Sabaudia die letzte Stadtgründung Europas
Sabaudia klang für mich lange Zeit wie der Name einer Stadt in einer unerreichbaren, weit entfernten Welt. Dabei liegt Sabaudia nur knapp 80 Kilometer südlich von Rom an der reizvollen Küste des Tyrrhenischen Meeres. Wegen der sanften Dünen und der langen, weißen Sandstrände ist die Stadt nicht nur im Latium sondern in ganz Italien als zauberhafter Badeort bekannt. Ganz in der Nähe soll die Zauberin Circe dem weitgereisten Odysseus die Sinne geraubt haben. Das alles macht den Ort natürlich außerordentlich anziehend. Aber für mich ist Sabaudia besonders faszinierend, weil es sich um eine der letzten Stadtgründungen in Europa handelt.
Erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde Sabaudia innerhalb kürzester Zeit errichtet. Nur 13 Monate soll es gedauert haben, bis die Stadt aus dem Boden oder besser aus den trocken gelegten pontinischen Sümpfen gestampft worden war. Dem legendären Agro Pontino wollten schon die römischen Kaiser das Wasser abgraben, später haben sich die Päpste vergeblich an dieser Aufgabe versucht.
Die pontinischen Sümpfe
Doch erst der faschistischen Regierung unter Benito Mussolini gelang es den Sumpf in fruchtbares Ackerland zu verwandeln. Unteranderem dieser technischen und organisatorischen Leistung ist es zu verdanken, dass im heutigen Italien eine Sehnsucht nach dem starken Mann oder der starken Frau Wahlen entscheiden kann. Sowie das Regierungsgeschickt der Faschisten höher bewertet wird, als das aller demokratischen Parteien. Dumm gelaufen.
Natürlich waren es Kolonisten oder Immigranten, die die Schwerstarbeit der Verwandlung einer Feuchtlandschaft in Ackerboden übernehmen mussten. Sie kamen zwar nicht aus fernen Ländern ins Latium, sie waren Binnenmigranten aus dem damals bitter armen Venetien und aus Südtirol. Fremde waren sie in dieser Gegend gleichwohl. Die Aussicht auf einen Arbeitsplatz und auf ein eigenes Stück Land hatte sie in die verwunschenen, pontinischen Sümpfe gelockt.
Dort verwandelten sie eine ursprünglich wilde und archaische Sumpflandschaft in jene gestalt- und trostlose Ackerfläche, die es in ihrer Eintönigkeit heute mit der Sele-Ebene rund um Paestum auf sich nehmen kann. Keine Spure mehr von der ehemals hier duftenden Macchia, keine von den mächtigen Wasserbüffeln, keine von den pinken Flamigos auf Rast bei der Reise von Afrika nach Europa. Über Jahrhunderte haben Reisende die Magie der verwunschenen pontinischen Sümpfe in euphorischen Reiseberichten besungen. Heute gibt es von Magie keine Spur. Dafür ist die Malaria-Mücke seit einigen Jahren wieder da.
Mit dem Zug nach Sabaudia
Ich mache mich von Rom aus auf den Weg nach Sabaudia. Im Regionalzug tuckere ich von der Stazione Termini bis nach Priverno Fossanova. Zugfahren in Italien ist ja immer ein gute Idee. In Priverno steige ich um in einen modernen Bus, der mich auf ziemlich geraden Straßen ans Ziel – die Piazza Obedan in Sabaudia – bringt. Die Reise in dieses andere Italien hat gut anderthalb Stunden gedauert und ist mit ca. 14,00 Euro ein unschlagbar preiswertes Vergnügen. Schneller und vor allem günstiger ist man mit dem Auto auch nicht in der Stadt.
Die Zugfahrt führt erst durch die schnöde Peripherie von Rom. Aber die Stadt liegt schnell hinter mir. Links flitzen die Albaner Berge an mir vorbei. Eine Überraschung sind die riesigen Kiwi-Plantagen, die in der flachen Landschaft angepflanzt sind. Später erfahre ich, das Latium ist tatsächlich das größte Kiwi-Anbaugebiet Italiens. Die Fahrt durch die trockengelegten pontinischen Sümpfe ist allerdings wenig spektakulär.
