ludis hier unten bestimmt nicht zu.
Rione Terra – die nigelnagelneue Altstadt Pozzuolis
Vom Amphitheater schlendere ich über die Via Rosini bis hinunter zum Dom, denn der ist fertig restauriert. Die Rione Terra liegt auf einem Tuffsteinfelsen oberhalb des Hafens von Pozzuoli. Vor 40 Jahren wurde der Dom zugesperrt. Wegen des Bradyseismos auf den Campi Flegrei. Die Einwohner zogen aus der erdbeben- und einsturzgefährdeten Altstadt Pozzuolis aus. Ein hoher Maschendrahtzaun wurde um die Rione Terra errichtet. Der Zaun ist noch da. Aber tagsüber wird er jetzt aufgeschlossen. Die Rione Terra wird zum Besuchermagnet in Pozzuoli. Viele gelbe, rote, beige Häuschen. Keine Autos. Viele Fussgänger. Touristen. Ansonsten ist die Rione Terra menschenleer. Nach der Restaurierung ist noch niemand eingezogen.
Von Federico erfahre ich, dass das wahrscheinlich auch so bleiben wird. “Der Bügermeister plant hier ein Luxushotel”, erzählt er, “5 Sterne Superluxus.” Aber Federico hat so seine Zweifel. “Guck Dich doch mal um, hier gibt es doch gar keine Parkplätze. Wo sollen die Bonzen denn ihre Autos parken?” Stimmt, Parkplätze gibt es nicht so viele. Die Rione Terra ist halt eine mittelalterliche Stadt. Damals hat noch niemand an die Autos gedacht.
Der August Tempel von Pozzuoli
Federico war auch schon mal in Berlin. Richtig gefallen hat es ihm allerdings nicht. Er hakt sich bei mir unter und erzählt: “Letzten März war ich in Berlin. Das war so kalt. Ich musste sogar lange Unterhosen tragen.” In Pozzuoli ist er das nicht gewohnt. “Wenn es hier im Winter mal kalt ist, stellen wir uns einfach in die Sonne,” stellt er fest, “lange Unterhosen trägt hier niemand!”
Das sind natürlich interessante Neuigkeiten. Aber ich bin auf dem Weg zum Dom. Untergebracht ist die Kirche für die Heiligen Procolo und Gennaro immerhin in einem alten römischen Tempel. Der Bradyseismos und die Erdbeben auf den phlegräischen Feldern haben den Putz und Stuck der Vergangenheit abbröckeln lassen und viel vom Ursprungsbau, einem römischen Tempel für Augustus, wieder ans Tageslicht gebracht. Da lohnt sich sicherlich der Besuch. Aber ich stehe vor verschlossenen Türen. Der Küster schlägt die Tür um 12:30 genau vor meiner Nase zu. “Kommen Sie doch heute Nachmittag um 17:00 Uhr wieder,” rät er mir. “Dann macht der Dom wieder auf.” Christus braucht einen langen Mittagsschlaf, denke ich. Mit meinem Besuch kann er heute aber nicht mehr rechnen.
Natur frisst Kultur – Das Macellum in Pozzuoli
Ich trinke lieber einen Aperitif im Caffé Serapide auf dem Corso della Republica. Richtig preiswert und mit einem tollen Ausblick auf das bunte Treiben in einer süditalienischen Kleinstadt. Überraschend, wer hier alles unterwegs ist. Die Menschen sitzen in den vielen Bars am Platz oder einfach in der Sonne. Bei so einer entspannten Atmosphäre vergesse ich ganz schnell mein strammes Besichtigungsprogramm.
Dann raffe ich mich doch noch auf zum berühmten Macellum von Pozzuoli. Es liegt ganz nah am Meer. Dort prallen die bunte Fantasie und die nüchterne Wirklichkeit mit der erschütternden Wucht zweier Tornados aufeinander. Ein viereckiges Loch, vollgestellt mit Backstein und mit Säulentrommeln. Grundwasser steigt auf. Hübsch angemalte Häuser und eine betongraue Hochstraße im Hintergrund. Auch Pozzuoli ist so ein Ort, an dem Antike und Moderne in einer Art ausweglosen Zwangsehe nebeneinander existieren. Keiner gönnt dem anderen was. Die fetten Säulen mit den Bohrlöchern stehen wirklich hier. Schon faszinierend wie sich auf den phlegräischen Feldern die Naturgeschichte in die Kulturgeschichte reinfressen kann.