Wie so oft in Italien dominiert sorglos hingeworfene Architektur aus Beton und Blech die Szenerie. Außerdem wurde die Bahnlinie weit entfernt von städtischen Zentren mitten in diese traurige Landschaft verlegt. Auch der Bahnhof von Priverno Fossanova hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Spektakulär ist allerdings der mächtige Wasserturm, der ganz nostalgisch die vergangene Epoche der Dampflokomotive anklingen lässt. Der Bahnhof bieten dem Reisenden sogar eine Bar. Die möchte ich zwar nicht ausdrücklich empfehlen, aber hier findet sich eine Toilette und außerdem werden am Tresen die Tickets für den Bus nach Sabaudia verkauft.
Durch die Provinz Latina im Bus
Besonders beeindruckend ist die Busfahrt von Priverno Fossanova Richtung Sabaudia. Denn sie führt durch eine vollständig absurde Agrarlandschaft, deren industrielle Zurichtung mir den Atem stocken lässt. Möchte man das wirklich essen, was von diesen Äckern kommt? An der Straße verwelken aus Beton gegossen Alpträume von den eigenen vier Wänden. Und irgendwo ist dann auch der restliche Unrat ausgekippt. Die Verwahrlosung dieser Landschaft mag als Hinweis gelesen werden, dass in der Provinz Latina die neapolitanische Camorra sich heimisch gemacht hat. Plötzlich aber wird der Bus von einen dunklen Wald verschluckt. Die Riserva Statale Piscina della Gattuccia ist der kleinste Nationalpark Europas. Hier wachsen seltene Eichenbäume in einem feuchten Habitat aus Sumpf und Tümpeln. Betreten ist verboten. Aber so besonders einladend sieht der Wald sowieso nicht aus.
Der dunkle Wald schirmt Sabaudia zum Land hin ab. Ein Blick auf Google Maps^ verrät, dass der Lago di Paola ein großer Küstensee die Stadt vom Strand und vom Meer abschneidet. Nun ist die Riserva Statale Piscina dell Gattuccia bestimmt kein geheimnisvoller Zauberwald, doch zu der gestaltlosen Landschaft der trockengelegten pontinischen Sümpfen bildet dieser grünen Schutzwall einen überraschenden und einschüchternden Kontrast.
Dann Ankunft in Sabaudia. Auch hier erstaunlich viel Grün. Denn die Piazza Obedan liegt direkt hinter einem Park, der an Maria Plozner Mentil erinnert. Die Geschichte von Signora Plozner Mentil ist interessant. Denn sie repräsentiert eine Gruppe von Nationalheldinnen des 1. Weltkriegs. Als Trägerin schleppte Plozner Mentil – wie übrigens auch tausende andere Frauen – zentnerschwere Munition hinauf zu den italienischen Truppen, die in den karnischen Alpen die Invasion der österreichischen Armee abwehrten. Bei einem dieser Einsätze als Lastenträgerin wurde sie während einer Rast getötet. Schon 1934 wurde sie zur Ikone für die portatrici carniche. 1997 erinnert der damalige Staatspräsidente Scalfaro an die karnischen Trägerinnen, indem er Plozner Mentil posthum den Verdienstorden der italienischen Republik verleiht. Und nun dieser Gedenkpark.
Pinkwashing mit Pasolini
Tatsächlich spielte die Verehrung der Toten des 1. Weltkriegs für die Identitätsbildung des faschistischen Regimes eine bedeutende Rolle. Ideologisch passt der Gedenkpark für die portatrici carniche also wie die Faust aufs Auge. Ebenso wie die majestätischen Pinien von Sabaudia, die zu den schönsten Pinienbäumen gehören, die ich in Italien gesehen habe. Aber tatsächlich sind auch die Pinien keine “unschuldigen“ Bäume.
Vielmehr erinnern sie bis heute als naturhafte Denkmäler an die Umgestaltung der pontinischen Sümpfe in eine Agrarlandschaft unter der faschistischen Regierung. Um diesen Gedanken über ideologisch aufgeladene Pflanzen abzuschließen, noch der Hinweis auf die Palmen in Sabaudia. Denn Palmen sind in Italien eigentlich nicht zuhause. Sie wurden eingeführt und kultiviert, weil sie nach der Eroberung eines Kolonialreichs in Afrika eben den Besitz dieser fernen Kolonien an den italienischen Strandpromenaden für die Untertanen des Regimes sichtbar machen sollten.
Auch heute versteht man in Sabaudia noch etwas von der ideologischen Bedeutung des naturnahen Grüns. Denn der Pier Paolo Pasolini Park hinter dem Rathaus, der dem streitbaren schwulen und kommunistischen Schriftsteller und Filmemacher gewidmet ist, kann nur als Pinkwashing gedeutet werden. Seht her! Es gibt faschistisches Erbe, dennoch ist Sabaudia eine tolerante und weltoffene Stadt. Tatsächlich haben Pasolini und Dacia Marini gemeinsam mit deren Lebensgefährten Alberto Moravia die Küste vor Sabaudia als Sommerfrische gerne besucht. Damit wurde der Ort ein Urlaubsparadies für linke Intellektuelle aus ganz Italien. Der dunklen Vergangenheit zum Trotz.
Die rationale Stadt
Der Städtebau in den pontinischen Sümpfen stellte das faschistische Regime dagegen vor gewaltige ideologische Probleme. Denn Mussolini fantasierte ungebremst, dass das bäuerliche Leben auf dem Land am besten in kleinen dörflichen Gemeinschaften oder sogar auf Bauernhäusern direkt am Acker aufgehoben sei. Aber irgendwann muss auch dem Diktator aufgefallen sein, dass sogar Menschen auf dem Land vielleicht mal einen Arzt besuchen, den Weg aufs Amt antreten oder einen Plasteeimer kaufen müssen. Also wurde umgesteuert. Kolonialstädte, die es mit den großartigen Vorbildern der römischen Vergangenheit aufnehmen konnten, mussten her. Sabaudia ist das Musterbeispiel einer faschistischen Kolonialstadt.
Der Stadtplan aus dem Jahr 1933 zeigt die zauberhafte Lage der neugegründeten Stadt, die sich in die Arme des Küstensees Lago di Paola zu schmiegen scheint. Darauf erkennen lässt sich aber auch der rationale Grundriss der Stadt. Schnurgerade Straßen treffen in rechten Winkeln oder an rechteckigen Plätzen aufeinander. Zitate des antiken, römischen Städtebaus, die sich an der Idee des Decumanus als Hauptstraße und des Cardo als Verbindungsstraße in einem schachbrettartigen Stadtbild orientieren.
Eine Combo junger ambitionierter Architekten rund um den Stadtplaner Luigi Piccinato entwarf den Masterplan und die meisten Gebäude von Sabaudia gleich mit. Sie errichteten eine Stadt, die mich wegen ihrer kubischen Architektur, der schmucklosen Fassaden und langen Perspektiven an die metaphysischen Gemälde Giorgio de Chiricos erinnert. Tatsächlich ist das Stadtzentrum so verlassen und menschenleer, dass sich der Eindruck durch die Idee einer idealen Stadt zu schlafwandeln noch verstärkt. Gestört wird dieser hehre Eindruck nur durch die Ramsch-Auslagen und die schreienden “Alles muss raus“ Tafeln in den trostlosen Schaufenstern der Einkaufsmeile.
Sabaudia und die Symbole des Faschismus
Der Name Sabaudia erinnert an das piemontesische Herrscherhaus der Savoyer, dem seit 1861 die italienischen Könige entstammten. König Vittorio Emanuele III hatte sich 1922 als hilfreicher Steigbügelhalter für den italienischen Faschismus erwiesen. In der Folge unterstützte das Staatsoberhaupt mit königlichen Dekreten und politischer Abstinenz die Umwandlung Italiens in eine Diktatur. Nach der Proklamation des Impero wurde er dafür mit dem Titel Kaiser von Abessinien und später auch König von Albanien belohnt. Erst nachdem die Alliierten in Sizilien gelandet waren, wandte sich Vittorio Emanuele von Mussolini ab. Aber da war das Ansehen der Monarchie und der Familie Sabauda schon so ruiniert, dass nach dem Ende des 2. Weltkriegs nur noch Abdankung und Exil blieb. In Italien ist der Blick auf die ehemalige royal familiy sehr kontrovers. Aber in Sabaudia wird erstaunlicherweise fast die gesamte Dynastie vom Mittelalter bis in die jüngere Geschichte mit Straßennamen geehrt.