Hinter dem Macellum, unter der betongrauen Hochstraße, geht es zur Station der Nahverkehrsbahn Circumflegrea. Fährt alle 20 Minuten. Wer’s glaubt. Ich warte doppelt so lange auf dem Bahnsteig und bewundere die Ausgeglichenheit der Italiener_innen, die anscheinend schon wissen, wie sie auf dem Bahnsteig am besten die Zeit totschlagen. Ich möchte die Thermen von Baiae sehen. In der römischen Antike war Baia wohl so eine Mischung aus Baden-Baden und Montecarlo. Gekrönte Häupter, Superreiche, Profiteure. Die römische Oberschicht zauberte in die Vulkanlandschaft der phlegräischen Felder ein regelrechtes Bade-Paradies.
Phlegräische Felder mit dem Zug
An der gesamten Küste der Campi Flegrei wuchsen Villen, luxuriöse Landhäuser oder gigantische Paläste aus dem Boden. In den Gärten sprudelten Springbrunnen und blühten Granatapfel-Bäumchen. An der Küste werden schicke Wellness-Oasen eröffnet. Auf der Straße und in den Bädern bieten kreischende Kuchenbäcker, Hausausreißer, Süßigkeitenkrämer und Masseure ihre Waren und Dienstleistungen an. Der Vulkanismus hat all das im Laufe er Zeit fast völlig verschwinden lassen. Geblieben ist die verwinkelte Ruine einer riesenhaften Badeanstalt. Eben die Thermen von Baiae.
Von der Circumflegrea-Station Fusaro gehe ich natürlich wieder zu Fuss. Kein Bus weit und breit. Irgendwo verhöhnt mich die zerschlissene Werbetafel für einen Archäo-Bus, der angeblich die Sehenswürdigkeiten auf den Campi Flegrei miteinander verbindet. Ich durchwandere eine fruchtbare Landschaft. Das saftige Grün des Weins kontrastiert mit dem kräftigen Orange der Apfelsinen in den Bäumen. Aber was wäre der Süden ohne seine herben Kontraste? In diese üppige Landschaft sind unzählige schlichte Betonklötze hinein gewürfelt. Auch das hat Tradition. Leider. Schon die Römer mischten in ihren Beton vulkanische Asche und nannten das ganze Pozzulaner Erde.
Luxus der Antike – Die Thermen von Baiae
In den Thermen bin ich fast alleine. Klar, es ist ja auch so schwierig hierher zu kommen. Einsamkeit – der Luxus von heute – muss eben auch erarbeitet werden. Der Ausblick auf den Golf von Pozzuoli ist sensationell. Im Hintergrund die kleine Insel Nisida und das Capo Possilipo. In der Ferne ganz im Dunst der Gipfel des Vesuvs. Einfach herrlich. Ich steige zwischen Backstein und Tuffstein immer tiefer in die Termen hinein. Bewundere Fussbodenheizungen, Sonnenterrassen, Schwimmbecken und kleine Badegrotten.
Die Welt steht hier ein bisschen Kopf. Ein Feigenbaum wächst aus der Höhe in die Tiefe hinab. Wieder so eine magische Verbindung von Natur und Kultur. Und wieder die scharfen Kontraste des Südens. Aus moderner Architektur ragen zerborstene Kuppelgewölbe in den Himmel. Eines dieser Gewölbe lässt sich sogar betreten. Weiter muss ich nicht mehr reisen. Ich bin am Ziel meines Ausflugs angekommen. Ich bewege mich in einem mystischen Raum, in dem die Elemente verschmelzen. Das Echo meiner Schritte schwingt durch die Luft. Über mir die Sphäre und das Licht. Unter mir der Supervulkan und das Wasser. Die merkwürdig verwimmmelte Welt der Campi Flegrei verblasst. Der Aufwand hat sich gelohnt. Ich fühle mich geborgen.
Eines kann die mythische Landschaft der phlegräischen Felder allerdings nicht. Die Zeit anhalten. Auch der schönste Moment muss einmal zu Ende gehen. Die Sonne beginnt zu sinken. Ich raffe mich zur Rückkehr auf. Natürlich das erste Stück zu Fuß. An der Bahnsstation Fusaro schlendere ich noch kurz hinuter an den See, schaue mir das kleine Jagd-Schlösschen Ferdinand des IV an. Ganz romantisch! Dann steige ich in die Circumflegrea nach Neapel. Nach einer guten Stunde komme ich an der Stazione Montesanto an. Um mich herum tobt ein bunter, quirliger Basar. Wieder so ein scharfer Kontrast des Südens zwischen der ruhigen Einsamkeit der Campi Flegrei und dem Tumult der Großstadt Neapel.
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