Gar nicht zu übersehen sind im Stadtbild die großzügig ausgekübelten Fasci-Bündel. Das Fasci-Bündel ist das Symbol für die faschistische Bewegung. Sozusagen das Hakenkreuz Italiens. Abgekupfert haben es die Designer des Bösen vom römischen Liktorenbündel, den Fasces Lictoriae. Ich komme aus dem Land mit der Tradition der intensiven Vergangenheistsbewältigung des verbrecherischen und mörderischen, deutschen Nationalsozialismus. Ein Hakenkreuz oder der Hitler-Gruß in der Öffentlichkeit völlig undenkbar. Und das ist auch gut so. In Italien macht man sich darum nicht so einen Kopf. Darum erscheint mir bei meiner Stippvisite in Sabaudia der lockere Umgang mit den Bildern, Inschriften und Symbolen aus der Zeit des italienischen Faschismus verantwortungs- und sorglos.
Bis vor kurzem hätte ich das als eine eher harmlose Verirrung im italienschen Umgang mit der Geschichte der faschistischen Diktatur bewertet. Aber ein Blick in die Wahlergebnisse der Regionalwahlen im Latium Mitte Februar 2023 zeigt, dass in Sabaudia über 38% der Wähler den rechtsextremen Fratelli di Italia ihre Stimme gaben. Dieses Wahlergebnis macht es unmöglich, das öffentliche Abfeiern faschistischer Symbolik in Sabaudia als ulkige Geschichtsvergessenheit zu verniedlichen. Vielmehr muss man beunruhigt feststellen, dass sich darin doch das muntere Fortleben einer chauvinistischen und verbrecherischen Ideologie wider spiegelt. 1945 war dieser Spuk eben nicht vorbei! Geht immer noch weiter.
Kann Architektur böse sein?
Tatsächlich habe ich auch ein spektakuläres, sehr ungewöhnliches Gebäude in Sabaudia entdeckt. Das ehemalige Postamt. Dieser futuristische und funktionale Bau wurde von Angiolo Mazzoni errichtet. Es ist ein eindrucksvolles Beispiel für den innovativen Umgang mit Farben, Material und Bauvolumen in der Architektur des Funktionalismus.
Die durchgehenden Fenster und dynamischen Kurven und Linien drücken dabei die futuristischen Ideale von Modernität und Geschwindigkeit aus. Einflüsse des deutschen Bauhaus sind ebenso unverkennbar. Die leuchtenden blauen Kacheln der Fassade strahlen mit dem Blau des Himmels um die Wette. Ein sonnengelbes Farbband lässt die flache Decke des Gebäudes gleichsam über dem Baukörper schweben. Die roten Fensterbänder sind ganz praktisch mit Fliegengittern vor der gefährlichen Malaria Mücke gesichert. Das macht alles großen Eindruck.
Der Architekt Mazzoni war allerdings politisch geschmeidig und verdankt seine Karriere nicht nur den Lehrjahren bei Mussolinis Lieblingsarchitekten Marcello Piacentini. Er war außerdem überzeugtes Mitglied der faschistischen Partei und machte als Chef-Architekt des Ministeriums für Kommunikation und die staatliche Eisenbahn bis zum Ende des 2. Weltkriegs eine glänzende Karriere. Die Stazione Termini in Rom und die Stazione Santa Lucia in Venedig sind nur zwei seiner prominenten Bauprojekte aus dieser Zeit. Wie soll man also diese Gebäude bewerten? Kann Architektur böse sein? Wie sollte die Architektur eines faschistischen Architekten, die ja immer noch die Zentren vieler italienischer Städte prägt, betrachtet werden?
Einwanderung aus Punjab
Sabaudia wurde in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts zwar von ideologisch verdorbenen Architekten geplant aber von Einwanderern errichtet. Binnenmigranten aus dem Norden Italiens haben die pontischen Sümpfe erst trocken gelegt und danach begonnen, Retortenstädte zu errichten. Neben Sabaudia entstanden Littoria, das heutige Latina, Pontina, Aprillia und Pomezia als Verwaltungszentren mitten im frisch gewonnenen Ackerland. Hier wurde Weizen angebaut und nach 1945 immer mehr Obst und Gemüse.
Heute arbeiten immer noch Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund in der Landwirtschaft rund um Sabaudia und Latina. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts kamen Sikhs, Einwanderer aus Punjab, in die pontinische Ebene. Arbeit in Indien zu finden, war damals schwierig. Diejenigen, die es sich leisten konnten, gingen ins Ausland. Und in den 80ern war es in Italien noch relativ einfach Visa zu erhalten, da diese nach jährlichen Quoten für die Einwanderung von Landarbeitern verteilt wurden. Heute arbeiten gut dreizigausend indische Einwanderer in der pontinischen Ebenen
Doch in Sabaudia leben die Einwanderer aus Indien anscheinend in einer von der italienischen Gesellschaft getrennten Welt. Vorteile von dieser Segregation haben vor allem die Landbesitzer und die italienische Agromafia. Denn denen ist besonders daran gelegen, dass die Punjab-Einwanderer als preiswerte Arbeitskräfte möglichst wenig von italienischen Arbeitsgesetzen erfahren. Außerdem schränken mangelnde Sprachkenntnisse und mangelnde Inklusion die soziale Mobilität stark ein, so dass die preiswerten Arbeitskräfte möglichst lange zur Verfügung stehen. Wie in Apulien oder in Kalabrien wird auch im Latium, dass leckere Frühgemüse mit unappetitlichen Mitteln produziert. Der Soziologe Marco Omizzolo beschreibt diese Arbeitsverhältnisse als moderne Sklaverei.
Das Resümee eines langen Tages
Der Misere der Sikhs in der pontinischen Ebene begegnet dem Reisenden in Sabaudia nicht. Denn die trägt sich zu in Dörfern oder Siedlungen, die näher an den Agrarflächen liegen. Zum Beispiel in der Feriensiedlung Bella Farnia. An der Piazza Obedan, dort wo der Bus abfährt, der mich zur Bahnstation von Priverno Fossanova bringen wird, wo ich in den Zug zurück nach Rom steigen werde, gibt es allerdings eine Autowaschanlage, die von Punjab-Einwanderern betrieben wird. Sie ist hinter einer verblassten zitronengelben aufgegebenen Tankstelle untergebracht, deren reduzierter Form der Ursprung in den 30er Jahren deutlich anzumerken ist.
Ich finde es erstaunlich, wie unverändert die Architektur der 30er Jahre sich in Sabaudia erhalten hat. Manche prägende Gebäude sind zerstört worden. Die Markthalle zum Beispiel. Anstelle des Kongresszentrums, dass dort entstehen sollte, ödet dort eine städtebaulich sinnleere Piazza den Besucher an. In den 70er Jahren wurde Luigi Piccinato, der “Erfinder“ Sabaudias mit der städtebaulichen Erneuerung des Ortes beauftragt. Vielleicht ist dort die Ursachen für die Konservierung einer faschistischen Kolonialstadt zu suchen. Anfang der 2000er Jahre wurde in Sabaudia umfangreich restauriert und renoviert. Wie aufwändig diese Arbeiten waren, die angeblich der Ankurbelung des Tourismus dienen sollten, lässt sich gut am aufwändig herausgeputzten Postamt des Architekten Angiolo Manzzoni erkennen.
In den metaphysischen Gemälden von Giorgio de Chirico, gibt es nur sehr selten Menschen. Vielleicht liegt mal eine Plastik in menschlicher Gestalt im Bild herum. Diese menschenleeren Kulissen entfalten in de Chiricos Kunst eine ungeheuerliche spirituelle Kraft. Zwar muten die weiten Plätze, monumentalen Häuserblöcke und geraden Straßen Sabaudias so an, als seien sie einem Gemälde de Chiricos entsprungen. Aber gebaut wirkt so eine menschenleere Stadt einfach nur wie ein gescheitertes Projekt. Und darum fahre ich mit Eindruck nach Rom zurück, dass in den pontinischen Sümpfen so einiges schief gegangen ist.
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